Weil Einkaufen überfordernd sein kann

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Triggerwarnung: Sozial Phobie

Meine Hände zitterten, als ich nach der Packung griff. Gleich danach bereute ich es wieder und stellte sie schnellstmöglich zurück. Hoffentlich hatte das niemand gesehen! Das wäre peinlich! Doch noch schlimmer war es für mich, diese verdammte Chips Packung zu kaufen. Was würde die Verkäuferin von mir bloss denken? Das es klar war, dass so jemand wie ich lediglich fettiges, süsses Zeug kaufte? Skeptisch betrachtete ich meinen Einkaufskorb. Popcorn, Schokolade, Gummibärchen und noch einiges mehr. Ich könnte ihr ja erklären, dass dies alles für die Geburtstagsparty meiner Schwester war. Nein, das würde auch wieder komisch rüberkommen. Frustriert fuhr ich mir durch meine Haare. Nun, da musste ich wohl einfach durch. Seufzend liess ich die Chips hinter mir und bewegte mich im Schneckentempo auf die Kasse zu. Die Gedanken, was wohl die anderen Kunden von mir dachten, spuckten laut in meinen Kopf herum, während ich konzentriert mein Geld zählte. Zum vierten Mal. Meine Mutter hatte mir dies gegeben, mit der Bitte für die Party einkaufen zu gehen. Laut meinen Berechnungen sollte ich sogar ein klein wenig Restgeld haben. Ein weiteres Mal zählte ich durch, wurde allerdings unterbrochen, als ich bemerkte, dass ich bei den Kassen angelangt war. Mit mulmigem Gefühl begann ich die Produkte auf das Band zu legen. Meinen Blick stur auf den Boden gerichtet. Auf einmal bemerkte ich wie sich jemand hinter mich anstellte. Bitte nicht jetzt! Ich hasste es umgeben von Menschen zu sein. Vor mir, hinter mir Kunden, links und rechts Kassierinnen. Jede Fluchtmöglichkeit so ausgeschlossen. Panik stieg in mir auf. Trotz hektischem Atem versuchte ich ruhig zu bleiben. Ich hatte es bald geschafft! Nur noch wenige Minuten! Endlich kam ich dran und die Kassiererin begann meine Waren zu scannen. «26.75 bitte.», nannte sie mir den Preis und ich reichte ihr zitternd mein Geld. Sie zählte es durch und hob ihren Blick wieder. «Entschuldigung junges Fräulein, aber da fehlen noch zwei Franken.» Entsetzten leuchtete in meinen Augen auf. Was machte ich jetzt? Ich hatte mich also doch verrechnet! Shit, wie sollte ich sagen, dass ich kein Geld mehr hatte? Ich wurde panischer, als eh schon und versuchte fieberhaft nach einer Lösung zu suchen. Der ungeduldige Blick der Frau half mir dabei gar nicht. «Hier. Das sollte reichen.» ,vernahm ich auf einmal eine weibliche Stimme hinter mir und eine zierliche Hand streckte der Kassiererin den fehlenden Betrag hin. Überrascht drehte ich mich um. Hinter mir stand wohl das schönste Mädchen der Welt. Ihre langen, braunen Haare locker zu einem Dutt zusammengebunden und sportlich gekleidet. Ihre Lippen zierten ein warmes Lächeln, als die Kassierin das Geld entgegennahm. Immer noch völlig aus der Fassung starrte ich sie an, dabei nicht bemerkenden wie ihre Wangen dadurch einen leichten roten Schimmer annahmen. Das Räuspern der Kassiererin katapultierte mich wieder zurück in die Realität. «Ich wäre Ihnen sehr verbunden würden sie Ihre Ware einpacken, es warten auch noch andere Kunden!», motzte sie mich mit einem falschen Lächeln an. Erschrocken begann ich hektisch die Süssigkeiten in meine Tasche zu stopfen, innerlich gleichzeitig mit meinen Gedanken ringend. Gedanken darüber, wie sehr ich mich gerade eben blamiert hatte. Was würde die Kassierin nun wohl von mir denken? Und dieses fremde Mädchen erst? Mit gesenktem Kopf und schnellen Schritten verliess ich eilig das Einkaufszentrum. Ich wollte so schnell wie möglich nachhause. In mein Bett. Dort konnte ich niemanden mehr nerven oder im Weg stehen. Auf einmal allerdings vernahm ich laute Schritte hinter mir. «Hey, warte!», rief eine Stimme. Zögerlich drehte ich mich um und blickte nach oben. Völlig ausser Atem blieb das Mädchen von eben neben mir stehen. Kurz kramte sie in ihrem Turnbeutel herum, ehe sie eine Chips Packung herauszog. Genauer gesagt genau dieselbe, welche ich mir eben noch im Laden angeschaut hatte. «Hier. Ich habe gesehen, dass du sie haben wolltest. Also dachte ich mir, ich nehme sie dir einfach mit.», mit diesen Worten überreichte sie mir die Packung. Mit grossen Augen starrte ich mein Gegenüber verblüfft an, unfähig etwas zu sagen. Innerlich machte sich die altbekannte Nervosität bemerkbar. Ich sprach nicht gerne mit fremden Leuten. «Danke.», murmelte ich und wollte mich bereits abwenden, als das Mädchen erneut zu sprechen begann: «Ich bin übrigens Minah. Freut mich dich kennenzulernen.» Ein einfaches Nicken meinerseits. Ich war zu überfordert. Ich hasste Smalltalk. Doch Minah gab nicht auf: «Wie heisst du?» «Talisa.» «Oh, das ist ein schöner Name. Und falls du dich fragst, warum du mich hier noch nie gesehen hast. Ich bin erst seit drei Tagen hier. Meine Familie und ich sind frisch hierhergezogen.» Wieder nickte ich einfach. Was hätte ich darauf erwidern sollen? Das ich schon mein gesamtes Leben lang in diesem beschissenen Kaff lebte, welches nebst allerhand homophoben Leuten auch viel zu viele Gerüchte anbot? Nein, ganz bestimmt nicht. Minah schien dies jedoch nicht zu stören, sie quatsche einfach weiter: «Wenn du willst, können wir uns ja mal auf einen Kaffee treffen. Natürlich geht auch Tee. Also falls du keinen Kaffee magst. Warte, ich gebe dir meine Nummer. Dann kannst du mir einfach schreiben, wenn du Lust hast.» Ehe ich mich versah, wühlte sie erneut in ihrem Turnbeutel und holte einen Stift hervor. Fordernd streckte sie ihre Hand aus: «Gib mal deinen Arm.» Zögerlich hob ich meinen Arm. Ohne Vorwarnung kritzelte sie ihre Nummer auf meinen Unterarm. Während sie ihren Stift wieder einpackte, warf sie einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr: «Oh, ich muss dringend los. Meine Familie wartet auf ihr Abendessen. War aber schön dich zu treffen und hoffentlich bis zu einem nächsten Mal.» Und schon war sie weg. Mich liess sie völlig verwirrt zurück. Für einige Sekunden betrachtete ich die Zahlenfolge auf meinem Arm und musste lächeln, als ich das kleine Herz hinter der letzten Zahl bemerkte. Dieses Mädchen war eindeutig ein Fall für sich. Doch einen wusste ich ganz bestimmt. Es würde bestimmt nicht lange dauern und sie würde zu den wenigen Personen gehören, welche meine soziale Batterie nicht aufbrauchen würden. Nein, ganz im Gegenteil. Auch wenn ich mir vielleicht noch nicht ganz im Klaren darüber war. Aber irgendein kleiner Teil in mir hoffte, dass sie einmal die Person werden würde, bei der ich meine soziale Batterie aufladen konnte. Oder in anderen Worten: Meine grosse Liebe.

Eine kurze Geschichte über meine grösste Phobie. Nur das ich bisher leider noch kein solch erfolgreiches Ende hatte. :)

Random One Shots from a random personWhere stories live. Discover now