• Tulpen

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Den Vormittag des nächsten Januartages verbrachte Ava damit, einen Kuchen zu backen. Ihre Freundin Em würde am Nachmittag vorbeikommen und Ava wollte sie auf keinen Fall mit leeren Händen empfangen. Das Backen hielt sie außerdem vom Nachdenken ab, doch die Stille hielt nicht lange in ihrem Kopf an.

Als sie das Kuchenblech in den Backofen schob und sich den dicken, grünen Handschuh von den Fingern zog, da fiel ihr Blick auf die Blumenvasen, die vor ihr auf der Küchentheke standen und mit einem Mal, waren all die Gedanken in ihrem Kopf zurück. Gedankenverloren zupfte Ava ein Blütenblatt von einer Gänseblume und betrachtete die weiße Blüte auf ihrer Fingerspitze einen Moment lang. Ihre Mundwinkel zuckten leicht, als sie sich an ein Spiel erinnerte, das sie damals bereits mit Em in der Grundschule gespielt hatte. Doch nun Er liebt mich, er liebt mich nicht zu spielen, kam Ava lächerlich vor.

Die weiße Blüte rieselte von ihrem Finger und nach einem Blick auf den kleinen Strauß mit den Gänseblumen, warf Ava auch diesen in den Mülleimer, denn die Blumen sahen längst nicht mehr so schön aus, wie sie es vor zwei Tagen noch getan hatten. Die Lilien allerdings blühten noch immer und verströmten einen herrlichen Duft in Avas Wohnung.

Es roch nach Frühling und wenn sie die Augen schloss und die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut spürte, die durch das Küchenfester hindurch auf ihr Gesicht fielen, da fühlte es sich so an, als wäre der Frühling längst da, doch draußen war es noch immer fürchterlich kalt. Avas Blick blieb für einen Moment lang an den Lilien hängen und schließlich füllte sie frisches Wasser in die Vase. Sie roch an den Blumen und im selben Moment, indem die Kirchturmuhr der Stadt zwölf Uhr mittags schlug, da wanderten Avas Gedanken zu ihm zurück.

Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen, denn es war unmöglich, nicht an ihn zu denken. Die Blumen und die Worte, die er für sie niedergeschrieben hatte, ließen nicht zu, dass sie nicht an ihn dachte. Jedes Mal, wenn sie sich dabei erwischte, wie sie an ihn dachte, meldete sich eine leise Stimme in ihrem Kopf, die sie davon abhalten wollte, an ihn zu denken, doch Ava schaffte es nicht. Und das Herz in ihrer Brust schlug bei den Gedanken an ihn schneller als es sollte.

Ihr Herz schmerzte noch immer, aber nicht aus dem Grund, weil er sich nicht bei ihr gemeldet hatte und sie verletzt war, sondern weil sie bereute, was in der Vergangenheit passiert war. Sie hatte ihn so sehr geliebt, wie sie noch nie jemanden geliebt hatte. Er war ihre große Liebe gewesen und ihre Geschichte hatte schneller geendet, als Ava es sich gewünscht hatte.

Erneut drang ein leises Seufzen über ihre Lippen und mit den Gedanken an die Karte, die gestern am Blumenstrauß gehangen hatte, ließ sie sich auf dem blauen Sofa nieder. Sie drückte ein gestreiftes Kissen auf ihren Schoß und erinnerte sich daran, wie sie sich am gestrigen Abend mit einer Tasse heißer Schokolade in ihr Bett gekuschelt und die Worte auf der Karte immer und immer wieder gelesen hatte. Sie hatte erst nicht glauben wollen, was dort auf der weißen Karte geschrieben gestanden hatte, doch langsam hatte sie begriffen, was wirklich passiert war.

Sie hatte bemerkt, dass sie die ganze Zeit über angelogen worden war.

Sie hatte bemerkt, dass er wegen eines anderen Grundes verschwunden war und das traf sie beinahe härter als die Tatsache, dass ihr die Wahrheit verschwiegen worden war.

Er war verschwunden, weil er sie vor sich selbst hatte schützen wollen.

