Kapitel 3 - Ein neues Zuhause

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Er brachte mich aus dem Gebäude und ich riss staunend die Augen auf. Berge, soweit das Auge reichte. Die Sonne strahlte hell von einem blauen Himmel und ein frischer Wind wehte.

,,Wow", hauchte ich beeindruckt. ,,Wo sind wir?" Denn dies war nicht die Landschaft, die ich gewohnt war.

,,In Kanada", antwortete James und lief schon einen Weg entlang. Hastig rannte ich ihm hinterher, um nicht den Anschluss zu verlieren. Nicht zu fassen. Ich war allen Ernstes in Kanada. Bäume säumten die Strecke einen kleinen Hügel hinauf und als wir oben ankamen, bekam ich meinen Mund nicht mehr zu. Das Gebäude vor uns glich einem riesigen, alten Schloss. Efeu hangelte sich an der Steinmauer entlang und Statuen von irgendwelchen mir unbekannten Göttern erhoben sich majestätisch vor einer großen Eingangstür. Kein Mensch war zu sehen. Blinzelnd verarbeitete ich diesen unglaublichen Anblick.

,,Das ist die Akademie. Hier findet der Unterricht statt. Die Schlafzimmer sind in den oberen Etagen. Es gibt außerdem noch eine Bibliothek sowie eine Sporthalle für das Kampftraining", erklärte James und bei dem Wort Kampftraining schluckte ich. Das klang wirklich nicht gut.
,,Den Speisesaal findest du im rechten Flügel", fuhr er fort und ich hatte ihn noch nie so viel auf einmal reden gehört.

,,Im Moment ist gerade Unterricht. Um halb sieben gibt es Abendessen und ab um zehn ist Nachtruhe, das heißt, niemandem ist es erlaubt sein Zimmer zu verlassen. Ich empfehle dir dich daran zu halten. Es könnte sonst sehr ungemütlich werden und mit Direktorin Frey ist nicht gut Kirschen essen." Das würde ich mir merken, denn ich verspürte nicht das geringste Bedürfnis diese Frau wiederzusehen. James brachte mich durch die riesige Eingangshalle, in der es ebenfalls von Statuen nur so wimmelt, über ein lange Treppe zu meinem Zimmer.

,,Wir sehen uns", meinte er und zwinkerte mir sogar zu. Ich war baff. Das war die erste ziemlich menschliche Aktion, die ich bei ihm erlebt hatte. Ein wenig außer Atem betrat ich mein neues Zimmer. Dieses ganze Gebäude überstieg schon meine kühnsten Vorstellungen und der Raum, in dem ich ab jetzt wohl wohnen sollte, hielt da locker mit. Staunend drehte ich mich im Kreis. Die hohe Decke war mit einer Lampe geschmückt, die Ähnlichkeiten mit einem Kronleuchter besaß. Die Möbel waren was dunklem Holz und alles wirkte ein wenig urig. Doch es gefiel mir ausgesprochen gut. Neugierig inspizierte ich jede Ecke, öffnete den Kleiderschrank und stellte ungläubig fest, dass meine Klamotten alle ordentlich einsortiert waren. Elara Frey hatte es wohl ziemlich eilig mit mir. Schließlich ließ ich mich auf das weiche Bett sinken und strich mit den Fingern über die Bettwäsche. Dieser Tag schien an mir vorbeigerauscht zu sein. Alles war verschwommen und viel zu schnell passiert. Ich seufzte tief. Ab jetzt würde sich mein ganzes Leben ändern. Das wusste ich deutlich. Zwar wollte ich nicht glauben, dass ich spezielle Kräfte hatte, doch der halbtote Wächter und der Blumentopf bewiesen klar das Gegenteil. Beim Gedanken an den Mann stieg Übelkeit in mir auf. Ich hatte fast ein Menschenleben auf dem Gewissen. Ob ich je damit leben konnte ... Um mich abzulenken stand ich rasch auf und fuhr mir durch die Haare.

Bis zum Abendessen waren es noch fast zwei Stunden und mein Verlangen danach die anderen Schüler kennenzulernen hielt sich extrem in Grenzen. Ich war nicht gut darin Freunde zu finden. Vielleicht weil ich nie die Zeit gehabt hatte, es zu versuchen. Wegen der ständigen Umzüge, die auf einmal einen Sinn ergaben, hatte ich nie die Chance gehabt Freunde zu finden und später hatte ich es einfach nicht mehr gewollt. Zu groß war meine Angst sie nach wenigen Wochen wieder zu verlieren. Wieder seufzte ich und mein Leben kam mir auf einmal nicht mehr so glanzvoll vor wie noch vor einigen Stunden. Meine Mutter hatte gewusst, dass ich anders war. Deswegen waren wir ständig umgezogen. Sie wollte nicht, dass ich hier landete. Dass ich überhaupt erfuhr, wer ich wirklich war. Komischer Weise konnte ich ihr nicht böse sein. Wahrscheinlich hatte sie mich nur beschützen wollen und das konnte ihr niemand verübeln. Plötzliche Sehnsucht nach einer tröstenden Umarmung von ihr überkam mich und ich musste mich zurückhalten, um nicht unüberlegt loszulaufen und nach ihr zu suchen. Stattdessen setzte ich mich an den Schreibtisch und begann zu zeichnen. Zeichnen gehörte zu einer meiner größten Leidenschaften und innerhalb weniger Minuten war ich vollkommen in meine Arbeit vertieft. Stifte glitten über das Papier, Schattierungen entstanden, Farben leuchten auf. Schließlich betrachtete ich mein Werk und runzelte kritisch die Stirn. Elara Freys kalter Blick hatte sich in mein Gehirn gebrannt und nun schien sie mich vom Blatt aus zu mustern. Ihre Augen waren vielleicht ein Tick zu grün, aber die Kälte darin war unübersehbar. Zufrieden lehnte ich mich zurück und streckte meine Finger. Dann wurde mir siedend heiß klar, dass ich wahrscheinlich die Zeit verpasst hatte. Mit diesem Gedanken sprang ich auf, klopfte meine staubigen Hände an meiner Jeans ab und lief aus dem Zimmer.

