Beziehungsunfähig

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Grace:

Meine Schritte verhallen im Flur zwischen den einzelnen Umkleideräumen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, als ich das letzte Mal in einer Sporthalle gewesen bin.

Zuletzt, als Cora noch gelebt und davon geträumt hat, eines Tages eine Ballerina zu werden. Ihr Wunsch wird nie mehr in Erfüllung gehen.

Dylans Worte hallen in meinem Kopf wieder. Dylan, der mich retten will, sich selbst jedoch nicht einmal helfen lassen möchte. Wie kann man nur so verdammt stur sein?

Vielleicht ist seine Familie nicht das, was er sich immer gewünscht hat, aber dann soll er sich auch nicht beschweren, dass ich Operation "Dylan" ein wenig vorangetrieben habe.

Dylan spricht praktisch nie mit seinem Vater. Jedenfalls nicht richtig, nicht über die Dinge die wirklich wichtig sind.

Vielleicht hat er Recht, dass ich davon keine Ahnung habe, weil Steph Alkoholikerin war, aber das heißt nicht, dass ich es nicht versucht habe. Ich habe es oft versucht. - Und für gewöhnlich fielen danach Worte wie Lass mich in Ruhe oder eine Art unheimliches Schweigen hatte den Raum erfüllt, was der Bedeutung von Verzieh dich relativ nahe gekommen ist.

Ich seufze, verdränge den Gedanken daran und stoße die erstbeste Tür auf, die mir in den Weg kommt, nur um mich kurze Zeit später auf den Hallenboden zu hocken.

Der Raum ist vergleichsweise klein und ein Großteil der Wand wird von Spiegeln und einer waagerechten Stange verdeckt. Fast erschrecke ich mich über mein eigenes Spiegelbild, nur um daraufhin über meine eigene Dummheit zu lachen.

Eine Balletthalle. Ich bin alleine in einer Balletthalle, während irgendwo am anderen Ende des Gebäudes eine männliche Krankenschwester seinem kleinen Bruder beim Fußball spielen zusieht.

Insgeheim hoffe ich, dass er schmollt. - Oder endlich einsieht, dass er manchmal ein absoluter Idiot ist. Der Idiot, der er noch war, als ich ihm das erste Mal begegnet bin. Ein Mensch wie jeder andere, zu unbekannt, um mir auch nur ansatzweise wichtig zu sein.

Ich starre mein Spiegelbild an, wobei eigentlich alles aussieht wie immer. Ein Mädchen in abgewetzten und schlabbrigen Klamotten, dem die langen, roten Haare auf die Schultern fallen. Grünbraune Augen, die mich nahezu misstrauisch anstarren und die Grübchen, die nur dann zum Vorschein kommen, wenn ich wirklich lache. - Also nicht sonderlich häufig.

Vielleicht hat Dylan sie ein oder zwei Male gesehen, aber auch nur, weil er so ziemlich der Einzige ist, der mich in letzter Zeit um Lachen gebracht hat.

Beinahe unbewusst wandern meine Gedanken wieder zu ihm zurück. Dylan, wie er nach Coras Tod neben mir hockt und ernsthaft versucht mich zu trösten. Dylan, wie er im Wohnzimmer steht und es ihn absolut nicht stört, dass er mir auf die Nerven geht. Stattdessen hat er all das lediglich mit einem Lächeln quittiert, nur um mich dann ins Kino zu schleppen.

Ich habe wirklich alles versucht, um ihn los zu werden und nun ist es ausgerechnet der Streit mit Don, der dafür gesorgt hat. Jedenfalls für kurze Zeit.

Im Flur neben der Halle sind Schritte zu hören, die blöderweise lauter werden anstatt leiser.

Es sollte mir eigentlich egal sein, dass ich mich mit Dylan zerstritten habe, aber ironischerweise ist es gerade das, was mich aufregt. Es ist mir nicht egal und das sollte es definitiv nicht sein. - Nicht, wenn ich plane diese Welt nach dem Ende dieser Woche zu verlassen.

Die Schritte kommen auf mich zu, ehe Dylan schließlich neben mir steht. Schweigend hockt er sich auf den freien Platz und starrt nun auch unser Spiegelbild an.

Auf das, was warWhere stories live. Discover now