Wenn die Flut kommt

Something is changing

Am nächsten Tag saß Keaton schon in der Klasse als ich ankam. Nachdem ich aus dem Kunstraum gerannt war habe ich nicht mehr mit ihm geredet. Nach der Schule habe ich ihn aus den Augen verloren. Ich glaube aber nicht ihn im Bus gesehen zu haben. Ich weiß gar nicht wieso ich überhaupt über diesen Jungen nachdenke. Troye ist seit fast einem Jahr der einzige, an den ich denke. Ich will auch nicht wirklich mit Jungs aus meiner Klasse Kontakt haben. Immer wenn sie mit mir sprechen sehe ich Troye vor mir oder höre seine Stimme. Es ist unerträglich tagtäglich ohne meinen besten Freund auskommen zu müssen, mit dem ich schon von klein auf fast jeden Tag meines Lebens verbracht hatte. Unsere Mütter haben sich kennengelernt während sie mit uns schwanger waren, wir wurden im gleichen Krankenhaus geboren- er nur einen Tag vor mir, wir waren im gleichen Kindergarten, wir gingen beide in die Jefferson Elementary School. Eigentlich wollten wir auch auf die gleiche Highschool gehen, aber Troye wurde an seiner Traumschule-mit Naturwissenschaftlichen Zweigen- aufgenommen, während ich an meiner Schule - mit besonderem Fokus auf Kunst- aufgenommen wurde. Für uns beide war das anfangs eine große Umstellung. Wir haben sonst alles miteinander gemacht. Und mit alles meine ich alles. Von früh bis spät waren wir zusammen, haben abwechselnd bei einander übernachtet und waren unzertrennlich. Troye kannte mich besser als jeder andere.

Ganz in Gedanken versunken schlenderte ich langsam zu meinem Platz. Ich war extra mit dem früheren Bus gefahren um nicht noch einmal zu spät zu kommen. Dafür war ich zu früh da und außer mir waren nur Keaton, Tess, Jason und Alex da. Früher war ich einmal mit Tess befreundet, bis sie beschlossen hat sich Sarahs Clique anzuhängen und mich von einem Tag auf den anderen links liegen zu lassen. Auch mit Jason und Alex verstand ich mich gut. Aber als das mit Troye passierte und ich mit niemandem mehr reden wollte, haben die beiden wohl irgendwann aufgegeben mit mir zu sprechen.

Es war ruhig in der Klasse. Jason und Alex sprachen über irgendeine Party die letztes Wochenende stattgefunden hat und Tess schrieb die Mathe Hausaufgaben ab. Keaton hörte mit seinem iPod Musik. Er schien komplett in die Musik vertieft zu sein. Als er mich sah lächelte er und stand auf um zu mir rüber zu kommen.

Hoffentlich hat er nicht bemerkt dass dass ich ihn gedankenverloren angestarrt habe schoss es mir durch den Kopf. Ich weiß nicht wieso ich diesen Gedanken überhaupt hatte. Normalerweise denke ich nicht daran was andere von mir denken.

Ein warmes "Hey" riss mich aus meinen Gedanken. Keaton, noch immer mit einem Kopfhörer im Ohr, lächelte zu mir hinunter.

"Hey", antwortete ich. Wow Skye, mal wieder ganz kreativ...

"Was hörst du?", fragte ich und deutete auf den iPod in seiner Hand.

"Superheroes von The Script."

"Sollte man die kennen?", fragte ich. Ich höre eigentlich nie die neuesten Lieder, die dann immer rund um die Uhrum Radio laufen.

"Ich weiß nicht", meinte er. "Ist eine Band aus Irland, ich weiß nicht ob  ihr sowas hört."

Irland. Natürlich. Sein Akzent war nicht britisch sondern irisch.

"Skye?" Ich merkte, dass ich wohl etwas abwesend wirkte und richtete schnell meinen Blick wieder auf Keaton.

"Sorry. Du kommst aus Irland?"

"Ja...", sein Blick war auf einmal wehmütig.

"Wieso bist du hierher gezogen?"

Er schien nachzudenken was er antworten sollte.

"Wegen familiären Gründen."

Ich spürte dass das ein kritisches Thema war und fragte nicht weiter nach sondern nickte nur.

"Ist der Platz neben dir noch frei?", fragte Keaton auf einmal.

Überrascht schaute ich ihn an und nickte.

"Na dann, hallo Sitznachbarin",sagte er grinsend und setzte sich auf den Platz neben mir.

Kurz darauf trudelte nach und nach der Rest der Klasse ein.

Die Stunden vergingen viel zu langsam, aber ich war etwas abgelenkt von den anstrengenden Lehrern, weil es es ungewohnt war, in den Pausen mir jemandem reden zu können. Ich erfuhr, dass Keaton mit seinem kleinen Bruder und seinem Vater in einem Appartement wohnte. So wie ich mag er Musik. Er erzählte ein bisschen über seine alte Schule und ich informierte ihn über die schlimmsten Lehrer hier. Überraschenderweise war es extrem einfach mich mir ihm zu unterhalten und es tat mit irgenwie gut mal wieder ein bisschen zu reden.

In der letzten Stunde hatten wir Englisch. Ich war mit meinen Gedanken gerade woanders, als unsere Englisch Lehrerin auf einmal begeistert rief:" Also arbeitet mit eurem Partner eure Meinung über das Thema aus und gebt es mir dann ab. Ihr habt drei Monate Zeit, also lasst euch was einfallen" Dann schwirrte sie aus dem Raum.

Verwirrt schaute ich zu Keaton. "Worum gehts?", frage ich.

"Wir sollen in Zweiergruppen über das Thema Klimaschutz etwas erarbeiten. Na Projektpartner? Irgendwelche Ideen?", grinst er dann.

Überrascht schaue ich zu ihm. Dass er mit mir arbeiten will hätte ich jetzt nicht unbedingt erwartet.

"Nicht wirklich", gebe ich zu.

"Naja wir haben ja Zeit. Wenn du willst können wir uns ja mal bei mir treffen und nachdenken", meint er.

"Ja, können wir machen", sagte ich, etwas mit der Situation überfordert.

"Ich schreib dir meine Nummer auf", beschloss er und kritzelte schon Zahlen auf einen Zettel, den er mir dann lächelnd in die Hand drückte.

"Danke", sagte ich etwas verdutzt. "Wie kommst du eigentlich zur Schule?", fragte ich dann.

"Mit dem Motorrad. Ich würde dich ja mitnehmen aber ich habe keinen zweiten Helm sorry", meint er.

"Oh okay. Danke." Ich habe sowieso eine riesen Angst vor den Teilen und werde mich sicher nicht auf so was setzten, füge ich in Gedanken hinzu.

"Wofür bedankst du dich?"

"Dafür, dass du mich mitnehmen würdest."

"Achso." Er schaute mich teils belustigt, teils verwundert an. "Kein Ding", sagt er dann.

Gemeinsam gingen wir hinaus. Draußen verabschiedete er sich und bog zum Parkplatz ab, während ich zur Bushaltestelle ging.

Im Bus konnte ich einfach nicht aufhören über Keaton nachzudenken. Ich glaube es war der erste Tag seit fast einem Jahr, an dem ich im Bus nicht krampfhaft Tränen unterdrücken musste.