Kapitel 3

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Gerade als ich den ersten Fuß über die Schwelle setzte, flackerten die Deckenlampen einmal kurz auf, erloschen dann jedoch sofort wieder.
Das war merkwürdig. Aber wahrscheinlich nur ein technischer Defekt. Die Night School of Voodoo Magic war ein sicherer Ort, versuchte ich mir einzureden. Movs konnten die Schule noch nicht einmal sehen, also konnte hier auch kein Kettensägenmörder auf mich lauern.
Außer der Mörder war eine Voodoo-Hexe, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf.
"Hallo?" Selbst meine eigene Stimme klang nicht sehr überzeugt. Verdammt. Um meine zitternden Hände zu beruhigen, schob ich sie in die Taschen meines Regencapes. Der billige, grüne Stoff raschelte.
Eigentlich war der Gang nur etwa zwanzig Schritte lang, teilte sich dann in zwei neue Gänge auf, von denen ich den linken zu meinem Klassenzimmer nehmen musste. Zwanzig Schritte. Das war nicht so schlimm, selbst im Dunklen eine kurze Strecke. Meine rechte Hand fand mein uraltes Handy in der Jackentasche, klammerte sich darum, wie um einen Dolch. Sobald ich es einschaltete, warf es einen bläulichen Schein an die Wände. Alle Türen im Flur waren verschlossen. Niemand außer mir hielt sich hier auf.
Das bläuliche Licht erkundete die Holzwände, dann den Boden. Noch fünfzehn Schritte.
Aus unerklärlichen Gründen, klopfte mein Herz immer lauter.
Ganz plötzlich flackerte etwas am Ende des Flurs auf. Der schwache Lichtschein erfasste etwas, oder besser gesagt jemanden. Ohne Vorankündigung, ohne Geräusche. Eine Gestalt stand aufrecht auf einem Stuhl und - ich musste einen Schrei unterdrücken- die Gestalt hatte sich einen Strick um den Hals gelegt. Hope O'Letta, die wohl talentierteste junge Voodoo Hexe der Schule sah mir direkt ins Gesicht. In ihren Augen schimmerte Wahnsinn, die dunklen Lippen umspielte ein irres Lächeln.

Hope war Afroamerikanerin. Kam normalerweise ausnahmslos mit ordentlich geglätteten schwarzen Haaren zur Schule, doch heute standen ihr die Haare in ihrer Naturkrause stumpf vom Kopf ab. Aber das war nicht mal das Schlimmste. Denn Hope O'Letta hatte offensichtlich diesen Moment gewählt, um sich im Schulflur zu erhängen.
Mein Herz setzte einen Takt lang aus. Wenn sie den Stuhl unter ihren Füßen weg trat, würde ihr das Seil das Genick brechen. "Hope?" Meine Stimme war kaum mehr als ein schrilles Jaulen. Ich wollte auf sie zu eilen, stolperte dabei jedoch über meine eigenen Füße. Das Handy fiel mir aus der Hand und mein Kopf krachte gegen die Wand. Was darauf folgte, glich einem absoluten Alptraum: Sterne tanzten vor meinen Augen. Ich hob einen Arm in die Richtung, in der ich Hope vermutete. "Hope. Nein, tu's nicht!"
Nach ein paar Sekunden konnte ich endlich wieder etwas sehen. Glücklicherweise hatte das Handy den Sturz überlebt. Und ich auch.
Nachdem ich es mir geschnappt hatte, rappelte ich mich auf, um auf Hope zuzulaufen. "Warum? Das macht keinen Sinn, Hope!" Meine Stimme krächzte panisch, während mir die Worte unkontrolliert über die Lippen kamen. Dieser Tag konkurrierte langsam wirklich mit meinen Alpträumen um den Titel: "Was ist schlimmer?"
Noch vier Schritte. Gleich war ich bei ihr. Obwohl ich Hope ungefähr genauso gern mochte, wie giftige Sumpfpilze zum Frühstück, konnte ich sie nicht sterben lassen, so viel stand fest. Ich musste versuchen sie aufzuhalten, ihr notfalls eigenhändig den Strick vom Hals ziehen, wenn es sein musste.
Doch dann, als ich schon kurz davor war die Hand nach ihr auszustrecken, geschah es. Hope sprang vom Stuhl. Einfach so. Mit einem kleinen Hopser, der mich an einen Frosch erinnerte. Es knackte, dann baumelten ihre Füße etwa zehn Zentimeter über dem Boden. Ein kurzes Zucken, dann absolute Stille. So knapp!
"Nein!" Mit einem gewaltigen Sprung überwand ich die letzen Meter, schnappte mir Hopes Beine, um sie nach oben zu drücken. So würde sie wenigstens nicht ersticken. Falls sie noch lebte. Das Knacken und ihr lebloser Körper deuteten eher nicht darauf hin.

"Hilfe! Kann mir jemand helfen?!" Hope zu halten war gar nicht so einfach, jedenfalls wenn man selbst kurz davor war vor Panik in Ohnmacht zu fallen.
"Hilfe!" Wo steckten die anderen Schüler?
Ein Kichern ertönte aus dem Gang links von mir. Da es immer noch vollkommen dunkel war und das Handy in meiner Hand gerade Hopes Jeans von hinten beleuchtete, konnte ich nichts erkennen.
Und dann traten drei Gestalten aus dem Gang, bei deren Anblick mir die Augen aus den Höhlen traten. Es waren Cynthia, Electra und Hope! Aber... aber Hope hatte sich doch gerade erhängt. Verwirrt sah ich nach oben zu der toten Hope. Gleichzeitig schalteten sich die Deckenlampen endlich wieder ein. Tatsächlich. Zwei Hopes im exakt gleichen Outfit. Jeans und weißes Top, milchkaffeebraune Haut- nur dass die Haare der toten ungepflegt aussahen, wohingegen die der lebendigen Hope glatt und glänzend bis über ihre Schultern fielen.
Und dann geschah etwas sehr Merkwürdiges. Die Haut der toten Hope und ihre Klamotten begannen zu verschwimmen. Ein leises "Puff" war zu hören und damit löste sich die tote Hope in Luft auf. In meinen Armen. Ohne einen Piep zu sagen.
"Heilige Erzulie! Was geht hier vor?", kreischte ich.
Cynthia, Electra und Hope kicherten. Rasch steigerte sich das Kichern in ein ausgeprägtes Gelächter, das von den Wänden zurückgeworfen wurde. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt, denn offensichtlich wussten sie was hier los war. Langsam dämmerte es mir zwar selbst, aber ich musste es von Hope hören.
Cynthia, die wie Hope Afroamerikanerin war, ihre Haare jedoch im Gegensatz zu Hope immer kahl rasierte und beinahe jeden Tag eine andere Perücke trug, japste vor Lachen, als würde sie gleich ersticken. "Warum? Das macht keinen Sinn, Hope!", äffte sie mich nach. Die Haare ihrer silbernen Perücke, die in Form eines Bobs geschnitten war, schwangen vor und zurück. Cynthia liebte ausgefallene Perücken.
"Also wirklich. Das war zu göttlich", stimmte Hope in Cynthias Lachen ein.
"Ja zu gut!" Vor lauter Lachen musste sich Electra mit den Händen an den Knien abstützen, um nicht umzufallen.

Teenie Voodoo Queen ~Leseprobe~Where stories live. Discover now