Der Jäger

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Es stank nach verwesenden Leibern.

Der faulig süße Duft verätzte die Luft, die selbst nach Dämmerungsanbruch weder abkühlte noch ihren Hunger verlor. Diese Wüste war anders als all ihre Artgenossen. Sie gierte nach Leben, um das ihre zu nähren. Sie war verflucht. Der Jäger schmeckte das Blut auf der Zunge, das vor langer Zeit vergossen worden war, um den Zorn der Hitze aufrechtzuerhalten. Noch nie hatte er sich so weit vorgewagt, raus aus dem schützenden Dickicht des Blutwaldes und über das träge dahinfließende Wasser des Flusses. Die Barke schwankte, als er einen sehnsüchtigen Blick zurückwarf. Der Wald versank im wachsenden Schatten der Eisenberge. Das Dunkel kroch wispernd über das Gewässer, dessen silberne Oberfläche über die tückischen Strömungen hinwegtäuschte, die in seinem Innern lauerten. Der Fluss war fast so gefräßig wie die Wüste. Zwei aneinandergeschmiegte Monster. Drei, wenn er den Blutwald hinzuzählte. Sein Gefängnis, dem er heute Nacht entfliehen durfte, nur um sich im Angesicht einer noch größeren Gefahr wiederzufinden.

Er hasste die Wüste – und doch musste er sie betreten. Für sie, die schweigend im Heck der Barke saß. Ihre Haut schimmerte im fahlen Abendlicht, als sei sie mit Diamanten bestäubt, ihr Haar schien aus Gold gesponnen und das Kleid ... nun, er fand keine Worte dafür. Er wusste, je länger er es ansah, desto mehr würde sie ihn gefangen nehmen. Ihm erst die Sinne und letztlich das Leben selbst stehlen. Deshalb wandte er den Blick ab und richtete ihn auf die Dünen, die im abendlichen Rot badeten. Vereinzelt ragten Säulen wie Rippen gen dunkelndem Firmament, Trümmer fluteten den Fluss. Nur mühsam fand er einen Weg durch die Gesteinsquader, die den Wassern trotzten und den Weg für jeglichen Handel unpassierbar machten. Außer für ihn. Denn die Hexe des Waldes hielt schützend ihre Hand über das kleine Boot und seine Passagiere. Die Hexe, die aus der Ferne beobachtete, lenkte und kontrollierte. Er spürte ihren Atem in seinem Nacken. Sie sprach durch die Winddämonen. Durch die Kälte. Ihr Herz bestand aus Schwärze. Wie das seine. Wie das all ihrer Geschöpfe.

Ein letztes Mal tauchte das Ruder ein, ehe er ins seichte Wasser sprang, um die Barke an Land zu ziehen. Auf ein Mahl hoffend, stürzte sich der Fluss auf seine Waden, umschlang ihn, labte sich an seiner plötzlich aufkeimenden Furcht und seufzte klagend, als er sich hastig ans Ufer rettete. Kaum gesättigt sank das Wasser zurück. Lauernd, wartend. Es besaß alle Zeit der Welt. Der Jäger hingegen würde wiederkommen, erneut das Boot besteigen und den Strom zu queren versuchen – und vielleicht, ganz vielleicht hätte er dabei weniger Glück.

Widerwillig bot er seiner Begleitung die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Ihre Haut mochte glänzen, doch er sah die Härte hinter dem sanften Lächeln, das sie ihm zum Dank schenkte. Es war so unaufrichtig wie alles an ihr.

Über Geröll und Trümmer hinweg führte er sie einen Pfad entlang, den nur Könige auf dem Weg zur letzten Ruhestätte beschritten, getragen von treuen Dienern, die ihnen in den Tod folgten. Die Grabmäler erhoben sich trotz des Verfalls majestätisch aus dem Sand. Aus Marmor erbaute Kuppelgewölbe, die nur einem Zweck dienten. Es erschien ihm beinahe ironisch, dass ihre Reise hier begann. Dort, wo die des jetzigen Wüstenkönigs enden würde, so wie auch die dessen Sohnes und aller noch folgenden Söhne.

Die Schimmel fand er wie versprochen hinter der ersten Grabkammer. Sie scheuten, als er sich näherte, blähten die Nüstern und tänzelten nervös. Ob sie die Winddämonen spürten? Oder fürchteten sie sich ebenso wie er vor der Wüste? Vor dem, was in ihrem Innern lauerte? Sie brauchten sich nicht zu sorgen, solange die Hexe ihrer achtete.

Die Nacht streckte sich bereits nach den Dünen aus, als er Seite an Seite mit der falschen Prinzessin durch die Wüste ritt, viel schneller, als Pferde galoppieren sollten. Die Winddämonen trieben sie an, drängten vorwärts, jauchzten und gurrten. Fast schien es, als glitte der Sand unberührt unter ihnen dahin. Weit am Horizont erhob sich das Himmelsschloss funkelnd wie ein Stern in der Nacht. Ihr Ziel. Seine Mission.

Die rechte Braut, säuselte der Wind.

Winters zerbrechlicher FluchWhere stories live. Discover now