Ein Echo von Leben

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Der Nebelwald hatte seit Jahrzehnten keinen solchen Sturm mehr erlebt. Der Wind fegte zwischen den alten und jungen, den breiten und schmalen Stämmen hindurch, ließ Äste brechen und selbst robuste, tief verwurzelte Bäume waren den Gewalten der Natur ausgeliefert.

Das Getose, welches über die Ebenen von Valdar getragen wurde, war ohrenbetäubend und selbst am Rande des Eismeeres konnte man den Jahrhundertsturm vernehmen; der Himmel war dunkel wie die Nacht und nur einzelne Blitze erleuchteten den Tag zu diesen Stunden.

Wären die lebenden Seelen in Elda nicht vom tosenden Sturm abgelenkt gewesen, dann hätte vielleicht einer der wagemutigen Fischer oder abenteuerlustigen Knaben aus dem Dorf das weite Meer beobachtet und gesehen, woher der Mann kam, der da plötzlich am Ufer der Klippen lag, von Gischt und Seetang umrahmt.

Hohe Wellen schlugen nur wenige Schritte von ihm entfernt gegen den dunklen Stein. Zwei Naturgewalten, die aufeinander krachten wie Titanen. Doch um die reglose Gestalt herum herrschte Stille. Das Meer wagte es kaum seine Stiefel zu umschäumen, die Wellen schienen einen Bogen um dieses Leben zu schlagen und selbst der Regen fiel an diesem Flecken Erde nicht nieder.

Ein gigantischer Blitz jagte über den Himmel, gefolgt von einem Donnergrollen, welches die Welt erbeben ließ und der Mann regte sich.

Langsam und zittrig, als wäre sein Körper ihm fremd, bewegte er die Finger durch den feuchten Sand, versuchte sich mit seinen Unterarmen abzustützen, nur um dann bäuchlings zurück auf den Strand zu fallen. Er röchelte, hustete Wasser aus und schaffte es sich auf den Rücken zu drehen. Das leise Stöhnen, das er dabei von sich gab, ging unter den Klängen des stürmenden Meeres und des grollenden Himmels unter.

Blinzelnd öffnete der Mann die Augen, und als wäre dies ein unsichtbares Zeichen gewesen löste sich die Ruhe um ihn herum auf – Regen peitschte ihm ins Gesicht, Wellen zerrten an seinen Beinkleidern und drohten, ihn ins Meer zu zerren als seien sie Monster der Tiefe mit kalten krallenbesetzten Klauen.

Kraftlos kämpfte er gegen die Naturgewalten an, versuchte, mit seiner schwieligen Hand die harten Regentropfen von seinem Gesicht fernzuhalten, während er sich hustend aufrichtete. Eine große Welle rollte über ihn hinweg, und hätte ihn beinahe mit sich in das schwarze, tiefe Meer hinaus gezogen, wäre dort nicht eine Gestalt aufgetaucht und hätte nach dem erhobenen Arm des Mannes gefasst.

Ein kräftiger Griff hielt ihn fest, und als das Wasser ihn wieder freigab, zerrte die Gestalt den Mann auf die Beine, stützte ihn und führte ihn stumm in Richtung einer steilen Felswand.

Der Mann konnte nichts sehen oder hören, salziges Wasser tropfte ihm von den Haaren, lief ihm in die Augen und vernebelte ihm die Sicht. Stolpernd ließ er sich von der Gestalt führen, die Gedanken taub, hallte einzig ein Sturm unaufhörlich in seinem Kopf wider.

»Gleich haben wir es geschafft! Noch wenige Schritte durchhalten«, erklang die raue, dunkle Stimme seines Retters. Er hatte kaum lauter als ein Flüstern gesprochen und doch war er gegen das tosende Lärmen des Sturms angekommen.

Vor ihm erhob sich die steile, glatte Felswand und erste Zweifel überkamen den Mann. Der Strand endete nur wenige Meter weiter, hatte sein Retter vor, mit ihm den kargen, feuchten Fels erklimmen, der nicht einmal so wirkte, als sei er an sonnigen Tagen zu bewältigen.

Er wollte etwas sagen, die Gestalt darauf hinweisen, dass er niemals in der Lage wäre, die Klippe zu besteigen, als eine kalte Welle die beiden traf und mit eiserner Wucht nach vorne schleuderte. Er verlor den Halt, sein Retter verschwand im eisigen, grauen Wasser des Meeres und erbarmungslos wurde er von den kalten Fluten hin und her gerissen.

Der letzte GottWhere stories live. Discover now