Er hatte das alles nur getan, weil er sie nicht verletzen wollte, aber das war in einer Beziehung unmöglich. Das Verletzt werden gehörte dazu und Ava verstand nicht, warum sie nicht bemerkt hatte, dass etwas nicht mit ihm stimmte.

Sie hätte ihm doch helfen können, er hätte ihr gegenüber nur ein Wort erwähnen müssen und sie wäre für ihn da gewesen.

Ava strich sich durch das blonde Haar und als der Backofen piepste, nahm sie den Kuchen aus dem Ofen. Ein köstlicher Geruch breitete sich in ihrem Wohnzimmer aus und dann wartete sie auf Em. Erneut hing sie ihren Gedanken nach, lauschte der Stimme in ihrem Kopf und wie sie so in ihren Gedanken versunken war, verstrich der Nachmittag unheimlich schnell und an diesem Tag war es ein anderes Geräusch, das Ava aus ihren Gedanken hochschrecken ließ.

Es klingelte an ihrer Haustüre und augenblicklich erhob sie sich um in den Flur zu laufen. Sie öffnete die Türe und als sie die braunhaarige junge Frau vor ihrer Türe sah, seufzte sie beinahe enttäuscht auf. Doch dann fiel ihr Blick auf Ems Hand und ihr stockte der Atem.

„Hast du etwa einen heimlichen Verehrer, Ava?"

Em trat an ihr vorbei, sie betrachtete die Tulpen in ihrer Hand und lächelte. Ihre Finger zogen an der Karte, die am Blumenstrauß herabbaumelte, doch bevor sie die gelbe Karte aufklappen konnte, nahm Ava ihr den Blumenstrauß ab. Em beobachtete sie und legte ihren Kopf leicht schief.

„Wer ist es?", fragte sie, während Ava die Tulpen betrachtete.

„Es ist ein heimlicher Verehrer, schon vergessen?", erwiderte sie und lief ins Wohnzimmer zurück. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie kramte nach einer weiteren Vase. Als die Blumen im Wasser standen, schnappte sie sich die Karte und während sie zu lesen begann, kam ein überraschter Laut über Ems Lippen.

„Die Blumen sind von ihm?"

„Liebe Ava,
weißt du, warum ich mich damals in dich verliebt habe?

An dem Abend, an dem wir uns das erste Mal gesehen haben, sahst du wunderschön aus. Du hast den ganzen Abend über gelächelt und ich konnte meinen Blick kaum von dir abwenden. Du hattest etwas Besonderes an dir und ich kann noch immer gar nicht genau sagen, was es war, denn eigentlich ist alles besonders an dir. Erinnerst du dich, wie wir uns im Garten getroffen haben? Du saßt auf dieser Bank, ein fremder Mann hatte sich neben dich gesetzt und obwohl ich deinen Namen zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht gekannt hatte, verspürte ich Eifersucht. Ich wollte nicht, dass dieser Typ neben dir saß. Ich habe mir gewünscht, dass ich an der Stelle saß und deine Hand hielt.

Und das Glück muss an diesem Tag wohl wirklich auf meiner Seite gewesen sein, denn der Mann war plötzlich verschwunden und du hast nicht den Anschein gemacht, als hättest du mit seiner Gesellschaft Freude gehabt. Ich habe mich zu dir gesetzt und du hast mich erst nicht bemerkt. Ich habe dich die ganze Zeit über angesehen und als du meinen Blick erwidert hast und ich in deine Augen gesehen habe, da wusste ich ganz genau, dass du die Frau bist, von der ich immer geträumt habe. Dabei war es egal, dass wir noch kein einziges Wort miteinander gesprochen hatten. An diesem Abend habe ich mich in dich verliebt, Ava. So sehr, wie ich mich noch nie in jemanden verliebt habe.
Ich liebe dich, Ava. Und ich werde niemals damit aufhören."

•••

alicegegie, ich sage nur: Wie du mir, so ich dir.

[ 01. Februar 2018 ]

FlowersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt