Die inoffizielle Untermieterin

2.7K 192 13
                                    

Grace:

Es scheint weder die Sonne, noch regnet es. Stattdessen ist es einfach nur bewölkt. Bewölkt und ein wenig grau.

Dylan hat heute erst später Schicht und hat es daher vermutlich für eine gute Idee gehalten länger zu schlafen. Jedenfalls ist das der Grund, weshalb wir jetzt alleine an diesem Küchentisch hocken. Allison hat sich in ihr Zimmer verzogen und Tyler spielt unten im Hof mit seinen Freunden Fußball. Ihre Tor-Rufe sind kaum zu überhören. Es ist kaum zu glauben, dass die beiden bis jetzt dicht gehalten haben. Dylans Vater scheint jedenfalls noch immer an der Vermutung festzuhalten, dass ich tatsächlich seine Mathe-Nachhilfe-Schülerin bin.

Ich gähne. Irgendwie fühle ich mich erstaunlich ausgeschlafen und müde zugleich, was womöglich auch an der letzten Nacht liegt. Ich weiß nicht, ob es Dylan gewesen ist, der mich dazu gebracht hat, einfach wieder einzuschlafen, aber fest steht, dass er der Erste ist. Der Erste, der mir zeigt, dass ich irgendwo halbwegs sicher sein könnte, auch wenn das bedeutet, dass ich seine Kommentare in Kauf nehmen muss. Kommentare, mit denen ich auf Dauer sogar leben könnte, weil er mich nicht bei jedem meiner Worte unverständlich anstarrt oder meine Meinung auf eine gestörte Kindheit zurückführt.

„Was hast du heute vor?", will Dylan schließlich wissen und reißt mich damit endgültig aus meinen Gedanken. Er sieht noch ein wenig verschlafen aus, was mich nicht wirklich wundert. Wie lange hat er meinetwegen noch wachgelegen und nachdenklich an die Decke gestarrt? Minuten? Oder vielleicht doch Stunden?

Wie lange hat er über die gestrigen Geschehnisse nachgedacht? Über Tylers Verschwinden, den Streit mit seinem Dad und meine eigenen Worte?

Ich hätte ihm nicht von den Geschehnissen berichten sollen. Allgemein sollte er sich weniger Gedanken um mich machen, dass wäre für uns beide von Vorteil. Vorausgesetzt ich würde jemals das Gleiche schaffen, anstatt mich andauernd dabei zu ertappen, wie ich über ihn grübele.

„Weiß nicht." Ich zucke mich den Schultern und greife nach dem letzten Toast im Brotkorb. „Hier bleiben, der Steuerfahndung mit dem Durchsuchen der Wohnung Konkurrenz machen... - Ich werde jetzt schließlich offiziell vermisst und wer vermutet schon, dass ich ausgerechnet bei dir die inoffizielle Untermieterin spiele?"

Die Mischung aus Spott und Sarkasmus ist wirklich kaum zu überhören. Kein Wunder, dass mich manche Menschen dafür hassen. Sie können sich nie sicher sein, ob ich die Wahrheit sage, was wahrscheinlich auch mit einem gewissen Grad an Dummheit ihrerseits zusammenhängt. Ironischerweise setze ich Dylan damit irgendwie auf die Liste der clevereren Personen.

Gleichzeitig lässt ihn die Tatsache mich bei sich aufzunehmen wie einen Wahnsinnigen erscheinen. Vor allem, wenn ich daran denke, dass er meinetwegen sämtliche Vermistenanzeigen verschwinden lassen hat.

Ich schlucke. In meiner Magengegend macht sich ein ungutes Gefühl breit.

„Planst du zufällig wieder in die Fänge meiner kleinen Schwester zu geraten?" Dylan grinst und sieht zu mir herüber. Er trägt eines seiner Hemden, die dunklen Haare zerzaust und vorne dennoch ein wenig hoch gegeelt, wobei die Ringe unter seinen Augen das Gesamtkonzept zumindest ansatzweise ruinieren.

„Sie hat es aufgegeben mir ihre Kosmetikartikel andrehen zu wollen, nachdem ich ihr ein einstündiges Video über Tierversuche gezeigt habe", murmele ich, während ich versuche mein Toast möglichst gleichmäßig mit Marmelade zu bestreichen. Womöglich klingt das jetzt nach einem ernsthaften Spleen, aber irgendwie kann ich es nicht ab, wenn Teile des Brotes nicht mit Marmelade bedeckt sind. „Und die Sache mit Titanic werde ich ihr auch noch verderben. Du weißt nicht zufällig wie dieser merkwürdige Film namens Twilight ausgeht? Den mit dem glitzernden Typen, meine ich?"

Auf das, was warWhere stories live. Discover now