Wir hatten, nachdem wir das bisschen Geld bekommen hatten, uns ein Hotel gesucht und sind auch gleich dageblieben. Wir hatten glück, dass niemand uns nach einem Ausweis oder ähnliches in der Art gefragt hat. Es wäre eine ziemliche Erklärungsarbeit geworden, wenn wir hätten sagen müssen, warum wir als zwei Minderjährige alleine in ein Hotel einchecken wollen. Ich war mehr als heilfroh, dem komplett umgangen zu sein.
So hatten wir ein sehr günstigen Schlafplatz für die Nacht. Das Zimmer war so winzig, dass man vielleicht 4 Schritte darin laufen konnte und wir mussten uns ein Bett teilen. Aber ich hatte auch schon schlimmere Nächte durchmachen müssen, soviel stand fest. Außerdem hatten wir schon beisammen in einem Bett genächtigt, und da hatten wir nicht den Komfort von einem Doppelbett.
Jetzt lag ich in unserem kleinen Zimmer auf dem Bett. Kevin war gerade in Bad und wollte sich Bettfertig machen und ich wartete auf ihn. Meine Gedanken hingen immernoch dem missglückten Treffen nach, was heute Nachmittag ablief. Selbst jetzt konnte ich nicht mit Sicherheit sagen, was ich genau fühlte. Einerseits hatte ich jetzt die Gewissheit, die ich so lange Jahre wollte. Andererseits wusste ich nicht, ob das die richtige Entscheidung war. Die Unwissenheit hatte mich so lange beschützt und und irgendwo auch vor dem jetzigen Gefühl bewahrt. Und irgendwie wollte mein Verstand genau dieses Gefühl zurück. Es war paradox, mein Herz empfand es als gut, dass endlich alle Karten auf dem Tisch und alle Katzen aus dem Sack waren. Mein Verstand aber konnte sich nicht mit dem neuen Gegebenheiten anfreunden. Und zwischen beiden Seiten stand ich, flog zwischen ihnen hin und her und wusste nicht, was richtig oder falsch war. Gab es überhaupt ein "richtig" und "falsch"? War meine Reaktion auch einfach nur normal?Als Kevin aus dem Bad kam, nahm ich ihn zwar wahr, doch erwachte ich nicht aus meinem Tagtraum. In meinem Kopf spielten sich tausend Gedanken ab, stellten unzählige Szenarien dar, zeigte mir zahllose Bilder meiner Erinnerung. Es war wie eine Endlosschleife von Gedanken.
"Ich kann das quasi Denken hören",stellte Kevin fest und ließ mich aufschrecken.
"Tut mir leid",antwortete ich ein wenig zu hastig und setzte mich hin. Erschrocken starrte ich zu ihm und hoffte kurz, dass er einfach nicht weiter darauf eingehen würden und wir vielleicht einfach schlafen gehen können.
"Was ist los?",fragte er und setzte sich neben mich.
Da ließ mich wieder mein Glück im Stich.
Ich war etwas berfordert und wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Es war eine Mischung aus Überraschung und Hilflosigkeit.
"Ist es wegen heute?",fragte er weiter und blieb ganz ruhig. Langsam wand ich meinen Blick ab.
"Ich bewundere dich",sprach ich und versuchte das Thema zu wechseln.
"Bewundern? Inwiefern?"
"Wie ruhig du bleibst",antwortete ich und sah in sein schönes Gesicht,"ich an deiner Stelle wäre schon wahnsinnig geworden."
"Warum?",fragte er einfach und konnte das amüsierte Lächeln nicht verstecken.
"Ich finds nicht so toll, wenn ich jemandem alles aus der Nase ziehen muss."
Ich wand den Kopf wieder ab und schloss die Augen.
"Das ist für mich kein Problem",sprach Kevin, der den Wink mit dem Zaunpfahl wohl verstanden hatte,"Ich hab gesehen, was da heute abgegangen ist. Ich kann zwar nur vermuten, was du jetzt fühlst, doch wird das jetzt kein Freudestrahlen sein."
"Ich weiß selbst nicht, was ich fühle",gestand ich und wurde mit jedem Wort leiser. Soetwas tat ich hier nicht jeden Tag und ich hatte immernoch ein riesieges Problem damit, so über meine Gefühle zu sprechen. Nenn es Angst, Unmut oder Furcht.
Nach einer kurzen Denkpause fuhr ich fort:"Auf der einen Seite fühlt es sich gut an, endlich alles zu wissen. Die Antwort zu kennen ist was Schönes und das schätze ich sehr. Aber irgendwie fühlt sich das alles so surreal an, als wäre alles nur ein Traum und die Antworten, die ich in Erinnerungen hab, sind in Wahrheit ganz andere."
Ich atmete einmal tief durch und traute mich wieder zu Kevin zu sehen. Dieser schien zu überlegen und starrte etwas ins Leere.
"Ich kann nichts mehr ändern, das weiß ich",begann er und überlegte bei jedem Wort genau, ob es denn das Richtige sei,"dennoch hätte ich eine Idee. Lass uns morgen, bevor wir wieder mit dem Bus ins Heim fahren, zurückkehren. An den Ort, wo wir heute so schnell geflohen sind."
"Bist du verrückt? Du weißt, dass-"
"Lass mich aussreden. Ich will nicht, dass du zurück in dieses Haus gehst. Da will ich selbst nicht hin. Ich möchte nur bis zu dem Bürgersteig gehen. Weiter nicht."
"Und was willst du da genau tun?"
"Das erfährst du noch früh genug."
Etwas ungläubig sah ich in seine Augen, die mir geheimnisvoll entgegensahen.
"Warum hab ich das Gefühl, dass das eine Falle ist?",fragte ich und kam näher zu ihm.
"Keine Angst",versicherte er und stahl sich einen kleinen Kuss,"Du wirst da schon nicht sterben."
"Okay...",antwortete ich und konnte mir das Grinsen nicht verkneifen,"Hoffendlich willst du da nicht gewisse Dinge tun."
"Jup",antwortet Kevin und schien den Witz zu verstehen,"Weil ich dann bis morgen warten und es in voller Öffendlichkeit mit dir treiben würde, anstatt das Bett hier zu wählen."
"Was weiß ich, Fetisch oder so",antwortete ich und versuchte ernst zu klingen.
Kevin lächelte mich an und gab mir einen Kuss, voller Liebe.
Er hatte sein Ziel wohl erreicht, denn ich fühlte mich besser. Ich konnte zwar nicht genau sagen, wodurch, aber es ging mir besser.
"Lass uns schlafen gehen",beschloss ich, als wir uns lösten.
"Sicher?",fragte Kevin,"hast du keine angst, dass ich wir ein Tier über dir herfalle?"
"Vor dir hab ich keine angst",sprach ich,"so viel Kraft hab ich noch, um es mit dir aufzunehmen."
"Wenn du das sagst. Gute Nacht."
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Mein niederes, komisches Leben im Heim
FanfictionWenn du einmal im Heim bist, kommst du nicht mehr heraus. Dies ist eine Geschichte aus dem Leben eines Menschen in einem Heim, welche durch viele Erlebnisse geprägt ist und durch eine besondere Begegnung komplett auf den Kopf gestellt wird. #Currbi...