Sterbende Sterne

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Als wir auf die Straße traten, war es totenstill. Die ganze Welt schlief, nur wir beide -Alec und ich- trotzten der Müdigkeit. Alec war noch zum Abendessen bei uns geblieben, hatte sich bei Spagetti mit Tomatensoße Witze von meinem Vater angehört. Alec war gerne bei mir, manchmal hatte ich das Gefühl er liebte meine Familie mehr als ich. Klar, ich liebte sie auch, aber alles in allem konnten sie auch ziemlich nervig sein.
Jetzt gingen wir also über die leeren Straßen ohne ein richtiges Ziel zu haben. Es hatte den ganzen Abend gestürmt und wir hatten in meinem Bett gelegen und dem Donnern gelauscht. Nun roch es frisch nach Regen und es hatte sich abgekühlt. Plötzlich blieb Alec stehen.
„Ich liebe das. Diesen Geruch nach Sommerregen.",er atmete tief ein und schloss dabei die Augen, „alles fühlt sich neu und frisch an. Als hätte sich die Erde von der Hitze erholt. Als wäre sie jetzt wieder bereit für den nächsten heißen Tag." Ich nickte. Ich wusste genau was er meinte.
„Es gibt nichts besseres als Sommerregen, du hast recht."
Alec öffnete wieder die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken. Nachdenklich schaute er in den Himmel, so als würde er etwas suchen. Auch ich folgte seinem Blick.
„Was eine Scheiße. Man sieht gar nichts."
„So ist das eben in der Stadt. Da sieht man keine Sterne." Ich zuckte mit den Schultern. Das war auch ein Grund weswegen ich Alecs Zuhause viel lieber mochte. Von seinem Bett aus konnte man durch sein Dachfenster geradewegs in den Sternenhimmel sehen.
„Heute soll es besonders viele Sternschnuppen geben."
„Oh."
„Hast du schon mal eine gesehen?"
Ich rieb mir müde über die Augen. Es war zwei Uhr nachts und eigentlich wollte ich nicht über irgendwelche dämlichen Sterne nachdenken, sondern nur schlafen.
„Hm, was?"
„Sternschnuppen, Lilly, Sternschnuppen. Ob du welche gesehen hast."
Er kam auf mich zu während ich überlegte.
„Was weiß ich, vielleicht. Ist doch völlig egal. Kann sein dass es nur Flugzeuge waren." Alec blieb vor mir stehen und sah mir aufmerksam in die Augen.
„Wie kann dir das egal sein? Es sind kleine Meteoroiden, die in die Erdatmosphäre eindringen und beim Verglühen leuchten. Das sind sterbende Sterne."
„Jaa okay, Alec." Ich schloss die Augen und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken. „Können wir das nicht wann anders besprechen? Morgen oder so?"
„Morgen sind sie aber weg. Morgen können wir keine mehr sehen." Ich schwieg. Was hatte Alec nur mit diesen verdammten Sternschnuppen?
„Alec ich bin wirklich mü..."
„Wir gehen jetzt welche suchen." Ich seufzte verzweifelt auf.
„Wo willst du denn jetzt Sternschnuppen suchen?"
„Ich weiß wo. Komm." Er sah mich auffordernd an. Als ich ihn jedoch nur flehend ansah, nahm er mich an der Hand und zog mich hinter sich her.
„Wieso muss man dich denn immer zu deinem Glück zwingen?", murmelte er gereizt vor sich hin.
Ich trottete ihm also hinterher. Es war mehr schlafwandeln als laufen und ich verlor schnell die Orientierung und wusste schon nach zwei Blöcken nicht mehr wo wir waren. Aber was tat man nicht alles für seinen besten Freund. Wenn er glücklich war, war ich das auch - oder so ähnlich. Schon nach kurzer Zeit war er nicht mehr genervt von mir, sondern freute sich wie ein kleines Kind. Auch wenn ich ihm jetzt widerstandslos folgte ließ er meine Hand nicht los. Und das war irgendwie auch okay. Ich dachte nicht weiter darüber nach, achtete nur darauf nicht beim nächsten Schritt auf die Nase zu fliegen.
„Da wären wir."
„Hä? Wo willst du denn hier Sterne sehen? Das ist doch..." Ich gestikulierte wie wild mit meinen Armen. Wir standen vor einem hohen Wohnblock. Langsam wurde ich sauer.
