Das Winterfest - Teil 1

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Gebannt sah ich den kleinen, weißen Flocken beim Fallen zu und wünschte mir wieder einmal von ganzem Herzen, dass es auch bei uns Zuhause, im westlichen Königreich, zumindest ab und an Schnee geben würde. Auch wenn ich die Kälte nicht ausstehen konnte, hatte ich Gefallen an schneebedeckten Länderein und glitzernden Bäumen gefunden, sodass ich die Minusgrade stoisch ertrug. Unser eigenes Schloss bekam jedoch höchstens alle paar Jahre ein wenig des weißen Pulvers ab, deswegen freute ich mich dafür doppelt und dreifach auf die Zeit des Winterfests, die ich wie üblich auf Schloss Silbermeer verbringen würde. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seitdem ich Jonathan das letzte Mal gesehen hatte und ich fragte mich, ob er erneut gewachsen war. Als Kinder waren wir in etwa gleich groß gewesen, aber in den letzten Jahren schoss der Kronprinz deutlich in die Höhe, während der erhoffte Wachstumsschub bei mir ausblieb. Nun gut, er mochte vielleicht größer sein, aber dafür würde ich klein und wendig bleiben, während er mit jedem Jahr einen dickeren Bauch bekommen würde, bis er aussah wie all die anderen adeligen Herren bei Hofe.

„Der Ausblick ist zauberhaft", schwärmte Katrina, den Blick genau wie ich aus dem Fenster der weiß gepolsterten Kutsche gerichtet. Ihre Hände waren aus der beigen Pelzrolle geschlüpft, die auf ihrem Schoß lag und flochten ungeduldig den langen, dunkelblonden Zopf neu, der sich irgendwo zwischen dem Wirtshaus in Lowafels und der Grenze von Walestein aufzulösen begonnen hatte.

Ohne den Blick von der weißgetünchten Landschaft abzuwenden, nickte ich zustimmend.

„Schau mal, Beccie, da drüben sind Rehe!"

Auf das aufgeregte Zeigen meiner älteren Schwester Sage hin sah auch unsere Nichte Rebecca mit verschlafenem Blick aus dem Fenster. Auch ich versuchte die Tiere zu entdecken, konnte aber nichts sehen, weil ich im Gegensatz zu Katrina und Sage am falschen Fenster saß.

Auf typisch undeutlich-nuschelnde Rebecca-Art brachte die Dreijährige heraus: „Sin' wir da?"

Sage zog das in dicke Decken gehüllte Mädchen näher zu sich, um sie etwas vor der Kälte zu schützen. „Fast. Siehst du den Fluss da vorne? Gleich dahinter beginnt schon ein Vorort von Walestein."

Neugierig begutachtete Beccie die vorbeiziehende Landschaft, während ich mich meiner Schwester zuwandte.

„Vielleicht zehn Minuten? Nicht länger", schätzte ich die übrige Fahrzeit ohne groß nachzudenken ein. Ich war diesen Weg schon so oft entlanggefahren, dass ich vermutlich im Schlaf nach Silbermeer finden würde.

„Hoffentlich brennt das Feuer in unseren Zimmern bereits."

„Oh bei den Göttern, lass es so sein", stimmte ich Katrinas Wunsch inbrünstig zu und bewegte meine Zehen etwas, die in ihren dünnen Stoffschuhen kaum noch zu spüren waren. Meine Garderobe daheim hatte in den letzten Jahren unwirkliche Ausmaße angenommen, aber trotzdem hatte ich nirgends ein gefüttertes Paar Winterstiefel finden können. „Ich kann mich noch erinnern, als sie letztes Jahr darauf vergessen haben und ich mitten in der Nacht ankam, mit nassem Rock und tauben Gliedmaßen."

„War das nicht auch das Jahr, in dem du um 3 Uhr morgens deine gesamten Zofen aus dem Schlaf gerissen hast, da du ein heißes Bad nehmen wolltest?"

Katrina sah mich streng an – ich wusste genau was sie davon hielt, unangemessene Wünsche zu äußern -, aber es berührte mich wenig. Sie war manchmal wirklich eine verdammte Besserwisserin und daher streckte ich bloß die Zunge raus, um ihr zu zeigen, was ich davon hielt. Sie war vielleicht schon Burgherrin, aber erst 13 Jahre alt, womit ich ein Jahr älter als sie war und eindeutig mehr Lebenserfahrung besaß.

„Raven", mahnte Sage mich leise, konnte aber nicht verhindern, dass ihre Mundwinkel etwas zuckten. Mit ihr kam ich von allen meinen Geschwistern noch am besten aus im Moment, aber sie hatte vor kurzem geheiratet und ich sah bei weitem nicht mehr so viel von ihr wie ich das gerne hätte.

Die Chroniken von Silber und GoldWhere stories live. Discover now