Sailhalb Blatt Nr. 1

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„[...] Die ersten Anzeichen des
Aussterbens der magischen
Wesen fand sich in Kaars
Nachlässigkeit weitere Nevanam
mit einer Gabe zu segnen, was
die Heilerinnen langsam aber
sicher ausdünnte. [...]"
- Autor unbekannt
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          Das Fenster ließ sich nur einen kleinen Spalt öffnen, doch die kühle Luft des späten Herbsts half meine Gedanken zu klären. Ich hatte einen Fehler gemacht. Schon wieder. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass seit Moiras Tod mein Leben aus einer Verkettung unterschiedlich schwerer Fehler bestand.
Ich warf meiner Patientin einen wehmütigen Blick zu. Sie hatte ein Glück diese langsam rollende Katastrophe einfach zu verschlafen. Doch dann wiederum zweifelte ich keine Sekunde, dass sie den größten Spaß dabeigehabt hätte, ihren Bruder in Schwierigkeiten zu bringen.

Cinis Wunde besserten sich jeden Tag. Die Adern waren zu einem dunklen Grün verblasst und zogen sich zurück, während ich mein Bestes tat, ihre lange Bettruhe so angenehm wie möglich zu machen.

„Er macht mich wahnsinnig", erklärte ich ihr, meine Hände in der Wasserschale auf ihrem Nachtschrank waschend. Für heute war ich hier fertig. Genau genommen sogar schon seit fast einer Stunde. Aber ich hatte keine Lust, meine Runde fortzusetzen.

„Lichi spricht nicht mehr mit mir", fuhr ich fort und mein Ausdruck wurde nüchtern, „Was ironisch ist, weil ich den ganzen Hof hinter meinem Rücken flüstern hören kann. Wegen eines Tanzes. Den keiner von ihnen gesehen hat." Seufzend trocknete ich mich an meiner Schürze ab. Und es war eben nicht nur ein Tanz gewesen. In Eslaryn wäre es ein Skandal gewesen. Auch, wenn Madame Acó mir alle fremdländischen Tänze beigebracht hatte. Für den Fall, dass ich einen Skandal wollte und nicht wusste wie.

Hinter mir öffnete sich die Tür mit einem verräterischen Knarzen und der Mann allen Übels steckte seinen Kopf herein. Und Moira hatte nicht an Dämonenbeschwörungen geglaubt.
„Wie geht es ihr?" Sein Blick wanderte sofort zu seiner friedlich schlummernden Schwester, ehe er sich einen Ruck gab und vollständig eintrat.

Ich wollte irgendeine lässige Antwort geben. Etwas, das ihm versicherte, dass ich in den gestrigen Abend nicht mehr hineininterpretierte. Ich war eine gebildete Frau, die andere Sorgen hatte. Unter anderem mein Überleben, nach der gestrigen Darbietung.

...und natürlich, was er darüber dachte. Ich hatte seine Worte so lange in meinem Kopf hin und her gewälzt, dass ich irgendwann wütend auf ihn geworden war, dass er mich in diese Situation gebracht hatte. Irgendjemand musste doch schuld sein und heute traf es nun mal ihn. Ihn und seinen dämlichen Schuhfetisch.
„Gut. Sie hat zumindest durchgeschlafen heute Nacht", ich verschränkte die Arme vor meinem Mieder und beobachtete ihn dabei, wie er zum Bett seiner Schwester hinüberging und sich neben ihr auf die Matratze niederließ.

Ich konnte nicht sicher sagen, was er dachte, weil er mir den Rücken zugedreht hatte und er machte auch keine Anstalten, mich in seine Gedanken einzuweihen. 
"Du bist sauer auf mich." Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. 

"Ja." Ich verschränkte die Arme und wollte mich groß machen, nur um im nächsten Moment die Luft wieder rauszulassen. "Nein." Ich wusste es nicht. So gerne ich ihm die Schuld geben wollte, ich hatte angefangen. Er hatte nur tanzen gewollt. 

Yessi hielt in seiner Bewegung inne, die Finger immer noch federleicht gegen die rosige Haut seiner Schwester. Er trug seine Reisekleidung, einen dunklen Mantel gegen den Regen und ein Hemd, das das Symbol seines Hauses zierte. Wo genau wollte er denn hin?

Die letzte NevanamWhere stories live. Discover now