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Dunkle Wolken zogen an dem noch dunkleren Himmel entlang und verdeckten hin und wieder den Vollmond. Elias schlug den Kragen der geklauten Daunenjacke hoch und ärgerte sich, dass er den Schal des Toten nicht auch noch genommen hatte. So viel zu Sitte und Anstand, dachte er und spuckte auf den Boden. Sitte und Anstand hielten einen nicht warm und die Toten brauchten keine Kleidung mehr.

Beim nächsten Mal mache ich es einfach, schwor er sich und nickte kräftig, wie um sich selbst zuzustimmen.

Hinter ihm kicherten Ben und Nick laut. Zu laut.

»Seid still, ihr Idioten!«

Sofort kauerten sich alle drei tiefer in die Trümmer des ehemaligen Wohnhauses. Niemand machte ein Geräusch. Sie lauschten, ihre Augen huschten von einem Schatten zum nächsten. Blickten in die Wolken, zu den gegenüberliegenden Häusern. Ein paar standen noch. Mehr waren eingestürzt, ausgebrannt oder dem Erdboden gleich gemacht.

Stille.

Elias hörte nichts, außer den Wind, der eine leere Plastiktüte über die Straße fegte. Etwas knurrte aus dem Autowrack, dass mitten auf der Kreuzung stand, aber er wusste, dass es der räudige Köter war, der ihnen schon seit Tagen immer wieder auflauerte. Scheißhunde. Auch nicht mehr das, was sie mal waren.

Die Stille hielt an. Elias drehte sich um. Ben und Nick blickten ihn unteren ihren Basecapes hervor an. »Sorry Boss. Das lange Warten. Wir hatten vergessen...«

»Ihr hattet es vergessen?« Elias packte beide jungen Männer am Kragen. Sie folgten der Bewegung nach oben, schluckten. »Ich hattet vergessen, dass die ganze Scheißstadt ein Scheißverdammtes Dämonennest ist? Ihr hattet vergessen, dass wir seit Stunden hier hocken, damit die anderen was zu essen bekommen?« Er schüttelte die zwei. »Ihr hattet vergessen, dass wir jeder Zeit sterben können, wenn die Scheißdämonen uns hören?«

Hätte er sie angeschrien, wäre wohl der Trotz des jungen Alters hervor gekommen, aber Elias schrie nicht. Nicht wenn sie draußen waren. Er flüsterte. Das Flüstern glich einem Orkan an Vorwürfen, gepaart mit Enttäuschung, was Ben und Nick mehr zusetzte, als alles andere es gekonnt hätte. Elias wusste das. Und er wusste, dass sie nun aufpassen würden. Vielleicht hätte er sie nicht mitnehmen sollen, aber hatte er eine Wahl gehabt?

Er sah die beiden an und seufzte. »Hoffentlich werde ich das hier nicht bereuen.«

Mit Handzeichen bedeutete er ihnen, sich zu verteilen. Ben rannte gebückt nach rechts, Nick nach links. Elias selbst drehte sich um, ging einen Schritt zurück und stand nun vollends im Schatten, sodass er, außer von Dämonenaugen, nicht mehr zu erkennen war. Sein Blick glitt von rechts nach links. Er speicherte jeden Stein ab, der auf den Wegen lag. Merkte sich jedes verrostete Autowrack, jede umgebogene Straßenlaterne und jedes noch intakte Fenster. Alle größeren Schutthaufen wurden als mögliche Fluchtwege gesichtet. Elias sah länger in die dunklen Bereiche zwischen zwei Häuserruinen, als nötig war. Ratten quiekten neben ihm.

Ihr seid heute nicht dran, dachte er und setzte seine Beobachtung fort. Die Straße lag ruhig in der Nacht. Weit entfernt knallte es, dann stoben Flammen in den Himmel. Elias grinste. Perfektes Timing. Seine Aufmerksam richtete sich auf die andere Straßenseite. Ein kurzes Aufblitzen einer Taschenlampe, dann wieder Dunkelheit. Nachdem Elias noch einmal lauschte, nickte er und tat den ersten Schritt auf die ungeschützte Straße.

Der Laden, den sie sich für diese Nacht ausgesucht hatten, besaß außer seiner vier Wände nichts mehr, was ihm hätte Schutz geben können. Das Dach war über ihm zusammengefallen, das Schaufenster lag im Innenraum verteilt. Unrat und vertrocknete Exkremente sammelten sich in den Ecken. Kein einladender Ort und nichts, wo man sich länger als nötig aufhalten sollte, wollte man unentdeckt bleiben. Aber die Späher vermuteten noch Konserven in einem zugeschütteten Kellerraum. Seit Tagen trugen sie nachts die Trümmer ab, um zu ihm vorzudringen. Elias würde heute derjenige sein, der ihn öffnete und betrat.

