Ein Echo von Tod

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Der Weg abseits begehbarer Pfade durch die sumpfige Landschaft war mühsam und Ilwyd wurde schnell bewusst, dass er seinen Weg nicht trockenen Fußes bewältigen würde. Er war erst wenige Kilometer gelaufen, da musste er sich bereits ein Stück Stoff um die Nase binden um den beißenden Gestank abzuschwächen, der von der fauligen Erde aufstieg. Er passierte einen Hügel, an dessen Fuße eine kleine Häusersammlung zu erkennen war. Auf den Feldern konnte er seltsame Figuren auf jeweils vier Stelzen ausmachen, die über die sumpfige Landschaft staksten und hier und da Scharen von schwarzen Vögeln aufscheuchten, die sich an dem wenigen Erntegut satt fraßen. Die Gestalten, vermutlich Menschen, waren in schwarze Fetzen gehüllt und wirkten wie Monster aus den Alpträumen, die Ilwyd nie geträumt hatte.

Doch er empfand kein Mitleid mit diesen armen Kreaturen, diesen Menschen. Er sah sie, er beobachtete auf seinem Weg wie sie lebten, im Schmutz, verzweifelt, krank und ungebildet, und er empfand nichts. Keine Traurigkeit um dieses verfallene Land, kein Mitleid um das Leben, das gegen den Tod kämpfte und Hoffnung auf eine bessere Zukunft hatte. Die Menschen waren ihm schlichtweg egal, er fand sie höchstens faszinierend - das stand außer Frage - doch je mehr er von ihnen sah, desto mehr bekam er das Gefühl, über den Menschen zu stehen. Seine neu entdeckte Magie spielte dabei definitiv eine Rolle. Er war den Normalsterblichen überlegen, sie würden ihm nichts anhaben können. Doch er...

Wenn es ihm danach dürstete, das spürte Ilwyd tief in sich, vermochte er ihrem jämmerlichen Dasein innerhalb eines Herzschlages ein Ende bereiten. Die Felder verbrennen, das Leben aus ihren kränklichen Leibern zehren und eine Welt aus Asche hinterlassen.

Es war ein Flüstern von Macht, dass ihm Genugtuung verschaffte. Ilwyd verwehrte sich eines boshaften Grinsens nicht.

Als er sich dem Nebelwald weiter näherte, fing sein Kopf erneut an zu brummen. Schnell war ihm klar, dass sein Körper auf diesen seltsamen, vom dichten Nebel verhüllten Ort reagierte.

Es war die Magie, die er spürte. Ilwyd blieb stehen. In den letzten Stunden seines Marsches hatte er immer wieder versucht, diese Energie in sich weiter herauszufordern, an ihre Grenzen zu bringen. Doch es schien ihm so, als hätte er nicht einmal einen Funken seiner Macht verbraucht. Dabei hatte er mit unterschiedlichsten Barrieren und Trugbildern experimentiert, sich für einen kurzen Moment sogar über den Erdboden erhoben und erfahren, dass er imstande war, die Welt um sich herum in kleinsten Details wahrnehmen.

Nun wurde der wolkenverhangene Himmel düster, der Abend hielt Einzug und Ilwyd wusste, es war an der Zeit, einen sicheren Platz für die Nacht finden. Um sich von seinen Gedanken abzulenken, konzentrierte er sich einzig auf den Pfad vor ihm und die großen, alten Bäume, die sich bedrohlich in der Ferne aufbauten.

Der Wald war schätzungsweise einen, allenfalls zwei Kilometer von ihm entfernt, da fand er eine Senke, in der es sich rasten ließ. Ilwyd verzichtete auf ein Feuer. Er hatte getrocknetes Fleisch und fähig, sich mit seiner neu entdeckten Magie warmzuhalten. Zur Nacht lichteten sich die Wolken, wie Ilwyd nicht wissen konnte das erste Mal seit Wochen, und ein klarer, sternenbehangener Himmel bettete ihn zur Nacht.

Doch an Schlaf war nicht zu denken. Was würde ihn bei den Göttergräbern erwarten? Inzwischen vermochte er sogar zu spüren, dass ihn etwas weiter nach Norden zog, an seinem Inneren – seiner Seele – zerrte und ihn führte. Die Worte des weißen Mannes waren mit Ilwyds letzten Erinnerungen zu einem Chorus verschmolzen.

Ein Echo von Leben. Die Götter. Die Stimmen der Vergangenheit.

Ilwyd seufzte und hob seinen Arm ein wenig an. Über ihm entbrannten kleine Lichtfunken, die er mit flinken Fingern durch die Luft dirigierte. Sie folgten genaustens seinen Anweisungen, entzogen sich seinem Willen nicht und es erfüllte den Mann mit befriedigender Genugtuung, dass ihre Existenz und ihr Licht seiner Gnade und seinen Befehlen ausgesetzt waren. Er hatte schnell gemerkt, dass es ihn aufbrachte, die Gewalt über etwas zu verlieren.

Der letzte GottWhere stories live. Discover now