Auf dem Flur herrschte reges Treiben. Mädchen und Jungen zwischen allen Altersgruppen gingen lachend umher. Einige Blicke streiften mich und ich verspannte mich augenblicklich. Unbehaglich folgte ich dem Strom die Treppe hinunter in den Speisesaal, der mich sofort an ein Nobelrestaurant erinnerte. Runde Tische mit weißen Tischdecken, silbernes Besteck und hübsch Blumendekoration. Schüler strömten an mir vorbei, setzten sich auf Stühle. Die Stimmung war wie in einer normalen Cafeteria. Bis mir die ungewöhnlichen Dinge auffielen. Ein Junge entzündete Kerzen mit den Fingern und an einem anderen Tisch goss ein Mädchen mit blondem Haar ihr Wasser mit einer einzigen, eleganten Handbewegung in ein Glas. Das war wirklich verrückt. Wie bestellt und nicht abgeholt stand nun ich im Saal und wusste nicht recht wohin. Letztendlich gab ich mir einen Ruck und griff nach einem Teller. Das Essen erschien mir genauso fein wie der ganze Saal an sich. Viele Namen der Gerichte konnte ich nicht einmal entziffern so exotisch waren sie. Am Ende entschied ich mich für Kartoffelgratain mit irgendeinem Stück hauchzartem Fleisch und Gemüse, von dem die Hälfte in meinen Augen undefinierbar aussah. Dann machte ich mich auf die Suche nach einem freien Platz und fand nach einigem herumgerenne einen etwas abseits vom Rest der Tische. Neben mir saß ein Mädchen und musterte mich prüfend.

,,Du bist neu hier, oder?" Ich nickte zögernd.
,,Ich bin Mara."

,,Oh, ähm, Hannah", erwiderte ich stockend und griff nach meiner Gabel.

,,Stopp!", warnte Mara mich so heftig, dass ich zusammenzuckte.

Verwirrt schaute ich sie an.

,,Wir dürfen erst essen, wenn Direktorin Frey es erlaubt."

,,Wirklich?" Sie nickte ernsthaft und ich seufzte. Warum musste das alles so kompliziert sein?

,,Meistens kommt sie nicht so spät", erzählte Mara munter weiter und ich stöhnte innerlich auf. Mein Magen knurrte schon seit ich unsanfter Weise um mein Mittag gebracht worden war.

,,Also, was für Kräfte hast du? Ich beherrsche Erdmagie. Also halbwegs jedenfalls." Sie grinste mich an und langsam begann ich mich zu entspannen. Mara schien ganz nett zu sein.

,,Na ja, laut Elara Frey habe ich Luftkräfte. Aber das ist alles noch total neu für mich."

,,Oh, dann hast du ja die gleiche Gabe wie die Direktorin. Weißt du, Elara Frey ist die mächtigste aller Elementarys. Sie beherrscht ganze zwei Gaben perfekt. Luft und Wasser", flüsterte Mara verschörerisch und ich zog meine Augenbrauen in die Höhe. Da ich noch keine Ahnung hatte, was ich davon halten sollte schwieg ich.

Plötzlich wurde es um uns totenstill und Mara verstummte abrupt. Suchend reckte ich den Kopf und entdeckte die Direktorin auf einem erhöhten Podest. Noch immer trug sie dasselbe Kleid wie vor drei Stunden und strahlte eine ungeheuerliche Autorität aus. Kalte Macht ging von ihr aus und ich schauderte. Ihr Blick wanderte über die Tische und blieb schließlich bei mir hängen. Es kam mir vor als musterte sie mich länger als die anderen. Krampfhaft zwang ich mich ihrem Blick standzuhalten, bis sie den Kontakt unterbrach. Mit einer eleganten Handbewegung gab sie das Zeichen zum Essen und sofort brach das Gelächter von neuem los.

,,Gruselig, findest du nicht?", fragte Mara und ich glaubte zu wissen, was beziehungsweise wen sie meinte.

,,Hm", erwiderte ich und schob mir eine Gabel des Kartoffelgratains in den Mund. Es schmeckte erstaunlich gut. Ein bisschen cremig und mild. Genauso wie der Rest, der sich auf meinem Teller befand. Die Köche hier hatten wirklich etwas drauf, aber mit meiner Mum konnten sie es nicht aufnehmen.

Academy for Elementarys 1 - Verborgene KräfteWhere stories live. Discover now