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Das Richtige zu tun ist manchmal gar nicht so einfach. Wer definiert überhaupt, was richtig ist und was nicht? Ist es richtig, auf das eigene Herz zu hören, auch wenn das manchmal alles verkompliziert?

Hoch ragt das beige-gestrichene Gebäude vor mir auf. Ein kalter Windzug streicht durch meine Haare. Wir haben Ende Februar, und es ist extrem kalt. Schnell gehe ich also auf das Gebäude zu und trete durch die riesige rote Tür. Auf meinem Stundenplan steht an erster Stelle Literatur, weshalb ich mich in den 1. Stock begebe. Ein paar meiner Mitschüler sitzen schon vor der Tür. Da ist Leyla, eine Austauschschülerin aus Kanada, Nils, einer der beiden Jungs aus dem Kurs, Nova, ein stets überengagiertes Mädchenund schließlich Flin. „Hi" sage ich und lasse mich auf den Boden sinken. „Hey Jean, na wie geht's?" fragt mich Nova, und wir machen ein bisschen Small Talk bis unsere Lehrerin kommt. Während des Unterrichts merke ich, dass meine Gedanken, wie so oft in letzter Zeit, immer wieder abschweifen. Und das obwohl ich den Literaturunterricht eigentlich total liebe. Lesen ist eins meiner größten Hobbys und im Gegensatz zu den meisten Schülern finde ich Schullektüren nicht mal so schrecklich. Solange ich sie verstehe habe ich prinzipiell nichts gegen sie. Zurzeit lesen wir „Der Besuch der alten Dame", was mich sehr freut, weil ich Friedrich Dürrenmatts Schreibstil und Ironie vergöttere. Wir diskutieren gerade darüber, in wie weit das Verhalten der Mitbürger gerechtfertigt ist. Eine eigentlich spannende Frage, auf die ich mich allerdings wie erwähnt überhaupt nicht konzentrieren kann. Ständig wandern meine Gedanken zu Flin. Sie ist eine meiner Mitschülerinnen, ich kenne sie noch nicht allzu lange, da ich erst seit diesem Schuljahr auf dieser Schule bin. Meine Alte Schule hat mich gelangweilt und außerdem wäre dort kein Musikleistungskurs zustande gekommen, deswegen hab ich gewechselt. Über Flin weiß ich noch nicht allzu viel: Sie ist super in der Schule und spielt Volleyball, hat lange glatte braune Haare und ist circa einen Kopf größer als ich. Auch wenn ich noch nie wirklich richtig mit ihr gesprochen habe wirkt sie auf mich sehr schlagfertig und selbstsicher. Aber das wars dann auch schon mit den Informationen, die ich über sie habe. Ich gebe zu, ich bewundere sie. Im Gegensatz zu ihr bin ich tendenziell eher ruhig, obwohl ich mich selbst als offen beschreiben würde. Auch in der Schule ist es bei mir ein ziemliches Auf und Ab und zuhause übe ich lieber Gitarre, lese oder schreibe, als mich über die Schulbücher zu beugen. Wenn ich überhaupt zuhause bin. Ich liebe es nämlich sehr raus zu gehen, in der Natur fühl ich mich automatisch frei. Da kann man so schön alles reflektieren und über Gott und die Welt nachdenken... Und sich in Gedanken verlieren! Genauso wie jetzt. „Jean, wie ist den deine Meinung hierzu, findest du auch wie Nova, dass der Lehrer sich genauso unerträglich verhalten hat wie der Rest des Dorfes?" Ups, Novas stets äußerst ausschmückenden Erläuterungen bin ich jetzt nicht so wirklich gefolgt. Dennoch gebe ich mein Bestes, auf die Frage zu antworten: „Naja, also klar er tritt letztendlich auch nicht für Ill ein, trotzdem traut er sich auszusprechen und einzugestehen, was die anderen im Sinn haben. Es ist allen klar, aber er ist der Einzige, der mal den Mund aufmacht. Eigentlich ist das so wie im echten Leben auch, es gibt halt verschiedene Menschentypen, die jeweils zu differenzieren sind, genauso wie der Lehrer von den anderen Dorfbewohnern zu unterscheiden ist. Wobei Nova schon recht hat mit dem, dass er sich über die Konsequenzen von Ill's Tot freut." „Ein interessanter Ansatz Jean, möchte dem jemand noch etwas hinzufügen oder entgegensetzen?" moderiert Frau Mild. Und so setzt sich die Diskussion fort, ich bringe mich noch ein paarmal ein, aber mein Kopf ist schon wieder an nem anderen Ort.


Flin x JeanWhere stories live. Discover now