Bibbernd rutschte ich näher an das heilende, wärmende Feuer, das wie ein Lagerfeuer inmitten des großen Saals stand. Da es eine besondere magische Form hatte, wurden keine schädlichen Rauchpartikel in die Luft abgegeben.
"Ich habe vergessen, dass deiner eins schwach ist, aber du bist wirklich ein schlimmes Kaliber. Dass du es überlebt hast, hast du nur der Hexe zu verdanken." Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte ich zu der kleinen Alraune, die sich ein Marshmallow - wo es die Nahrung auch gefunden hatte - im Feuer briet.
"Du musst dich nicht wiederholen", japste ich schwer atmend, ehe ich niesen musste. Ich schnürte den goldbesetzten Mantel enger, nur um den Geruch von Lyndel einzuatmen. Angewidert rümpfte ich die Nase, um im nächsten Augenblick nochmal den Geruch wahrzunehmen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme, um ihn nicht umsonst zu beschuldigen. Doch daran bestand kein Zweifel: Ich könnte den Mantel meilenweit weghalten und würde es ihm zuordnen können. Ob er das Kleidungsstück in Parfüm gebadet hatte?
Da unsere Kleidung von der Kälte und vom Schnee gefroren waren, hatten wir Wechselkleidung geliehen bekommen. Während Rue Kleidung von Stadtbewohnern erhalten hatte, hatte mir die Halbhexe schadenfroh etwas überreicht, was nach dem Halbgott aussah. Doch jetzt war ich mir sicher, dass es sich um seine Sachen handeln musste. Dabei hatte sie mir gesagt, dass ihm ein Besuch nicht gestattet war. Womöglich hielt es ihn dennoch von Zeit zu Zeit nicht davon ab. Trotzdem fühlte ich mich hintergangen, denn ihre Aussage hatte sich als Halbwahrheit entpuppt.
Ehe ich mich darüber aufregen konnte, röchelte und hustete ich. Meine Lunge brannte, so wie mein ganzer Körper. Jeder einzelne Knochen war wie eingefroren.
"Das ist alles der Schneemann schuld", brummte ich nachtragend, "wie kann uns ein kleiner Schneemann so viel Ärger bereiten?!"
Rue schlürfte erschöpft den Schwarzbeerentee, der im Gegensatz zu den von Xantas aus Früchten bestand. In der Gegend, in der ich aufwuchs, gab es Früchte, die püriert und mit Milch aufgegossen wurden. Es war für mich eine neue Erfahrung gewesen, ein derartiges Heißgetränk probieren zu dürfen. Während Rue ihn in vollen Zügen genoss, hatte ich das Gefühl, das ich gerade das Lieblingsgetränk eines gewissen Halbgottes trank. Es war bitter, sauer und süß zugleich. Eine merkwürdige Kombination, die mich innerlich erwärmte und zugleich aufwühlte.
"Wer hätte gedacht, dass das seine wahre Form ist", sagte der Gestaltwandler verwundert, ehe er sein Gefieder schüttelte.
"Ist das auch deine wahre Gestalt, oh ehrwürdige Naturgewalt?", feixte ich grinsend in die Richtung der Alraune, die mit einem Bissen den Marshmallow verspeiste und mit einem großen Sprung auf meine Schulter landete.
"Natürlich nicht, aber eine kleine Gestalt ist Magie sparend. Aus diversen Gründen kann ich im Augenblick nicht meine ganze Kraft entfalten. Aber das war auch besser so, denn dein mickriger Körper kam nicht einmal mit dieser Macht zurecht. Wenn ein gewisser Herr es nicht übertrieben hätte, hätte er nicht gerettet werden müssen."
Aus diesem Waldgeist wurde ich nicht schlau, aber aus diesem gefiederten Gestaltwandler genauso wenig. Während die Alraune, der der eigentliche Hüter des Waldes war, sich bei der Hexe Xanta befand, hatte der Gestaltwandler seine Rolle übernommen. Nun saßen beide hier am Lagerfeuer - weitab von dem Wald, den sie beschützen sollten. Womöglich war er von den Göttern niedergebrannt worden. Wenn der Schneemann die Wahrheit gesagt hatte, dann hatte er wegen den Göttern seine Schutzzone verloren. Wenn nicht einmal eine Naturgewalt eine Chance gegen die Götter hatte, was sollte ich dann gegen sie ausrichten?
"Sagt der, der mich nicht daran gehindert hat", beschwerte ich mich lauthals, "du verrätst uns wirklich nichts, oder? Da bekomme ich mehr Informationen von einem Leichnam."
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Was mir einst wichtig war
FantasyEine Geschichte über eine längst vergessene Welt, in der Magie, Naturgeister und Götter über die Lande geherrscht haben. Inmitten des anhaltenden Krieges zwischen Götter und Menschen macht sich der Veteran Rykar Gorian ruhelos auf dem Weg, um der Sp...