Kapitel 35 - Sturmgläser, tanzende Piraten und Jungen, die vom Himmel fallen

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Kapitel 35

Sturmgläser, tanzende Piraten und Jungen, die vom Himmel fallen


~Mile~

»Du kennst unser Geheimnis, nicht wahr?«
Er drehte sich zu ihr um. »Wie meinen?«, fragte er und versuchte, möglichst unschuldig aus zu sehen.
»Mile, ich bin nicht blöd, okay? Da du unseren neuen und unglaublich vertrauenswürdigen Verbündeten Rumpelstilzchen nun kennen gelernt hast, ist mir natürlich klar, dass du weisst, wie ich aus den Kerkern der Dunklen entkommen konnte. Rumpelstilzchen war schon immer anders als die restlichen Dunkeln gewesen. Die anderen sechs sind gemeinsam stark und halten zusammen. Selbst Dracula und Blutkralle können sich zusammenreissen. Doch Rumpel hatte schon immer einen eigenen Kopf...«, erklärte Red. Sie waren auf dem Weg zum Rathaus, wo die Monarchen erneut eine Sitzung einberufen hatten. Es war nun schon die zwanzigste in dieser Woche. Seit die Drachenreiter davongezogen waren, herrschte die Dauerkriese. Was Mile jedoch noch viel mehr beschäftigte, war, dass er den Monarchen noch immer nichts von seinem Handel mit dem Teufel erzählt hatte.
Die Nachricht, dass Rumpelstilzchen sich von den Dunklen abgewandt hatte, war bereits in aller Munde. Die Gerüchteküche brodelte wie Miles Blut. Heiss und unnachgiebig erzählten sich die Rebellen die wildesten Geschichten. Rumpelstilzchen hätte den Dunklen den Rücken zugekehrt, weil man ihn hätte stürzen wollen. Andere behaupteten, das Ganze sei nur eine Falle, um die Rebellen in Sicherheit zu wiegen und in einen Hinterhalt zu locken. Wieder andere meinten, es sei nur ein Gerücht, das sich irgendein Trottel ausgedacht hatte.
Alle glaubten irgendeine Geschichte, an irgendein Gerücht. Nur Mile glaubte an nichts, denn er hatte keine Ahnung, wie er mit dem Teufel mit den drei goldenen Haaren umgehen sollte. Red hingegen wusste, was sie von dem Ex-Dunklem hielt. Oft genug schimpfte sie über ihn und benutzte dabei Schimpfworte, die man nicht aussprechen konnte, ohne Angst zu haben, sie könnten einem die Zunge verätzen.
Doch wer war der Mann, der Stroh zu Gold spinnen konnte wirklich?
Er war Geschäftsmann. Er war der Bruder des Hutmachers. Er war ein Irrer. Und er war ein Monster.
Rumpelstilzchen hatte ihm seine eigene Prophezeiung gegeben. Eine Prophezeiung, die Mile niemals hätte lesen sollen, doch nun hatten sich diese verfluchten Worte in seinen Schädel gebrannt. Immer wenn er nur daran dachte, dann vibrierten die magischen Wörter, die seine eigene Zukunft bedeuteten. Sie vibrierten in seinem Kopf, im Bauch, bis in die Fingerspitzen und hinab zu seinen Füssen.
»Hörst du mir überhaupt zu, Feuerjunge?«
Mile schüttelte den Kopf. »Hm? Ääh, ich meine, klar doch!«, stammelte er.
Sie hatten nun den Rathausplatz erreicht. Die Wesen tummelten sich hier nur so und es wirkte alles wie ein ganz normaler Markttag, der einzige Unterschied war, dass jeder hier bewaffnet war. Hier hatte ihm noch vor beinahe zwei Wochen der Wolf von Reds Geheimnis erzählt. Der Wolf. Ihr Bruder!
Red zog spöttisch eine Augenbraue hoch. »Mile, ich habe dich gerade gefragt, was du noch weisst.«
»Noch weisst?«, fragte Mile verunsichernd. Er wich einem Karren aus, der beladen war mit frischen, roten Äpfeln.
Die Rebellen hatten mittlerweile die Stadt ganz gut auf Vordermann gebracht. Es lagen keine Trümmer mehr herum und die zerstörten Gebäude waren praktisch wieder aufgebaut worden. Nun wurden jedoch langsam die Nahrungsmittel knapp. Darum hatten die Wesen angefangen, die Felder und Höfe der Bauern, die rund um die Stadt standen, wieder in Betrieb zu nehmen. Die meisten Höfe waren verlassen, die Bewohner waren in die Stadt verschleppt worden und lagen nun ebenfalls in den Katakomben, wo sie tief und fest schliefen. Und das Ganze schien sich bezahlt zu machen, denn die Nahrungskammern füllten sich wieder. Bis Sabrina in Aramesia eintreffen würde, hatten sie bestimmt genug Proviant auf Reserve, um losziehen zu können.