„Jetzt warte doch mal ab Schätzchen.", sagte Alec und freute sich über meine Wut anscheinend einen Ast ab.
„Nenn. Mich. Nicht. Schätzchen."
„Okay Zuckerschnecke."
„Blödmann."
Er zwinkerte kurz und klingelte dann bei jedem einzelnen Schildchen. Schon nach ein paar Sekunden summte die Tür, Alec stoß sie auf wir traten ein. Zielstrebig ging Alec auf den Aufzug zu und drückte.
„Alec, ehrlich - was wird das? Ich will schlafen und außerdem ist es spät und... was machen wir hier überhaupt?!"
„Jetzt warte doch einfach... wir sind gleich oben und dann..." Der Aufzug kam, wir stiegen ein und schwiegen. Dann öffnete sich die Tür wieder und wir standen im Dunklen. Alec schien etwas in seiner Hosentasche zu kramen.
„Alec. Was machen wir hier."
„Warte doch einf... hier. Jetzt schalte mal deine Taschenlampe an und leuchte mir." Ich tat was er mir befohlen hatte und schaltete mein Handy an. Was ich sah war nicht besonders erfreulich: wir standen in einem winzigen Räumchen, vor uns eine Metalltür. Was Alec dann machte war aber noch unerfreulicher. Er setzte sich nämlich vor die Tür und begann mit einer Stecknadel die Tür zu knacken.
„Nicht dein Ernst."
„Sei still und halt das Licht noch ein bisschen weiter hier hin."
„Ich werde mein Licht nirgends hin halten, weil wir nämlich nicht irgendwo einbrechen."
„Wieso bist du eigentlich so verklemmt?"
„Ich bin nicht verklemmt! Sondern halte mich an Regeln."
„Ja ja."
„Nein Alec das akzeptiere ich nicht. Weißt du eigentlich was man da für Strafen für bekommt? Nein? Ich nämlich auch nicht. Ich hatte auch nicht vor das heraus zu finden ehrlich gesagt. Und wehe du sagst nochmal ja ja zu mir, das bedeutet übersetzt nämlich leck mich am Arsch." Ich hätte mich noch viel länger in Rage reden können, doch in dem Moment stieß Alec die Tür auf. Wir waren auf dem Dach des Hochhauses und tatsächlich: man konnte die Sterne von hier aus sehen.
Alec schob mich weiter bis zum Rand des Daches, drückte mich herunter und verschwand dann hinter mir im Dunklen. Ich schaute einmal kurz runter, ließ es dann aber bleiben. Wir waren hoch, sehr hoch. Vielleicht hatte Alec wirklich recht und ich war etwas verklemmt. Aber nur etwas.
Alec tauchte wieder auf, eine Flasche Wein in der Hand.
„Wo kommt die denn her?", fragte ich.
„Hab ich letztes Mal hier gelassen falls..."
Ich unterbrach ihn: „Letztes Mal?! Du machst das öfter?"
Alec verdrehte die Augen.
„Sei nicht so verklemmt Prinzessin Lillyfee. Ich wurde noch nie erwischt. Und das wird sich nicht ausgerechnet diese Nacht ändern. Trink lieber."
Ich hatte ja keine Ahnung wann Alec so ein Rebell geworden war. Gott, klang das komisch. Also sagte ich einfach gar nichts mehr, trank nur den Wein und versuchte nicht an die Höhe zu denken und auch nicht einzuschlafen (und dann möglicherweise runterzufallen). Irgendwann zog Alec seinen Pulli aus und faltete ihn zusammen damit wir ihn als Kopfkissen benutzen konnten. Da lagen wir also auf irgendeinem Hausdach, sahen in den schwarzen Himmel und warteten auf Sternschnuppen.
„Weißt du schon was du dir wünschst?"
Ich zuckte mit den Schultern. „Entscheide ich spontan." In Wahrheit hatte ich keine Ahnung und wie gesagt - es war mir scheiß egal.
„Ich weiß es."
„Und was?"
„Das verrät man doch nicht." Dann war es wieder still. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und schloss die Augen. Und wer hätte es gedacht, drei Sekunden später schlief ich wie ein Baby auf dem steinharten Boden ein.
Hätte ich da bloß gewusst, dass ich es schon einige Wochen später unendlich bereuen würde eingeschlafen zu sein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 21, 2019 ⏰

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