Im Laden angekommen presste er sich in den Schatten. Der Köter lief an ihm vorbei, schnüffelte kurz und pinkelte an ein verrostetes Fahrrad. Der Wind trug die Geräusche aus der Innenstadt bis zu ihnen. Der Köter spitze die Ohren, dann rannte er los. Elias sah sich um, aber die Straße lag nach wie vor ruhig. Er hörte und sah nichts, was nicht auch gestern hier gewesen war. Blut rauschte in seinen Ohren und er atmete bewusst ein und aus, damit sein Herz wieder langsamer wurde. Sein Weg führte Rückwärts bis hinter den Tresen, der wie ein Monolith mitten im Chaos stand.

»Alles sauber«, Ben tauchte lautlos neben ihm auf und Elias zuckte zusammen. Er hasste es, wenn sie das taten, gleichzeitig war es unerlässlich sich geräuschlos bewegen zu können.

»Wo ist Nick?«

Ben drehte sich um. In der Dunkelheit des Ladens erahnte Elias sein Gesicht mehr, als er es sah. Und das allein reichte ihm schon aus.

Zeitgleich stürzten sie aus dem Geschäft, als etwas auf der Straße aufschlug. Flügelschläge knallten über ihnen. Der Mond kroch hervor und schien auf Nicks Gesicht. Blut quoll aus Nase und Mund, sein Bauch war aufgerissen, die Gedärme hingen im Dreck. Ein Bein fehlte. Elias schubste Ben nach rechts, er selbst warf sich nach links. Das Gebäude gegenüber flog in die Luft, Schutt wirbelte auf als ein Dämon auf den Resten landete.

„Zeigt euch, zeigt euch, kleine Menschlein«, sang er halb und kicherte kratzig.

Es roch schwach nach Schwefel. Ein Junger also, mit dem müssten sie klar kommen. Elias presste sich an ein Autowrack, das alte Metall knarzte viel zu laut in die auftretende Stille. Er zog sein Messer aus der Scheide und schüttelte den Kopf. Das wird nicht funktionieren, schoss es ihm durch den Kopf. Langsam streckte er sich und warf einen Blick über die Motorhaube zur anderen Seite. Hoffentlich versteckte Ben sich gut, noch einen zu verlieren stand nicht auf Elias Plan.

„Meeeeeenschleeeeeein, kommt heraus. Das Spiel langweilt mich!« Der Schutt fiel zusammen, als der Dämon sich abstieß und mit starken Flügelschlägen in die Luft flog. Elias drehte sich, konnte aber den Dämon vor dem nachtschwarzen Himmel nicht ausmachen. Er lauschte.

Stille.

Nichts als Stille.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Vor sechzehn Jahren hätte er sich bei so einer Begegnung in die Hosen gemacht, aber nun war er froh, dass es vorbei war. Die Jungen unter den Dämonen verloren schnell die Lust an einer Menschenjagd, das war ihr Glück gewesen.

In diesem Moment landete der Dämon auf dem Autodach, zerdrückte es bis zur Unkenntlichkeit und lachte krächzend. Sein Schwanz wickelte sich um Elias Mitte, die Spitze war auf seinen Hals gerichtet.

Der Dämon zog ihn an sich heran, schnüffelte an seiner Jacke, leckte an seinem Hals entlang. Geifer tropfte ihm auf die Hände, aber Elias gab keinen Ton von sich. »Man kann euch riechen, ihr dummen, dummen Menschlein.«

Am Horizont machte sich der erste Schein des neuen Tages bereit. Der Dämon hatte seine Flügel aufgespannt und wirkte vor der Silhouette der zerstörten Stadt fast schon einschüchtern. Wenn Elias das nicht schon seit so vielen Jahren kennen würde, wäre er beeindruckt. Oder zu Tode verängstigt. Schweiß lief ihm die Stirn herunter und in seine Augen. Er blinzelte, bis seine Sicht wieder klar wurde. Diese Ausgeburten der Hölle beeindruckten ihn schon lange nicht mehr und Angst war etwas, dass man nur einmal hatte: Kurz bevor man starb.

»Was mache ich nun mit dir?« Der Dämon sprang vom Auto und stand auf der Straße, mit dem Rücken zum Laden. Elias hoffte, dass er nicht auf die Idee kam, dort hinein zu gehen. »Was habt ihr hier draußen eigentlich gemacht, Menschlein?« Er schnüffelte in die Luft. »Du bist nicht allein. Das rieche ich. Aber da ist noch mehr...«


DämonentanzWhere stories live. Discover now