Kapitel 2

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Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, hatte sich in meinem Kopf bereits ein ganzer Plan manifestiert. Ich musste exakt zwei Dinge in der Zukunft erledigen: Recherche bezüglich der zwanziger Jahre betreiben und mir entsprechende Kleidung besorgen. Auch, wenn ich mir sicher war hier in den Sechzigern ebenfalls etwas Hilfreiches zu finden, hielt ich es dennoch für das beste, in der Zukunft mithilfe eines Computers zu suchen - Es würde mir viel Zeit und Anstrengung sparen.

Die Bibliothek, schoss es mir durch den Kopf, als ich mich voller Tatendrang aufsetzte, wobei ich feststellen musste, dass Vater noch schlief. Ich kann mir im Gebäude eine leere Ecke suchen und von dort aus reisen.

Sobald ich meinen Blick jedoch über das Mobiliar des Zimmers gleiten ließ, kam ich zur Besinnung: Oh Gott, nein, nachher lande ich noch in irgendeinem Regal oder vor irgendwelchen Studenten. Außerhalb müsste sich aber etwas finden lassen, davon bin ich überzeugt.

Ich erhob mich von dem Bettrand und streckte mich. Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch einen Schlitz der beiden Vorhänge am Fenster und ließen den aufwirbelnden Staub im Licht glitzern. Alles um mich herum war in völlige Stille gehüllt. Da war nur das leise Schnarchen meines totgeglaubten Vaters, das mich daran erinnerte, dass alles möglich war, wenn man es nur wollte.

Carpe Diem, erinnerte ich mich an mein persönliches Motto und beschloss, dass es nun Zeit war, wieder den Tag zu nutzen und etwas Großartiges zu vollbringen.

Ich zog mir eine schlichte Hose und eine Bluse an und ging ohne Vater frühstücken. Sobald ich mich mit Rührei und Brot eingedeckt hatte und mir den Magen füllte, musste ich daran denken, wie löchrig mein Plan eigentlich war.

Sicherlich, es war ein guter Anfang mithilfe Jonathans Tagebuch in den Zwanzigern nach ihm zu suchen. Aber alleine bei der Vorbereitung trat ich ohne irgendwelche Hilfe an meine Grenzen: Ich hatte weder Geld, noch einen Hausschlüssel, geschweige denn die Mittel dazu. Kam ich im 21. Jahrhundert an, konnte ich nicht mal die U-Bahn benutzen, es sei denn, ich traute mir zu vor einem Kontrolleur zu fliehen.

Für Jonathan gehe ich dieses Risiko ein, dachte ich und mein Herz schlug dabei sofort höher. Nur wie komme ich an eine Verkleidung heran? Soll ich die etwa klauen? In meiner Verzweiflung erinnerte ich mich an meinen letzten Rettungsanker im 21. Jahrhundert: Natalie Fährmann. Meine beste Freundin, die ich damals glücklicherweise in alles, was geschehen war, eingeweiht hatte.

Sobald ich fertig gegessen hatte, ging ich zurück in unser Zimmer, um die Taschenuhr zu holen und einen gelegenen Ort zum Reisen zu finden. »Da bist du ja«, sagte mein Vater, sobald ich die Tür öffnete und er mich erblickte.

»Ich habe schon gegessen. Tut mir leid, dass ich nicht gewartet habe«, entschuldigte ich mich und schloss hinter mir die Tür.

Der Blick meines Vaters hob sich und er schaute mir durch seine braunen Augen entgegen. Dabei zog er seine Stirn kraus. »Darf ich erfragen, wie genau dein Vorgehen nun aussieht, neben der Tatsache, dass du dich im nächsten Jahrhundert eindecken willst?«

Ich schlenderte durch den Raum und setzte mich neben ihm auf das Bett. Er denkt, ich nehme alles zu locker, bemerkte ich bei dem Anblick meines Erzeugers. »Also«, begann ich, um ihn meinen Plan zu schildern, »ich werde eine alte Freundin aufsuchen, die mir hoffentlich dabei helfen wird, Kleidung für die Zeitreise zu besorgen.«

»Ist dieser Freundin zu vertrauen?«, fragte er und schien überrascht, dass es anscheinend noch jemanden im 21. Jahrhundert gab, mit dem ich seit alledem Kontakt gehalten hatte.

Chroniken der Zeit (II) [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt