Kapitel 1

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"Liebe Freunde liebe Familie wir haben uns heute hier versammelt, um Abschied zu nehmen. Abschied von meiner Schwester Nadine. Wir alle hatten einen unterschiedlichen Bezug zu ihr." Tief Luft holen Sena. Tief Luft holen. Bewahre einen kühlen Kopf. Wie ein Mantra hörte ich wie meine innere Stimme versuchte mir Mut zusprechen. Es war ein Strohhalm, an dem ich mich inmitten einer mitreißenden Lawine festhalten wollte. Als ich die Augen wieder öffne blendeten mich die bittersüßen strahlen der Sonne. Kräftig scheint sie am Himmel und verspricht einen wunderschönen Tag. Zumindest für all jene die sich heute nicht hier versammelt haben. Für alle außer mich, ging es mir durch den Kopf. Tränen verboten mir den Blick auf meine Steif aufgeschriebene Rede. Ich holte noch ein letztes Mal tief Luft nur um dann meinen Strohhalm fallen zu lassen. Mit ihm ging auch meine Rede über bord. "Nadine hat eine würdevolle Rede verdient. Eine die von Herzen kommt." Mit einem Blick nach oben in den Wolkenfreien Himmel murmle ich. "Ich werde mein bestes versuchen. Meine Schwester war ein aufgeweckter und neugieriger Mensch. Sie war selbstbewusst wie eh und je und bei Gott darum habe ich sie ständig beneidet. Sie wurde uns früh genommen, wir hatten nicht genug Zeit." Eine Träne rinnt meine Wange runter und hinterlässt einen bitteren Geschmack von erdrückender Endgültigkeit . Bemitleidenswerte Blicke landeten auf mir. Wieso? Wieso ich? Sie sollten Nadine betrauern und nicht mich. Wozu waren diese Leute überhaupt gekommen? Ich musste mich konzentrieren. "Sie nahm jede Gelegenheit an Erfahrungen zu machen, so wie auch letztes Jahr. Ein Jahr im Ausland, ihre Augen strahlten als sie die Zusage bekommen hatte. Freudentränen rannten über ihre Wangen und sie lächelte nein sie lachte wie als hätte sie im Lotto gewonnen. Wir werden ihr lachen nie wieder hören können, sie nicht mehr in den Arm nehmen und Spaß haben können. Sie lachte obwohl sie wusste das sie kein Geld bekommen, in einem fremden Land bei einer fremden Familie wohnen und auf sich alleine gestellt sein würde. So war sie, bescheiden und gütig. Vor 6 Monaten kam sie wieder heim. Ich konnte mein Glück nicht fassen. Wir lebten wie in einer Seifenblase. Doch jetzt ist sie geplatzt. Wir alle werden dich vermissen, jeden Tag an dich denken. Und wenn ich eines mit Sicherheit weiß Nadin, dann das wir uns eines Tages wieder sehen werden." Ich platziere einen sanften Kuss auf meinen Fingerspitzen und presse meine Hand verzweifelt auf den Sarg. Es war nicht fair. Ich verdiente das hier nicht. Die Plätze wurden vertauscht.

"Letzter Aufruf für den Flug CC534 von Österreich Wien nach USA Kalifornien" "Shit!" Eine Gruppe reicher schnösel, welche mit Sicherheit nichts anderes als First Class buchen würden, werfen mir teils tadelnde, teils schockierte Blicke zu. Augen verdrehend huschte ich weiter. Gate 17 stand auf dem Schild über meinem Kopf. Endlich. "Verzeihung Miss, aber sie sind leider einen Augenblick zu spät." Ein schlaksiger junger Mann der kaum größer war als ich, blinzelt mich unschuldig an. Schock und Nervosität wichen Unverständnis. "Das kann nicht sein der Flug wurde gerade eben nocheinmal ausgerufen. Hörn sie ich habe im letzten Monat alle meine Sachen gepackt nur um heute hier sein zu dürfen, lassen sie mich noch durch, sonst war alles um sonst." Mit kurzen, dicken Fingern die im heftigen Gegensatz zu seinem restlichen Auftreten stehen schob er sich das Sakko ein stück hoch um auf die Uhr zu schauen. "Beilen Sie sich." Und damit ließ er mich durch. "Warten Sie!" Ich hob meine Hand um die Stewardess auf mich aufmerksam zu machen und tatsächlich. "Schön dass Sie es noch geschafft haben." Ein freundliches Lächeln ziert ihre Lippen. Vermutlich war es zu einer Gewohnheit geworden. So wie es mir eine geworden war genau solch Grimassen sein zu lassen wenn ich es nicht wirklich ernst meine. Erschöpft und doch erleichtert plumpse ich in den Sitz. Ich konnte an nichts anderes mehr denken als die 10 Stunden, die ich jetzt nichts mehr machen muss bis ich in Santa Barbara bin.

Tatsächlich verging die Zeit schneller als erhofft. Ich wollte meine Gedanken ordnen und mich auf genau das vorbereiten, doch jetzt stand ich hier. Jetzt gab es kein zurück mehr. Lancaster stand in dünnen Buchstaben auf dem kleinen Metallschild auf der Hausmauer neben der Tür. Sie waren so freundlich und haben keine Sekunde gezögert mich aufzunehmen. Gerade als ich meine Hand zum Klopfen anheben wollte, wurde die Tür aufgerissen. "Nein bro, aber in einer Woche siehst du mich wieder!" schreit eine tiefe Stimme. Direkt vor meiner Nase steht ein breiter überaus durchtrainierter Rücken. Und plötzlich starren grüne nein fast schwarze Augen direkt in meine. "Fuck, du hast mich zu Tode erschreckt!" Kurz analysierte ich die Situation, attraktiv aussehender Typ lehnt locker und lässig im Türrahmen mit überheblichem funkeln in den Augen. Sieht für ich alles andere als beängstigt aus. "Offensichtlich ja nicht." Kam es ein bisschen zu schnippig als gewollt von mir. Augenblicklich schossen seine Augenbrauen in die Höhe. "Da hat aber jemand einen guten Tag. Na ja, wie auch immer, damit muss ich mich die nächste Woche jedenfalls nicht abgeben." Mit flinken Beinen hastet Mr. Unbekannt an mir vorbei, hüpft in das blitzblanke, irre teuer aussehende Auto, welches mir vorhin schon aufgefallen war und rast davon. Ja ich hatte keinen guten Tag. Mein Gott mein letzter guter Tag ist über einen Monat her, seitdem schlüpfe ich wie ein Zombie von einem in den nächsten mit dem Wissen, dass keine neuen Herausforderungen auf mich warten. Bis heute. Heute habe ich mich aus meiner Zeitkapsel hinausgewagt. Trotzdem sehe ich alles noch genauso ernst wie davor. Ich muss ja nicht gleich alle meine Stützen weglassen, dazu bin ich noch nicht bereit. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und trat über die Türschwelle. Auf in ein neues Abenteuer Sena.

Durch ihre Asche zu dirWhere stories live. Discover now