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In der Mittagspause treffe ich mich wie jeden Dienstag mit Valery in der Sushi-Bar gegenüber der Schule. Valery ist einer dieser Menschen, die dazu neigen sehr viel von sich zu erzählen. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich sie nicht leiden kann, ich mag sie sogar sehr gerne, es kann ziemlich entspannend sein, sich zurückzulehnen und ihr zuzuhören. Wir schreiben beide gerne Geschichten, auch wenn ich keine wirkliche Intentionen habe, meine jemals zu veröffentlichen, während sie genau darauf hinarbeitet. Ich schreibe nur zum Spaß, ich mag es, mir Charaktere auszudenken und ihnen eine Geschichte zu geben. Wie gesagt, das ist nichts Ernstes, ich veröffentliche manche Storys anonym auf Wattpad, wenn ich zufrieden mit ihnen bin, ansonsten bekommt die niemand zu Gesicht. Aber Valery möchte Schriftstellerin werden, hat vor Geschichte und Literatur zu studieren und in einem Verlag als Lektorin anzufangen. Ich bewundere sie dafür, genau zu wissen, was sie möchte. Es muss ein tolles Gefühl sein, ein klares Ziel zu haben und dann darauf hinzuarbeiten. Davon kann ich bisher nur träumen. Die Vorstellungen meiner Zukunft schlagen gefühlt so oft um wie das Wetter. Gerade redet Valery davon, wie sie ein Referat in Geschichte über Queen Victoria gehalten hat. „Ich finde dieses Thema extrem interessant. Queen Victoria war ihrer Zeit um so viel voraus." Meint sie gerade. „Stimmt, wir können tatsächlich noch viel von ihr lernen." Antworte ich. „Gibt es denn sonst etwas Neues bei dir?" frage ich sie. „Nicht viel... wobei, Flin hat heute ihre GFS in Latein gehalten. Ich schwör's dir, das ist so eine Schleimerin. Bestimmt bekommt sie wieder 15 Punkte, obwohl ihr Vortrag gar nicht mal soo gut war." Meint sie. „Was hast du eigentlich genau gegen sie?" will ich wissen. „Sie wird einfach besser behandelt als andere. Egal was sie macht, alle Lehrer finden es super. Sie könnte dir auch erzählen, dass Fotosynthese in der Wurzel stattfindet und Frau Haus würde ihr freundlich zunicken." Führt Valery aus. „Ach ja klar." Antworte ich, auch wenn ich das Gefühl habe, dass Valery eher eifersüchtig ist. Auf mich hat Flin noch nie falsch oder unehrlich gewirkt. Eher das Gegenteil. Und ich weiß selbst nicht wieso, aber meine Gedanken sind ständig bei ihr. Wir essen unser Sushi zu Ende und machen uns anschließend auf den Weg zur Sporthalle. Sie ist ein paar Ecken weiter, wir fahren also mit der Straßenbahn dahin. „Du denkst doch hoffentlich an die Besprechung morgen in der Mittagspause oder?" fragt mich Valery in der Bahn. Ach stimmt, da war ja was, hatte ich schon fast vergessen. In der Oberstufe mussten wir uns ja für diese Komitees entscheiden, und morgen war die erste Besprechung der Abizeitung, bei der wir uns beide eingetragen haben. „Jep, ich denk schon, dass ich komme." „Das ist wirklich wichtig Jean, diese Zeitung wirst du dein Leben lang haben und noch sehr oft anschauen." Das wage ich dann aber doch stark zu bezweifeln. Ich habe zwar nichts gegen unsere Stufe, aber ich freue mich jetzt schon, wenn ich hier fertig bin.

