Kapitel 2

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Alles was man vergessen hat, schreit im Traum um Hilfe.

– Elias Canetti


Ich schlage langsam die Augen auf, fühle mich benommen und erschöpft. Die Flüsterstimme in meinem Kopf ist verschwunden und es wirkt seltsam still um mich herum. Zu still. Dunkle, unheilvoll wirkende Nebelschwaden umspielen meinen Körper und ich blicke geradewegs in ein schwarzes Nichts; dort, wo sich für gewöhnlich die Weiten des Himmels auftun, prangt sternenlose Schwärze. Und seltsamerweise weiß ich vom ersten Wimpernschlag an, dass ich diesem Nichts nicht zum ersten Mal entgegen blicke.

⠀In meinen Händen halte ich einen reich verzierten Schlüssel; die filigranen Ornamente in angelaufenem Silber werden von winzigen schwarzen Edelsteinen geschmückt. Der Schlüsselbart jedoch erscheint mir seltsam; auch er ist mit Steinen besetzt und scheint nicht dem üblichen Zweck zu dienen.

⠀Ich rappele mich vorsichtig auf, sehe umher und erblickt nur die dichte Düsternis. Der Nebel wiegt seicht in der kühlen Luft, wird von einer seltsamen Brise fort gewirbelt. Wo bin ich? Und wie komme ich wieder zurück in mein echtes Leben? Mein Kopf hämmert, als ich mich vollends aufrichte und durch meine linke Schulter fährt ein plötzlicher Schmerz, der mir ein Keuchen entlockt.

⠀»Das geht vorüber«, säuselt plötzlich eine nahende Stimme, die mich an Staub und Asche erinnert und die vertraut in meinen Ohren klingt. Ich sehe mich um, doch ich erblicke weit und breit niemanden, zu dem die Stimme gehören könnte. »Einige Seelen haben sich auf dieser Reise schon Verletzungen zugezogen. Aber sei unbesorgt: Die Zeit heilt viele Wunden

⠀Ich möchte zu einer Frage ansetzen – einer von tausenden – doch ich bekomme nichts Gescheites über die Lippen. Mein ängstliches Herz pocht wild gegen meine Rippen, meine Neugier kribbelt mir an der Nasenspitze. Warum sehe ich niemanden? Woher kommt diese Stimme? Ich gehe ratlos ein paar vorsichtige Schritte, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob es die richtige Richtung ist.

⠀»Wer bist du?«, frage ich schließlich zögerlich und bin mir nicht sicher, ob ich die Antwort wirklich hören will. Meine Stimme hallt einen Augenblick zwischen den Nebelschwaden wider, doch ich erhalte keine Antwort.

⠀Wieder schreite ich ein vages Stück vorwärts, halte nach einem Schatten Ausschau, nach einem Umriss, einer Silhouette – doch ich finde nichts.Allmählich ringt die Angst meine Neugier nieder und umklammert mein rasendes Herz mit unerbittlichem Griff.

⠀Und in eben diesem Augenblick erblicke ich ihn: den Raben.

⠀»Zerbrich dir über meine Wenigkeit nicht den Kopf«, erwidert er bestimmt. Die vertraute Stimme will so gar nicht zu der gefiederten Gestalt passen. Bei genauerem Hinsehen fällt mir sogar auf, dass er nicht einmal den Schnabel bewegt. Obwohl die Worte eindeutig von ihm stammen. »Viel wichtiger ist im Moment doch: Wer bist du?«


Das Ticken einer Uhr erfüllte den stillen Raum, der Atem mehrerer Menschen, die scheinbar in unweigerlicher Nähe verweilten. Leise Worte, bedrückende Stimmung.

⠀Louis' Lider flatterten und er spürte gleichauf, wie neue, von Angst getränkte Gedanken auf ihn einstürzten; er dachte an das Nichts und an den Raben, der so plötzlich vor ihm erschienen war. Eine Gänsehaut überfuhr seine Glieder und er erschauderte. Selbst jetzt, wo all dies so weit entfernt schien, begann sein Herz erneut zu rasen. Was war geschehen? War all dies, wovor er eben noch gebangt hatte, nichts weiter als ein sonderbarer Traum gewesen?

⠀»Er wacht endlich auf«, flüsterte in diesem Moment eine nur allzu bekannte Stimme in sorgenvollem Ton und kurz darauf erklang vorsichtiges Geraschel und ein erleichtertes Seufzen aus der entgegen gesetzten Richtung – auch dieser Laut klang vertraut. »Louis, wie geht es dir? Hast du irgendwelche Schmerzen – soll ich Madame Pomfrey rufen?«, flüsterte die Stimme nahe seines Ohrs.

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⏰ Last updated: Apr 05, 2020 ⏰

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