Eine Tasse Kaffee sagt nicht immer die Wahrheit

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Triggerwarnung: Suizid, Homophobie
Für aussenstehende wirkte Kamons Leben perfekt. Guter Schulabschluss, Medizinstudium, reiche Eltern, viele Freunde, eine Freundin. Sah man genauer hin, erkannte man die Wahrheit. Den guten Schulabschluss erhielt Kamon nur, durch die Bestechungsgelder seiner Eltern. Das Medizinstudium war ein Traum seiner Eltern, er wäre viel lieber Tänzer geworden. Ausser Reichtum hatten seine Eltern ihm nichts zu bieten. Sie waren fast nie da, streng und fordernd. Seine Freunde mochten ihn nur wegen seines Geldes. Wenn er wirklich Hilfe brauchte, liess sich keiner blicken. Und das schlimmste von allem. Hörte man bei Kamons Erzählungen genauer hin, was glücklicherweise keiner tat, fiel schnell auf, dass seine Freundin ein Freund war. Dan. So hiess Kamons Freund und gleichzeitig grösstes Geheimnis. Hätten seine Eltern herausgefunden, dass ihr Sohn schwul war, würden sie ihn wohl endgültig als Versager abstempeln, wenn sie dies nicht schon längst getan hatten. Kamon mochte seine Eltern nicht wirklich. Und seine Eltern vermittelten Kamon den Eindruck ihn ebenfalls nicht zu lieben. Es war hart für ein Kind unter diesen Bedingungen aufzuwachsen. Solche Eltern, Identitätskrise, der schulische Druck, das alles hinterliess Spuren. Spuren, welche erst bei Dan so richtig sichtbar wurden. In Dans Gegenwart konnte Kamon sich fallen lassen. Sein wie er wirklich war. Dan verstand ihn, tröstete ihn, hielt Kamon ihn seinen Armen, half ihm den Schmerz erträglicher zu machen. Auch wenn dies kurzzeitig helfen mochte, es reichte nicht. Trost und Verständnis reichten nicht mehr aus, um einen solch kaputten Menschen zu retten. Das waren sich auch Dan und Kamon bewusst. Irgendeinmal würde es explodieren und nichts war mehr wie vorher. Sie sprachen es nie aus, doch wissen taten es beide. Einer von ihnen würde handeln müssen. Kamon war es, der den ersten Schritt wagte. Abgeschlossen mit der Welt und völlig am Ende entschied er sich dazu, dass er genug ertragen hatte. Er wollte den Schlussstrich ziehen. Doch er hatte Angst. Angst was kommen würde. Er wollte nicht allein sein, nahm er seinen letzten Atemzug. Er wollte, dass die einzige Person, die ihn jemals vollkommen ernst genommen hatte, ihn den Armen hielt und bis zum Ende blieb.

Dan hatte Vorahnungen. Realisierte bereits vor langem, dass sein Freund nicht mehr lange durchhielt. Er wusste, seine Existenz würde bald nicht mehr ausreichen, um Kamon einen Grund zu leben zu geben. Er hatte einen Plan. Er musste lediglich warten, bis Kamon ihm das Startzeichen dafür gab. Dan liebte Kamon über alles. Er hätte alles für ihn gegeben. Und mit genau dieser Absicht gestaltete er seinen Plan.

Den Start gab Kamon zwei Wochen später. Wieder einmal psychisch völlig am Ende, das Niveau seines Studiums belastete ihn aktuell am meisten, war er übers Wochenende heimlich zu Dan gefahren. Er wollte einfach abschalten und nicht an all diese beschissenen Dinge denken müssen. Seine Eltern jedoch, machten ihm einen Strich durch die Rechnung. Schon als er am Sonntagmorgen von Handyklingeln geweckt wurde und den Namen seiner Mutter auf dem Display las, wusste er, dass etwas nicht stimmen konnte. Nur zögerlich hob er ab. «Hallo, Mama?», seine Stimme lediglich ein unsicheres Flüstern. Im Gegensatz zu seiner Mutter. Ihre Stimme war vorwurfsvoll und laut: «Dein Vater hat dein Tagebuch gefunden. Die Fotos darin sind schrecklich.» Kamon schloss seine Augen, musste schwer schlucken. Die Fotos. Es waren Aufnahmen von Dan und ihm. Unverkennbar als Paar. «Nun kann ich mir auch erklären, warum du deine Freundin nie nach Hause bringen wolltest. Ich nehme an du bist bei ihm. Glaub mir, wenn du nach Hause kommst, kannst du ein Donnerwetter erwarten!», damit legte sie auf. Ohne Verabschiedung, einfach so. Eine kleine Träne ran über Kamons Gesicht. Es war so weit. Er war offiziell am Ende angelangt, konnte nicht mehr, sah keinen Ausweg mehr. Er hatte schon lange damit gerechnet, dass sie es eines Tages herausfinden würden. Kamon war darauf vorbereitet. Ein Blick auf seinen immer noch schlafenden Freund entlockte ihm ein kleines Lächeln. Er stand auf und tapste mit leisen Schritten Richtung Küche. Kaum war er ausser Hörweite schlug Dan seine Augen auf. Er hatte nicht geschlafen und das ganze Gespräch mitangehört. Kamons Mutter war unüberhörbar gewesen. Auch er hatte leider damit gerechnet. Und er war sich ebenfalls bewusst, dass Kamon damit höchstwahrscheinlich nicht klarkommen würde. So leise wie möglich schlich auch er in die Küche. Blieb aber im Türrahmen stehen. Mit einem traurigen Lächeln beobachtete er den hantierenden Kamon, der unverkennbar Frühstück zubereitete. Jede seiner Bewegungen überwachte er genau, um ja nicht diesen einen Moment zu verpassen. Dan entging es nicht, wie Kamon eine kleine Tüte aus seiner Hosentasche fischte und das weisse Pulver in eine der beiden frisch gebrühten Tassen Kaffee schüttete. Kaum war dies geschehen wandte er sich ab und schlüpfte zurück in sein Schlafzimmer. Er wusste genug. Dan trat an seinen Schreibtisch und öffnete die oberste Schublade. Darin befand sich bloss ein Gegenstand. Ein weisser Brief. Dan hatte ihn schon vor längerer Zeit geschrieben. Er beinhaltete alles, was er noch jemals zu Kamon hätte sagen wollen. Alles wichtige, aber noch Unausgesprochene. Sorgfältig nahm er ihn hinaus und platzierte ihn auf Kamons grüner Reisetasche. Der Brief würde ihm nicht sofort auffallen. Aber zu gegebener Zeit würde Kamon ihn finden, da war Dan sich sicher. Schnell huschte er zurück ins Bett, stellte sich wieder schlafend. Kurze Zeit darauf vernahm er Schritte. Verschlafen, so als wäre er gerade aufgewacht, schauspielern lag ihm, öffnete er seine Augen und erblickte seinen Freund. Kamon stand vor ihm und balancierte ein Tablett, gefühlt mit dem herrlichsten Frühstück, dass Dan wohl je gesehen hatte. Vorsichtig stellte Kamon das Tablett auf dem Nachtisch ab und kletterte zurück ins Bett. Fragend, ahnungslos spielend, blickte Dan ihn an. «Ich wollte dich überraschen. Ich hoffe es schmeckt dir.», beantwortete Kamon die unausgesprochene Frage. Dankbar lächelte Dan. «Wärst du so lieb und holst mir meine Tabletten? Ich mag gerade noch nicht aufstehen.», fragte Dan, seinen Eisenmangel ausnutzend, so lieb er konnte. Kamon kam seiner Bitte sogleich nach. Kaum war er aus dem Zimmer, Richtung Bad verschwunden, handelte Dan. Er tauschte die beiden Tassen. Wissend, dass er so Kamon einen Grund schuf, zu leben. Starb er, musste jemand für ihn weiterleben. Und dieser jemand war Kamon. Genau dies hatte er auch ihn seinen Brief geschrieben, den Kamon finden würde. Kamon sollte für Dan weiterleben. All diese Dinge tun, die sie noch zusammen vorgehabt hatten. Und vor allem eines; Er sollte glücklich werden.

«Hier.», Kamon war wieder gekommen und hielt Dan eine Packung Tabletten hin. Er krabbelte zurück ins Bett und reichte Dan eine Tasse Kaffee, davon ausgehend, dass es immer noch diejenige ohne Gift war. Zielstrebig griff er nach der anderen und trank einen Schluck. Kamon war bereit. Bereit zu sterben. Doch auch Dan war dies. Er wusste, hatte er einen Schluck getrunken, würde ihm nicht mehr lange bleiben. Es war aber okay. Er hätte sich nichts sehnlicher gewünscht, seine letzten Minuten friedlich mit Kamon zu verbringen. Und so trank auch er.

Geschrieben wurde dieser One Shot vor ungefähr einem halben Jahr. In einer Phase, in der ich praktisch täglich geschrieben habe. Inspiriert wurde ich in dieser Zeit von allem was mich umgab. Freunde, Arbeit, Erlebnisse, Serien oder Filme. Deshalb kann ich gar nicht so genau sagen, wie ich auf diese Idee kam.
Eine gute Freundin meinte aber, dieser One Shot sei wohl meine Traumvorstellung von einem guten Thai - Bl- Drama und ich denke so unrecht hat sie vermutlich gar nicht. :)

Random One Shots from a random personWhere stories live. Discover now