Der Neue

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Als ich wenig später die Schule betrete sind die Gänge schon wie leergefegt. Die erste Stunde hat schon angefangen. Na toll das ist jetzt schon das dritte Mal, und das Schuljahr hat erst angefangen. Wenn ich nochmal zu spät komme hält mir mein Lehrer wieder einen Vortrag und schickt eine Mail an meine Eltern. Das fehlt mir noch. Die wollen mich sowieso schon zu einem Psychologen schicken. Wenn sie dann noch eine Mail von dem "ach so besorgten" Lehrer bekommen, sind sie endgültig überzeugt, dass ich "nach Hilfe schreie".

Der einzige nach dem ich schreie ist Troye.

Bei dem Gedanken an ihn spüre ich wie meine Augen feucht werden. Nein, Skye nicht hier. Schnell wische ich mir übers Gesicht, versuche den Gedanken wegzuschieben und beeile mich zu meiner Klasse zu kommen.

Ich klopfe und öffne die Türe. Ich will gerade ein leises Entschuldigung murmeln, doch dann sehe ich, dass mein Geschichte Lehrer Mr. Hill nicht alleine vor der Klasse steht. Neben ihm steht ein Junge, den ich noch nie gesehen habe. Mr. Hill wirft mir nur einen strafenden Blick zu während ich mich schnell auf meinen Platz setze und meint:  »So jetzt sind wir ja vollständig. Wie gesagt das ist Keaton, er wird ab jetzt in eure Klasse gehen. Keaton möchtest du dich vorstellen?«

Die ganze Klasse wartet neugierig darauf was der Neue zu sagen hat. Er ist groß, hat hellbraune Haare und eine -von meiner Perspektive aus- undefinierbare Augenfarbe. Ich kann schon kommen sehen wie die ganzen aufgetackelten Tussis nach der Stunde über ihn herfallen werden.

Ich kann einfach nichts mit Mädchen anfangen, denen der Inhalt deines Kleiderschrankes wichtiger ist als dein Charakter.

Ach wie Troye und ich immer über solche Mädchen gelacht haben...Wenn ich mal verzweifelt war, keine weibliche Verbündete in meiner Klasse zu haben, hat er einfach seine Kumpels zusammengetrommelt und wir haben was unternommen- wenig Drama, viel Spaß. Wie ich das vermisse...

Ich erwische mich dabei, aus dem Fenster zu starren und richte meinen Blick wieder auf den Jungen, der mittlerweile angefangen hat zu reden. "... ich bin 17 und vor kurzem hier her gezogen."

Wieso kommt er mit 17 Jahren nicht in die Klasse über uns? Wir sind alle 16. Sein Akzent klingt ..britisch? Nein nicht ganz.

Die restliche Geschichtsstunde scheife ich mit meinen Gedanken wieder ab zu Troye und was wir wohl heute machen würden, wäre er noch da. Er mit seinem schiefen Grinsen und seinen schokolade braunen Haaren. 70% Kakao, denke ich und spüre einen Stich im Bauch.

Wie vermutet fallen die Mädchen alle nur so über Keaton her. Er scheint nicht sonderlich begeistert darüber zu sein. Während ich mein Sandwich, das mir meine Mutter noch schnell in die Tasche gesteckt hat, auspacke,  beobachte ich die Situation. Mit einem gezwungenen Lächeln beantworten Keaton halbherzig die Fragen der Mädchen. Nach einem Ausweg suchend schweift sein Blick durch die Klasse. Sein Blick trifft meinen und er lächelt. Ich versuche ein Lächeln und rolle die Augen um zu sagen, dass die immer so sind.

Er nickt und will hinüber kommen, doch Sarah, die Anführerin der Clique hält ihn auf und verwickelt ihn in ein Gespräch.

Gott sei Dank. Ich habe mich bis jetzt erfolgreich von allen zurück gezogen und rede nur das Nötigste mit meinen Klassenkollegen. Schon mein Versuch ein Lächeln zustande zu bringen ist für mich ungewohnt. Außer für meine Eltern habe ich meine Mundwinkel schon länger nicht hochgezogen...

Und ehrlich gesagt reicht das auch. Ich habe kein Interesse jetzt die Unterhalterin des Neuen zu spielen.

In der zweiten und dritten Stunde haben wir Kunst. Mein Lieblingsfach. Zwei Stunden in denen ich einfach zeichnen und mit meinen Gedanken woanders sein kann, ohne aufpassen zu müssen von einem Lehrer erwischt zu werden.

Das Thema ist diesmal Landschaft. Sonst haben wir keine Vorgaben. Ich hole mir ein großes Blatt Papier und fange an in den verschiedensten Blautönen das Meer zu malen. Am grauen Horizont ein kleiner , heller Punkt- die aufgehende Sonne.

Ich bin so vertieft in mein Bild, dass ich zuerst gar nicht merke dass sich jemand neben mich stellt. Als ich es realisiere lasse ich meine Hand mit dem Pinsel sinken, drehe den Kopf und sehe Keaton, der konzentriert mein Bild begutachtet.

"Wahnsinn"

Ich schaue ihn verständnislos an. Was meint er.

"Wahnsinn wie die Wellen einen fesseln"

Er hat gerade ernsthaft mein Bild angeschaut und sich auch noch was dabei gedacht?

"Ahm..danke?"

"Tschuldige...ich bin Keaton, aber das weißt du ja schon"

"Ja..." Wow Skye, wow. Mehr fällt die wohl nicht ein als ja. Naja ist ja auch egal. Der versucht ja eh nur am Anfang mit allen auszukommen. Dann merkt er, dass ich nicht so gesprächig bin und schließt sich eh den anderen an, die haben schon alle aufgegeben sich mit mir zu unterhalten.

Ihn scheint es jedoch nicht zu stören, dass ich so kurz angebunden bin. "Und wie heißt du?"

"Skye"

Bei meinem Namen zuckt er kurz zusammen. Also ich habe ja schon viele Reaktionen auf meinen Namen bekommen. Die nicht.

"Schöner Name", lächelt er. Aber ich merke, dass sich etwas in seiner Stimme verändert hat.

Zum ersten Mal sehe ich ihn richtig an und merke, dass seine Augen auch von nahem keine definierbare Farbe haben. Es ist eine Mischung aus Blau, Grün und Grau, aber wenn man genau hinschaut entdeckt man auch eine Spur von Braun und Orange. Ich merke, dass ich ihn anstarre und schaue schnell weg.

Auf einmal räuspert er sich und deutet auf sein Gesicht. Fragend schaue ich ihn an.

"Du bist da ein bisschen.....mhm...farbig", grinst er.

Ich drehe mich zu der Türe des Kunstraums, auf der ein Spiegel befestigt ist, und muss mir lächeln.

"Ein bisschen? Wieso sagst du das erst jetzt?"

Er zuckt nur die Schultern und versucht nur angestrengt nicht los zu prusten. Dann haltet er es nicht mehr aus und lacht los. Ich kann nicht anders und lache mit. Ich sehe komplett bescheuert aus. Meine Wange ist blauverschmiert und ein graugelbe sprenkel zieren meine Nase. Keine Ahnung wie das passiert ist!

Als wir uns wieder einkriegen, fällt mir auf, dass ich das letzte mal so mit Troye gelacht habe. Ein stechender Schmerz macht sich in meiner Brust breit.

"Ich geh mal auf die Toilette das abwaschen", sage ich schnell und verschwinde durch die Tür bevor mir die Tränen kommen.

Ich höre noch ein verwundertes "okay" bevor die Tür zufällt.

Wenn die Flut kommtWhere stories live. Discover now