kirschblütentod

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15. Juni 1877

Noch nie hatte ich mich so verloren gefühlt, wie jetzt, da ich vor den Toren des Anwesens eines anderen, kaiserlichen Beraters stand. Ich wollte nicht dort hineingehen und mit diesen fremden Menschen etwas feiern, das für mich kein Grund zum Feiern darstellte.

Alle Revolutionäre waren dort drinnen versammelt und feiern die erfolgreiche Niederschlagung der Rebellen.

Sie feiern den Tod unzähliger Samurai, die für das Richtige gekämpft haben.

Sie feiern Taros' Tod.

Bei diesem Gedanken presste ich die Lippen zusammen, knirsche mit den Zähnen. Innerlich schrie ich, doch meine äußerliche Fassade bröckelte kein bisschen. Ich zwang mich dazu, weiterhin die perfekte Tochter zu spielen, wie die letzten Jahre, genauso, wie es alle von mir erwarteten.

Als mich die Nachricht, dass alle widerständischen Samurai, die an Saigo Takamoris Seite gekämpft hatten, in einer brutalen Schlacht in der Provinz Satsuma ums Leben gekommen waren, vor fünf Tagen erreichte, hatte ich das erste Mal seit Jahren wieder geweint. Ich hatte mich in unseren Garten unter diesen Kirschbaum zurückgezogen und all meinen Wünschen und Hoffnungen nachgetrauert.

Mir war klar, dass Taro zu diesen toten Samurai gehörte. Würde er noch leben, dann hätte er schon längst irgendwie Kontakt zu mir aufgenommen, mir ein Zeichen gegeben, denn das hatte er mir versprochen.

Doch stattdessen herrschte Stille, Totenstille. Außerdem wusste ich, dass Taro bei einem schlechten Schlachtausgang niemals geflohen wäre. Er hätte bis zum bitteren Ende gekämpft, dem Tod ins Auge geblickt, er war kein Feigling.

Diese Gewissheit beherrschte mein Inneres, verwandelte mein Herz in ein kaltes Stück Eis und schnürte mir die Kehle zu. Ich hatte gewusst, dass das alles so ausgehen konnte, doch trotzdem hatte ich gehofft, dass irgendwie die Hoffnung siegen würde. Das der Wille, das alte Japan zu erhalten, irgendwie genügen würde.

Ich hatte gehört, wie mein Vater über das Blutbad sprach, er klang erfreut. Allein das hatte Übelkeit in mir aufsteigen lassen, er klang, als wäre der Tod von hunderten, treuen, mutigen und starken Männern etwas Schönes.

Am liebsten würde ich irgendetwas tun, die Verantwortlichen dafür zur Rede stellen, an irgendwem meine Wut auslassen. Gleichzeitig wusste ich auch, dass ich dadurch das Opfer, das Taro gebracht hatte, missachten würde. Er hatte sich eine sichere Zukunft für mich gewünscht, es wäre nicht Recht, diese nun wegzuwerfen.

Nur deswegen stand ich nun hier, nicht, weil ich hier sein wollte. Sondern, weil Taro das, trotz allem, gewollt hätte.

Ich setzte eine eiserne, stolze Miene auf, richtete meinen schlichten Haarschmuck und setzte mich in Bewegung. Meine Eltern befanden sich schon im Anwesen, ich war mit einer weiteren Kutsche nachgekommen. Und auch, wenn ich nun wieder dieses Spiel spielen musste, so gab es doch noch kleine Akte der Rebellion, die ich ausführen konnte.

Zwei Bedienstete öffneten die Flügeltüren vor mir, das Gebäude war im westlichen Stil gebaut worden. Kaum war das Geschehen, so drang Gelächter und fröhliches Gerede nach draußen, Öllampen beleuchteten das Ganze. Die Inneneinrichtung war luxuriös, es war nicht an Gold und Silber gespart worden, überall glitzerte etwas, über den Kronleuchter in der Eingangshalle, bis hin zu den Kristallvasen, in denen Blumen, die einen süßlichen Duft verströmten, verteilt waren. Es sah so anders aus, als die schlichten, traditionellen und minimalistisch gehaltenen japanischen Häuser.

