2. Kapitel

134 17 4
                                    

Er erwachte durch das sanfte Vibrieren seines Telefons in seiner Hosentasche, das ihn mit seinem eingespeicherten Wecker daran erinnerte, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen. Mit einem langen Gähnen streckte er seine Glieder, die durch das Schlafen in dem Sessel etwas steif geworden waren. Leise seufzend rieb er sich den Schlaf aus den Augen und betrachtete für einen Augenblick das noch halb volle Glas Whiskey, dass er vor sich sah. Kurz überlegte er, ob er es noch austrinken sollte, entschied sich dann jedoch dagegen. Während er sich ins Bad schleppte, um sich die Zähne zu putzen und sich für die Arbeit fertig zu machen, nahm er sein Handy heraus und loggte sich in die Datenbank des Polizeireviers ein. Er wollte nur kurz nachsehen, ob es irgendwelche Updates zum gestrigen Fall gab, erwartete jedoch nichts dergleichen.  Wider Erwarten blinkte eine Benachrichtigung auf, die ihm mitteilte, dass es im gestrigen Todesfall eine Neuigkeit gab. Nick wollte sie gerade aufrufen, als sein Blick auf die andere Ecke seines Telefons fiel, die, die ihm sagte, dass er bereits fast zu spät für die Arbeit war. In den letzten Jahren war er immer pünktlich gewesen, und er hatte nicht vor, dass heute für eine Information, die er auch auf der Arbeit bekommen würde, zu ändern. Schnell richtete er seine Haare, die vom Schlaf im Sessel in alle Richtungen abstanden, dann lief er in die Garage zu seinem schwarzen BMW, den er sich im Zuge seiner Beförderung geleistet hatte. Das Leder der Sitze war von den Außentemperaturen eisig kalt, doch glücklicherweise war der Weg zur Arbeit nicht so lang, als dass ihn das hätte stören sollen. Heute Morgen biss ihn die Kälte mehr als gewohnt. „Die Zeit macht selbst vor mir keinen Halt“ dachte er sich, während er schlotternd die Sitzheizung aufdrehte. Nick schaltete das Radio ein, um wenigstens ein bisschen Musik hören zu können, doch auf jedem einzelnen Sender war entweder Werbung, Popsongs die zum tausendsten Mal nach dem gleichen klangen oder Nachrichten, und so entschied er sich, dass es wohl besser wäre in Stille zur Arbeit zu fahren.

Als er sein Büro betrat, wartete bereits ein Formular des Dechiffrierteams auf ihn, welches er am gestrigen Abend mit der Zahlenkombination am Anfang des Textes, den sie auf der Leiche gefunden hatten, beauftragt hatte. Immer noch ein wenig fröstelnd, umrundete er seinen Schreibtisch, setzte sich auf seinen großen Bürostuhl und zog das Schreiben näher an sich heran.

„Sehr geehrter Herr Jackson,  im Rahmen ihres Auftrags…“. Er überflog die Zeilen, bis er zu dem kam, was er suchte. „Nach dem derzeitigen Stand der Dinge können wir noch nicht mit Sicherheit sagen, was die Zahlen am Anfang des Textes zu bedeuten scheinen. Wir bitten um etwas Verständnis und etwas mehr Zeit. Natürlich versuchen wir sie schnellstmöglich zu informieren, sollten wir etwas Neues herausfinden.“ Seufzend schüttelte er mit dem Kopf. Leider kein Treffer, zumindest bisher, er musste zugeben, er hatte sich heute Morgen mehr erwartet, als ihm eine Neuigkeit auf dem Handy angezeigt wurde. Nick zog die Schublade seines Schreibtisches auf, zog wieder das Blatt Papier, das sie auf dem Opfer gefunden hatten heraus und begann, es noch einmal von vorne nach hinten nach Hinweisen über die mögliche Lösung des Rätsels abzusuchen. Wie auch gestern schon konnte er sich absolut keinen Reim darauf machen, versuchte es jedoch so angestrengt, dass er erst wieder aufblickte, als es sanft an seine Tür klopfte. „Und, hast du schon etwas neues herausgefunden?“ fragte ihn seine Kollegin mit einem Lächeln. „Marie, schön dich zu sehen, komm rein“ forderte er sie auf. „Setz dich bitte, Marie. Ich weiß auch nicht, was dieser Mistkerl uns sagen will. Das Dechiffrierteam hat auch nichts gefunden. Vielleicht ist es ja wirklich nur eine sinnlose Aneinanderreihung von Zahlen und der oder diejenige macht sich einen Spaß daraus, unsere Zeit zu verschwenden. Hast du daran schon mal gedacht?“ Marie hatte sich mittlerweilen vor ihn gesetzt und ihre Beine übereinandergeschlagen. „Ja, das wäre schon möglich, Nick, aber irgendwie hab ich da ein anderes Gefühl. Nenn mich verrückt, aber irgendwie weiß ich einfach, dass das nicht nur sinnlose Zahlen und Buchstaben sind. Warten wir einfach mal ab was passiert. Übrigens, das Forensik-Team hat bereits die Identität des Opfers rausgefunden, eine gewisse Julia Richmond, wenn ich mich richtig erinnere. Wie wir gestern schon festgestellt hatten, war sie circa Mitte 20, außerdem war sie alleinstehend. Von ihren Eltern lebt nur noch ihre Mutter, die wird heute im Laufe des Vormittages informiert. Schreckliche Sache, sie hat letztes Jahr erst ihren Mann bei einem Motorradunfall verloren und jetzt das. Naja, zum Glück bin ich nicht diejenige, die’s ihr sagen muss“ schloss sie mit einem Grinsen. Nick war immer wieder erstaunt, wie lässig sie diesen Job nahm, doch das machten wohl die vielen Jahre Erfahrung, in denen die beiden schon mehr als einmal menschliche Abgründe gesehen hatten. Sie plauderten noch eine Weile über den Fall, andere Vorkommnisse in den letzten Jahren, die eventuelle Ähnlichkeiten aufwiesen und den Beruf im allgemeinen, bevor Marie sein Büro wieder verließ um an ihren Schreibtisch zurückzukehren. Manchmal war sich Nick nicht sicher, ob sie nicht die Beförderung hätte bekommen sollen, denn es schien als hätte sie in vielen Situationen einen kühleren Kopf als er. Trotzdem war er der hartnäckigere von beiden, was ihm letztlich auch dieses Büro eingebracht hatte. Langfristig gesehen war er bissiger als sie, arbeitete auch noch nachdem alle anderen gegangen waren und hatte so den einen oder anderen Fall quasi im Alleingang gelöst.

Der Vormittag verging im Flug, denn er hatte einen riesigen Berg an Papierkram, den es zu bewältigen gab, etliche Formulare, die darauf warteten, ausgefüllt zu werden und auch einige Berichte, die er sich zu Gemüt führen musste. Als das Telefon zum wiederholten Mal klingelte, ging Nick mit der Erwartung ran, dass es sich wieder nur um Lappalien handeln würde, stattdessen jedoch war die Überraschung nicht schlecht, als er am anderen Ende den Chef des Dechiffrierteams hörte.

„Mr. Jackson? Schön, dass ich direkt zu ihnen durchgekommen bin. Ich denke, wir haben hier etwas, das sie sich einmal ansehen sollten. Wir haben den Zahlencode gelöst, ich werde ihn ihnen umgehend per Fax zukommen lassen. Ich hoffe, sie können mit der Lösung etwas anfangen. Auf Wiederhören!“

In genau dem Moment, als er das Telefon auflegte, begann sein Faxgerät, das Papier einzuziehen und langsam eine Nachricht zu drucken.

B100|) - Tagebuch des GrauensWhere stories live. Discover now