»Wir können wirklich froh sein, dass die Elfen auf unserer Seite sind. Das sind zwar grösstenteils arrogante Klugscheisser, aber wenn sie sich mit etwas auskennen, dann mit Kämpfen und Pflanzen. Ohne die Elfen, würden unseren Möchtegern Bauern die Felder absterben, wie eine Blume im Höllenfeuer«, meinte Red, die ebenfalls auf die süssen Früchte starrte.
»Red, ich weiss jetzt natürlich von Rumpelstilzchen, aber ansonsten weiss ich nichts«, log er.
Wieder sah sie ihn spöttisch an und lächelte überlegen. »Mile Beltran, ich kenne dich langsam gut genug, um zu bemerken, wann du lügst. Ausserdem bin ich zur Hälfte ein Wolf und die haben, wie du weisst, gute Ohren. Ich kann es hören, wenn ein Wolf mit einer Katze streitet. Insbesondere, wenn dieser Wolf mein Bruder ist...«
Katmo! Der Kater hatte aber auch ein verdammt lautes Organ, für diesen kleinen Katzen-Körper...
»Ja, ich weiss, dass Oskar dein Bruder ist«, gab er zu. »Aber du hättest mir das doch auch selbst erzählen können!«
Sie hatten nun den Platz überquert und liefen nun durch die Strassen, die zum Rathaus führten. Hier waren weniger Wesen unterwegs.
Red zuckte mit den Schultern. »Ich weiss nicht. Ich dachte, du bist noch nicht bereit dafür. Und ich war es auch nicht. Wie hätte ich er dir sagen sollen. Hey du übrigens, mein Bruder ist ein Wolf!«
»Nicht nur das. Ich meine auch die Sache mit dem Handel und Rumpelstilzchen!«, murmelte Mile bedacht. Er wollte Red nichts vorwerfen oder sie kritisieren. Nicht jetzt, da es doch gerade so gut zwischen ihnen lief.
Red schüttelte energisch den Kopf. »Dann hättest du mir nicht mehr vertraut!«
Mile wollte widersprechen, hielt sich dann jedoch zurück. Hätte er Red wirklich noch vertrauen können? Wahrscheinlich hätte er sich geweigert, zu glauben, seine Gefährtin könnte ihn verraten, doch er hätte die ganze Zeit diesen schrecklichen Hintergedanken im Kopf gehabt. Wahrscheinlich hatte Red doch richtig gehandelt, ihm nicht die Wahrheit zu sagen.
»Weisst du Mile, seit ich denken kann, war ich eine Einzelgängerin Selbst damals, als mein Vater noch gelebt hatte. Mein Bruder und ich sind nirgends akzeptiert worden. Nicht von den Menschen, weder von den Werwölfen. Wir waren, sind und werden immer die Hybriden sein. Wir gehören keiner Rasse an, waren immer auf uns selbst gestellt und das hat uns zusammen geschweisst. Oskar und ich waren immer unzertrennlich. Erst seit es dich gibt, habe ich endlich das Gefühl angekommen zu sein. Ein zu Hause gefunden zu haben. Nicht in dieser Stadt. Nicht bei den Menschen und auch nicht bei den Werwölfen. Auch nicht bei den Rebellen. Mile, du bist mein zu Hause. Und ich weiss, wo du bist, werde ich sein. Und egal wo ich bin, Oskar ist immer in der Nähe. Ob er vor unter meinem Fenster steht, ob er im Schatten lauert, er passt immer auf mich auf. Und nun wird er auch auf dich achten, Mile.«
Mile sah Red an. Ihre Worte berührten etwas in ihm.
Ja, ein Wolf wachte über ihn. Ja, er war Reds zu Hause, das wollte er sein und freute ihn.
Doch das, was ihn wachrüttelte, ihm dieses Gefühl gab... Dieses Gefühl, als ob sich etwas in ihm gelöst hatte.
Und dann wusste er es.
Der Wolf war in all den Jahren der einzige gewesen, der auf Red geachtet hatte. Ihr einziger Verbündeter, ihr einziger Freund.
Ihr Bruder.
Oskar und Red. Bruder und Schwester.
Mile vermisste Sabrina. Seine Schwester. Wann würde sie endlich zurückkehren, an seine Seite, wo er sie beschützen konnte?
Und die Worte der Prophezeiung von Feuer und Eis vibrierten in ihm: DerLichterlord findet zur Reue, seiner Schwester schuldig ist er Treue.

Uralte Fassung (1): Twos - Die Prophezeiung von Feuer und EisWhere stories live. Discover now