Schon hier versammelten sich die Gäste, sie hielten allesamt Gläser in der Hand, um gemeinsam etwas zu feiern, auf das niemand stolz sein durfte.

Langsam nahm ich alle nacheinander in Augenschein. Die Männer trugen diese gruseligen westlichen Anzüge, die Frauen Kleider, anstelle von Kimonos. Alle Farben waren vorhanden, es war eine bunte Gesellschaft. An jeder Frau glitzerten Schmuck und Diamanten, sie alle hatten das Beste vom Besten aus ihren Kleiderschränken gesucht, für diesen besonderen Anlass.

Meine hölzernen Zori klackerten auf dem Marmorboden, als ich die Halle betrat.

Sofort spürte ich, wie ich aus dieser Menge herausstach, denn ich war ganz anders, als diese Menschen.

Ich trug einen schlichten, traditionellen, weißen Kimono, außerdem hatte ich meine schwarzen Haare zu einem Knoten festgesteckt. Von dem Haarschmuck einmal abgesehen hatte ich auf jegliche weitere Verzierungen komplett verzichtet.

Ich trug Trauerkleidung.

Manche Blicke blieben an mir hängen, verwirrt und irritiert. Ich scherte mich nicht darum.

Ein Bekannter meines Vaters, ein Engländer, entdeckte mich, musterte mich und kam dann auf mich zu. Mit einem Lächeln auf den Lippen erreichte er mich, nahm meine Hand und gab mir, ganz nach westlicher Manier, einen Kuss auf den Handrücken.

„Ihr seht hinreißend aus, Mylady.", murmelte er. Meine Mundwinkel zuckten, ich wollte nicht Mylady genannt werden, denn das war ich nicht. Ich war keine dieser englischen Prinzessinnen, ich war eine Japanerin. Und stolz noch dazu.

Doch ich nickte knapp, um ihn für seine Worte zu danken.

„Verzeiht mir, wenn ich so ungestüm nachfrage, Mylady, aber ist die Farbe Weiß im Buddhismus nicht eine Farbe der Trauer? Gab es einen Todesfall in Euer Familie?", freundlich, aber auch ein wenig mitleidig sah er mich an.

Ich erwiderte seinen Blick hart und ungerührt. „Ich trauere um meine gefallenen Landsleute."

Augenblicklich fiel sein freundlicher Gesichtsausdruck in sich zusammen, schockiert blickte er mich an, er schien nicht zu wissen, was er auf diese Bemerkung erwidern sollte. Und das musste er auch nicht, denn ich ließ ihn einfach so stehen.

Die Blicke folgten mir, doch ich ging einfach weiter, bis in den Salon, wo mich alle der anwesenden Menschen sehen konnten. Es war ein letztes Zeichen der Rebellion, es war die einzige Möglichkeit, die mir zur Verfügung stand.

Sie sollten alle wissen, dass das, für das sie verantwortlich waren, falsch war. Dass sie allesamt Mörder waren. Sollten die Gewissensbisse sie bis zum Ende ihres Lebens quälen, das hatten sie verdient. Sie waren Schlächter, bösartige Menschen, die es in Kauf nahmen, hunderte Menschen umzubringen, nur, damit sie ihre eigenen Ziele erreichten.

Stolz erwiderte ich jeden dieser ungläubigen Blicke, starrte sie in Grund und Boden. Stolz zeigte ich, dass ich mit dem allen hier nicht einverstanden war und dass ich es auch nie sein würde.

Es war das, was ich noch tun konnte.

Und ich würde Taro in Ehren halten.

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So, ich weiß, das war nur ein kleines Projekt. Drei Kapitel sind nicht gerade viel, aber ich hoffe, dass es euch trotzdem gefallen hat :) Danke für den Kommentar und den Vote aufs letzte Kapitel :D 

lg Sharon 

kirschblütenkäfig.Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang