Wattpad Original
There are 7 more free parts

Kapitel 1

53.8K 1.6K 552
                                    

Madisons Sicht

„Wieso will das nicht in meinen Kopf?!" Frustriert schlug ich mir gegen den Schädel und hoffte, dass sich die blöden Französisch-Vokabeln endlich einpflanzten. Das konnte doch nicht wahr sein. Ich beherrschte jedes verfluchte Fach perfekt, aber ausgerechnet kein Französisch? Meine Güte.

Was hatte diese Sprache bloß an sich, dass ich sie nicht verstehen konnte? Früher hatte ich immer gedacht, dass sie viel einfacher wäre. Okay, zugegebenermaßen hatte ich früher als Kind auch nur Baguette verstanden und somit direkt geschlussfolgert, dass alles an der Sprache so einfach zu verstehen wäre. Da hatte ich mich allerdings gewaltig getäuscht.

„Was ist denn hier los?" Meine Mutter stürmte mit dem Kochlöffel ins Zimmer und sah mich verwirrt an. Wow, da war jemand ganz sicher nicht auf Einbrecher gewappnet. „Hast du so geschrien?"

Ich verdrehte meine Augen. Die Frage war so unnötig, da die Antwort doch wohl auf der Hand lag. Oder erwartete sie etwa, dass ich jemanden im Schrank versteckte?

„Nein, Mom, meine imaginäre Freundin hat so geschrien", gab ich ironisch von mir und sie grinste mich mit ihren blauen Augen fröhlich an. Was gab es denn da noch zu grinsen?

„Früher hattest du wirklich so eine."

Ich seufzte. Warum musste sie mich nur daran erinnern, was für ein komisches Kind ich früher war? Mag zwar sein, dass einige mich heutzutage immer noch komisch fanden, aber immerhin redete ich nun nicht mehr mit Personen, die nicht existierten. Ich persönlich würde das einfach mal als Steigerung betrachten.

„Mittlerweile bin ich aber aus dem Alter raus, findest du nicht?", erwiderte ich und versuchte mich wieder auf die Vokabeln zu konzentrieren. Wenn ich mich so leicht ablenken ließ, dann war es kein Wunder, dass ich eine Niete in Französisch war.

„Ja mittlerweile solltest du echte Freunde haben", redete sie weiter und als ich meinen Blick wieder hob, stemmte sie ihre Hände in die Hüften. Das durfte doch wohl nicht wahr sein.

„Freu' dich doch lieber, dass ich keine Verbrecherin bin, oder schlimmeres. Ich habe einfach keine Freunde, ja und? Was ist schon dabei?" Ich konnte nicht begreifen, warum meine Mutter mich jedes Mal deswegen nerven musste.

„Dir könnte etwas Gesellschaft nicht schaden", erwiderte sie ehrlich und gab mir wieder einmal zu verstehen, dass sie meine Ansichten einfach nicht nachvollziehen konnte. Jedenfalls nicht bei diesem Thema. Meine Mutter mochte es schon immer, wenn viele Menschen um sie herum waren und wünschte sich, dass es mir ähnlich ergehen würde. Aber so war es nun mal nicht.

Ich klappte genervt mein Französisch-Buch zu und stand auf. „Warum kannst du nicht verstehen, dass ich gerne alleine bin?", stellte ich ihr die Frage, ohne auf ihre Antwort abzuwarten. Stattdessen stürmte ich enttäuscht an ihr vorbei, aus meinem Zimmer heraus und verließ die Wohnung. Ich musste jetzt meine Ruhe haben.

Ich wollte keinen an mich heranlassen, warum konnte meine Mutter das nicht verstehen? Manchmal wünschte ich mir, dass mein Vater immer noch hier wäre. Er hatte mir immer bei allem geholfen und seitdem er weg war, hatte ich mich verändert. Ich wollte mich nur noch von jedem abschotten und mit niemandem etwas zu tun haben. Denn wer gab mir die Sicherheit, dass diese Menschen nicht auch jede Sekunde ums Leben kommen konnten? Ganz genau, niemand. Mag sein, dass ich feige war. Dass ich mich hinter Mauern in meinem Zimmer versteckte und das Leben an mir vorbeizog. Aber ich war nicht bereit für sowas. Ich konnte es nicht. Und lieber war ich feige, anstatt wieder mit gebrochenem Herzen in meinem Zimmer zu sitzen, weil ein weiterer Mensch mein Leben verlassen hatte. Nein, das wollte ich wirklich nicht.

Am Anfang, als mein Vater gestorben war, kam ich kaum zurecht. Manchmal hatte ich das Gefühl gehabt, an meinen Tränen zu ersticken, obwohl ich so dringend leben wollte. Ich hatte Angst zu weinen, Angst darüber nachzudenken, Angst neue Menschen kennenzulernen, sogar Angst davor, mein Bett zu verlassen, weil jeden Moment etwas passieren konnte. Ich hatte Angst um das Leben meiner Mutter. Ich wollte nur noch zu Hause sitzen und so viel Sicherheit wie möglich haben. Ich hatte Angst vor allem, aber am meisten hatte ich Angst vor dem Leben. Davor, was es mit mir anstellen würde. Ob ich auch so enden würde wie mein Vater. Ob meine Mutter mich auch so früh verlassen würde.

EiskaltWhere stories live. Discover now