2. Grammatik

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Achtung: Dieses Kapitel kann Spuren von zähem Deutschunterricht und einem halbwegs erfüllten Bildungsauftrag enthalten. Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.

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Gut, so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Es mag zwar überraschend klingen, aber im Gegensatz zur Orthographie scheinen die meisten «Autoren» doch tatsächlich Wert auf eine einigermassen korrekte Grammatik zu legen. Die Betonung liegt hierbei jedoch auf «einigermassen», denn leider schleichen sich immer wieder dieselben Fehler, vor allem den Kasus sowie Tempus betreffend, ein. So stolpert man immer wieder über Sätze wie «Ich esse ein Hamburger.» oder «Tom sein Haar sieht voll gut aus, ich wollte mit meiner Hand darüberstreichen.», was einen wirklich aus dem Lesefluss reissen kann, weil solche Fehler echt vermieden werden könnten.

Was den Kasus angeht, wird wohl am häufigsten der Akkusativ mit dem Nominativ verwechselt, vor allem bei unbestimmten Artikeln. Vermutlich liegt das daran, dass die Flexion bei dieser bestimmten Wortgruppe in der mündlichen Sprache verschluckt wird, wir also umgangssprachlich sagen: «Ich esse ein Hamburger.», obwohl «Ich esse EINEN Hamburger.» grammatikalisch korrekt wäre. Solche «Verschluckungen» sind übrigens keine Seltenheit und sollten eigentlich auch nicht verpönt werden, da sie zum Teil auch für den laufenden Wandel unserer Sprache verantwortlich sind («Zipf's principle of least effort in linguistics», für die Leute, dieses Thema interessiert), allerdings sind sie in den meisten Literaturgenres nicht gerne gesehen (und wenn, dann fast ausschliesslich nur in Dialogen als unterschwellige Charakterisierung von Figuren), weshalb man sie tunlichst vermeiden sollte. 

Auch beim Genitiv machen viele Schreiber den Fehler, dass sie sich zu sehr an der mündlichen Sprache orientieren. So etwas wie «Tom sein Haar» gibt es nicht. Die grammatikalisch korrekte Form wäre «Toms Haar» und nein, zwischen dem «Tom» und «s» kommt kein «'», das ist nur im Englischen so! Endet hingegen der Name auf einem «s» oder «x», dann folgt ein «'» (z.B. «Markus' Bartstoppeln» oder «Max' Zahnbürste»)

Das Tempus (ja, das und nicht der Tempus) ist schon wieder eine andere Geschichte, wofür ich wohl zuerst etwas weiter ausholen muss. Bevor man anfängt, einen Text zu schreiben, sollte man sich als erstes überlegen, welche Zeitform man benutzt und ja, das ist eine nicht gerade unwichtige Entscheidung. Jede Textform und jedes Genre haben da ihre eigenen Konventionen. Romane schreibt man häufig (aber auch nicht immer) im Präteritum, Essays oder Berichte allerdings zwingend im Präsens. Wenn ihr auswählen könnt, in welcher Zeitform ihr euren Text schreibt, dann solltet ihr euch im Klaren darüber sein, dass das Tempus auch immer bestimmte Einwirkungen auf den Leser und dessen Leseverhalten hat. Das Präteritum ist die am meisten gebrauchte Zeitform in der Prosa und schafft eine gewisse zeitliche Distanz, wodurch man als Leser eigentlich sehr schnell in den Lesefluss kommt, da er oder sie diese Form schon seit Kindestagen gewohnt ist. Damit sind übrigens Märchen gemeint, denn so ziemlich jedes Kind hat doch schon mal eines vorgelesen bekommen und ist euch eigentlich schon einmal aufgefallen, dass wirklich jedes Märchen im Präteritum erzählt wird und damit bewusst eine zeitliche Distanz schafft? («Es war einmal vor langer Zeit eine Prinzessin...»)

Das Präsens hingegen überwindet diese Distanz und zwingt den Leser, die Geschichte «live» mitzuerleben. Besonders geeignet ist diese Zeitform für Genres mit viel Action und Spannung (wie zum Beispiel «Die Tribute von Panem»), da man dort direkt ins Geschehen hineingezogen werden kann. Oft sind Romane, die im Präsens geschrieben wurden, sogenannte «Pageturner», also Geschichten, die man vor lauter Spannung unbedingt schnell lesen will, wobei das auch beim Gebrauch des Präteritums der Fall sein kann.

Ich denke, es ist jedem klar, dass man nicht in den Zeitformen herumspringen sollte. Das haben jetzt schon so viele Leute vor mir angesprochen, dass ich das jetzt nicht auch noch machen muss. Allerdings möchte ich auf ein Konzept aufmerksam machen, dass manche «Autoren» wohl noch nicht ganz zu verstehen scheinen: Die Vorzeitigkeit.

Zeitformen in literarischen Texten kommen immer als Paare. Eine, die das «Hier und Jetzt» in der Geschichte signalisiert und eine, die für vergangene Ereignisse zuständig ist. Wenn Schreiber beispielsweise das Präsens als ihre Zeitform gewählt haben, können sie nicht einfach das Präteritum für die Vergangenheit verwenden (also sie könnten schon, aber jedem Deutschlehrer würde es da die Nackenhaare aufstellen). Stattdessen sollte man lieber zum Perfekt greifen. Beim Präteritum wäre es das Plusquamperfekt.

Okay, das hört sich jetzt alles unglaublich theoretisch an und wahrscheinlich hat ein Teil von euch entweder schon die Hälfte vergessen oder nur Bahnhof verstanden, deshalb hier ein Beispiel:


Ablauf: Dieses Beispiel lesen und danach die gesamte Theorie verstehen. (Lesen ist also unsere Vorzeitigkeit, und das Verstehen das daraus resultierende Ergebnis/Folge davon.)

Präsens + Perfekt: Ich VERSTEHE die gesamte Theorie, nachdem ich dieses Beispiel GELESEN HABE.

Präteritum + Plusquamperfekt: Ich VERSTAND die gesamte Theorie, nachdem ich dieses Beispiel GELESEN HATTE.


Okay, weiter werde ich jetzt nicht ins Detail gehen, weil das jetzt wirklich genug trockene Theorie für ein Kapitel ist. Na ja, es ist Grammatik, was will man da auch anderes erwarten?

Und was ist jetzt die Moral dieses Kapitels?

Achtet gefälligst auf euren Kasus und Tempus! 

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