In Sport machen wir momentan Volleyball. Eigentlich mag ich Ballsportarten, bin darin jetzt aber auch nicht so der Pro. Frau Takt, unsere Sportlehrerin überlässt es nach dem Aufwärmen uns, Dreiergruppen zu bilden, was natürlich erstmal Chaos auslöst. Letztlich lande ich mit Hanna und Flin in einer Gruppe. Es stellt sich bald heraus, dass Hanna die schlechteste aus unserer Gruppe ist(nach der Sorte, die wegrennt, sobald sich der Ball in einer Geschwindigkeit von über 3 km/h auf sie zubewegt), und Flin die Beste, da sie auch privat Volleyball spielt. Ich bediene das Mittefeld. Wir spielen jeweils drei gegen drei. Insgesamt sind wir zehn Gruppen auf fünf jeweils ziemlich engen Spielflächen. Soll heißen: Das Chaos beginnt. Es sind wenige in der Sporthalle, die Kontrolle über den Ball erlangen können, trotzdem versuchen wir ein gutes Spiel zu machen. Ich sehe den Ball von unserer Gegenmannschaft anfliegen, konzentriere mich darauf ihn zu erwischen und merke im Augenwinkel, wie etwas blau-gelbes Rundes mit einer beachtlichen Geschwindigkeit auf mich zugeflogen kommt. Aus dem Team unserer Nachbar-Mannschaft höre ich noch ein Mädchen rufen: „Achtung!" Ich bekomme unseren Ball zu fassen und spiele ihn zu Hanna, bevor ich wirklich realisiere, dass da ja noch ein anderer ist. Ich wende mich ihm zu und sehe ihn einen Meter vor mir in der Luft. Sofort lasse ich mich auf den Boden fallen. Der Ball fliegt über mich weg und fällt direkt in Flin's Hände. Peinlich berührt stehe ich auf „Sorry, ich wollte nicht, dass er dich trifft." Entschuldige ich mich bei Flin. Sie lacht kurz auf, aber nicht abwertend. „Kein Ding, ist bei dir alles klar?" fragt sie. 

Als ich nach dem Unterricht aus dem Gebäude trete und zur Bahnstation laufe, ruft hinter mir jemand: „Hey Jean, warte mal"Ich drehe mich um und sehe Flin, die auf mich zukommt. Mein Herzschlag beschleunigt sich, ich bin plötzlich total aufgeregt, als hätte ich gleich ein Vorspiel. „Hey, na?" „Dein Pass vorhin war nicht schlecht" „Danke, eigentlich hab ich mit Volleyball nicht viel am Hut, obwohl es mir Spaß macht." „Und woran liegt das?" fragt sie mich. Wir laufen nun gemeinsam den Weg zur Bahn. „Zu wenig Zeit für nichts schätz ich" sage ich. „Oh ja, dass kenne ich..." Aus einem mir unerfindlichen Grund weiß ich, dass sie mit dem Fahrrad da ist und gleich abbiegen wird. Ich will aber auch nicht, dass dieses Gespräch hier so schnell endet. Ich hatte vorher nie wirklich etwas mit ihr zu tun, aber es gefällt mir,sie in meiner Nähe zu haben. Fieberhaft überlege ich mir, was ich sie also noch fragen könnte, doch sie kommt mir zuvor: „Kommst du morgen zu dieser Sitzung?"„Ich denk mal schon, kann nie schaden, diesen Übermotivierten zuzuhören"Mittlerweile sind wir an der Weggabelung angelangt und stehen geblieben. Sie lacht auf. „Na ja, an Disziplin an sich ist ja nichts aus zusetzten, aber ich versteh glaub ich, was du meinst. Ich muss langsam los, wir sehen uns ja dann morgen" „Yep, bis morgen dann". Sie dreht sich um und geht davon. Einen kurzen Augenblick bleibe ich noch stehen, und spüre die Frühlingsluft auf meiner Haut.Es ist trotz der Kälte wirklich schön heute. Die Vögel zwitschern und es wirkt alles so frisch und farbenfroh. Heute wäre ein perfekter Tag für einen Waldspaziergang, denke ich mir und setze meinen Weg fort in Richtung Haltestelle.     

Flin x JeanWhere stories live. Discover now