Kapitel 3

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2. August 2017

So angenehm hatte sich Zeitreisen noch nie angefühlt. Elegant und problemlos landete ich auf meinen Füßen in einer Seitengasse nahe der Humboldt Universität. Ich atmete erleichtert die Luft des 21. Jahrhunderts in mich hinein, als ich feststellte, dass ich unentdeckt geblieben war. Mal ganz davon abgesehen, dass sich dieses Jahrhundert wie ein Stück Heimat einfühlte. Ich musste zugeben, dass ich selbst die Geräusche von Hupen, großen Menschenmengen und genervten Verkehrsteilnehmern vermisst hatte.

Mit dem pochenden Herzen in meiner Brust trat ich aus der Gasse in das Leben Berlins. Ich kannte Berlin Mitte nach wie vor wie meine Westentasche, und so peilte ich die S-Bahnstation an der Friedrichstraße an. Sobald ich am Gleis stand, wartete ich ungeduldig auf die nächste Bahn gen Westen Berlins. Als diese endlich angerauscht kam und ich in sie hinein trat, schnürte es mir die Lunge zu.

In einer belebten Bahn zu stehen fühlte sich nach allem, was ich durchgemacht hatte, sehr seltsam und befremdlich an. Die Tatsache, dass ich auch noch schwarz fuhr, machte es nicht gerade besser. Ich spürte, wie es im Minutentakt heiß und kalt über meinen Nacken lief und ich am liebsten sofort wieder aus dieser Bahn steigen wollte, um auf andere Weise zu Natalie zu gelangen. Ich bemerkte dabei stetig das leise Ticken der Taschenuhr in meiner Hosentasche und hoffte, dass sie mich nicht springen ließ, während ich Bahn fuhr. Nachher lande ich noch in einer Zeit, wo die Gleise nicht stehen und ich aus zich Meter Höhe auf den Boden zu stürze oder ich lande mit noch mehr Pech direkt auf einem Gleis und werde von dem nächsten Gefährt überrollt, dachte ich paranoid und fühlte mich erst recht unwohl.

Doch ich überwand mich und so fuhr ich Station für Station unbemerkt, bis ich umsteigen musste und die nächste Linie nahm. Ich schluckte schwer bei jeder Station, die die U-Bahn der Linie 7 abklapperte. Sie hielt alle paar Minuten und Menschen stiegen ein. Ich klammerte mich mit meiner Schweiß gebadeten Hand an die Stange und versuchte mich darauf zu konzentrieren, nicht an irgendwelche unkontrollierten Zeitreisen oder daran, dass ich ohne Ticket fuhr, zu denken.

Und schließlich passierte das, wovor ich mich schon die ganze Zeit gefürchtet hatte: »Guten Tag, Ihre Fahrausweise bitte!«

Mit geweiteten Lider starrte ich auf den als Tourist verkleideten Mann, der circa fünf Meter von mir entfernt zugestiegen war und sich nach und nach die Fahrerlaubnisse der Anwesenden anschaute. Ich versuchte meinen ungehaltenen Puls zu unterbinden und ganz normal zu gucken, so, als führe ich mit entsprechender Erlaubnis. Hoffentlich kommt jeden Moment die nächste Station, betete ich und spürte, wie der Schweiß an jeder nur erdenklichen Stelle klebte.

»Ihr Ticket?«, vernahm ich die Stimme des Mannes nicht mehr weit von mir entfernt. Ich schluckte schwer und kämpfte darum, weiterhin gelassen zu bleiben. Er ist gleich bei mir, fürchtete ich mich. Oh Gott, was soll ich nur machen? Wenn ich mich jetzt weiter nach hinten bewege, merkt der doch, dass bei mir etwas faul ist!

»Ihr Ticket, bitte.« Der nächste Fahrgast war an der Reihe und es verlangte mich immer mehr danach, endlich aus dieser Bahn stürmen zu können. Aber der ersehnte Halt kam nicht, ich war vollkommen aufgeschmissen.

»Die Fahrerlaubnis, bitte.« Er sprach die letzte Person an, ehe ich dran war. Seelisch bereitete ich mich auf großen Ärger vor, vielleicht sogar auch auf eine Verfolgungsjagd. War die Chance wirklich so hoch?, fragte ich mich verzweifelt und verspürte dabei das Bedürfnis, in Tränen auszubrechen. Warum muss ausgerechnet mir das passieren?

»Sie fahren also ohne Ticket«, vernahm ich es auf einmal neben mir. Mein schockierter Blick fiel auf den Kontrolleur, der sich vor einem jungen Mann aufbaute.

Chroniken der Zeit (II) [Leseprobe]Where stories live. Discover now