Die Legende hinter dem Winterfest

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Es war einmal eine alte Frau, die ganz alleine in einer Hütte am Rande des Walds lebte. Die Einsamkeit machte ihr nicht viel aus, aber sie war nicht vermögend und hatte auch keine Kinder, die ihr mit ihren täglichen Besorgungen helfen könnten und so wurde es mit jedem Jahr schwieriger für sie den Winter zu überstehen.

Im ersten Winter sammelte sie noch Brennholz und verkaufte ihre handgeschnitzten Figuren an die Kinder der Nachbarschaft. Daraufhin ging sie wie all die Jahre zuvor zum Markt und holte allerlei Lebensmittel, die sie wohlgenährt durch den harten Winter bringen würden, bis es ihr im Frühling wieder möglich war, den Garten zu bestellen.

Im zweiten Winter jedoch wurde die Frau krank und konnte nicht hinaus in die Kälte, um Brennholz für ihre Stube zu sammeln. Dank ihrer Figürchen hatte sie stets genug zu essen, selbst wenn ihr der Appetit fehlte, aber nach einem langen Winter, in dem der Kamin nie gebrannt hatte, konnte nicht einmal die wärmende Frühlingssonne die Kälte noch aus ihren alten Knochen vertreiben.

Im dritten Winter begannen die Hände der seither schwachen Alten zu zittern und es war ihr nicht einmal mehr möglich die kleinen Holzfiguren zu schnitzen. Ohne Brennholz für die Wärme und Einkommen für ihre bereits kargen Mahlzeiten, wurde ihr mit jedem Tag, an dem es kälter wurde, unwohler zumute. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an die Händler und Bürger, die sich auf dem Marktplatz herumtrieben, doch niemand wollte der alten Frau ein offenes Ohr oder gar eine Goldmünze schenken. Zu sehr waren sie alle in ihre eigenen Vorbereitungen und Schicksale vertieft und so musste die gebrechliche Alte Tag für Tag ohne eine einzige Münze wieder in ihre kalte Hütte zurückkehren und sich von den Resten der warmen Jahreszeit ernähren.

Es kam jedoch der Tag, an dem ihre Vorratskammer bis auf den letzten Brösel leergegessen war. Draußen lag die Welt bereits unter einer dicken Schneeschicht vergraben und die Bürger von Walestein hatten sich in ihren beheizten Wohnräumen verkrochen, wo sie gemeinsam vor dem Kamin saßen, warme Milch tranken und sich Geschichten erzählten. Nur einige Kinder des Ortes spielten draußen im Schnee, solange die Sonne noch nicht zur Gänze hinter den schneeschweren Wolken verschwunden war.

Da ihr nichts anderes übrig blieb, ging die alte Frau ein letztes Mal zum Marktplatz, auch wenn sie bereits alle Hoffnung aufgegeben hatte. Eines der spielenden Kinder sah sie und kam langsam näher – die Eltern hatten ihm aufgetragen niemals mit Fremden zu sprechen, doch er hatte die Alte schon einige Male getroffen und wollte seine Neugier stillen.

„Wieso sitzt du hier draußen, wenn es so kalt ist?", fragte der Junge ahnungslos, denn er selbst hatte immer genügend zu essen und ein warmes Feuer vor seinem Bett gehabt.

„Ich brauche Hilfe", antwortete die alte Frau mit brüchiger Stimme und deutete in die Richtung ihres Holzhauses. „Mein Magen ist leer und mir fehlt das Gold, um mich durch den Winter zu bringen. Früher habe ich Kindern wie dir ihr Spielzeug geschnitzt, aber heute habe ich nicht mehr die Kraft dazu, da ich alt und krank."

Nachdenklich sah der Junge sie an. Er kannte sie, denn seine Eltern hatten ihm vor einigen Jahren eine ihrer Holzfiguren gekauft, als die wettergegerbten Wangen der Alten noch nicht hohl und ihre löchrigen Schuhe noch neu waren.

Die alte Frau sah ihm mit Bedauern hinterher, als er davonlief, aber es überraschte sie nicht. Eine Weile saß sie im Schnee und sah den Flocken beim Fallen zu, während sie müder und müder wurde. Mit schweren Augenlidern machte sie drei Figuren in der Ferne aus, bevor sie einschlief.

„Mama, ich glaube sie wacht auf!"

Die Stimme des Jungen veranlasste die Frau am Feuer dazu ihre Handarbeit zur Seite zu legen und an das Tagesbett heranzutreten, auf dem eine schmale Gestalt lag, deren löchrige Schuhe an der Tür gelassen worden waren.

„Sei so lieb und hol eine Tasse Tee", bat die Mutter das Kind, während sie sich neben die schlafende Alte setzte, die unter den über ihr ausgebreiteten Decken fast verschwand.

Die Augenlider der Schlafenden zuckten, als sie langsam zu sich kam und den Blick durch das Zimmer schweifen ließ.

„Wo bin ich?", fragte sie schließlich kaum hörbar und die Mutter des Jungen lächelte ihr beruhigend zu.

„In unserem Haus, ganz in der Nähe des Marktplatzes. Mein Sohn hat uns geholt, weil er sich Sorgen um Euch gemacht hat", erklärte diese ihr und reichte den Tee weiter, den der Junge gebracht hatte. „Ihr seid schwach und vollkommen unterkühlt, ruht euch nur aus. Wir haben ein freies Bett im Haus und müssen uns um unsere Mahlzeiten nicht sorgen."

Langsam, die eiskalten Muskeln streckend, umfasste die Alte den Tee und nahm einen vorsichtigen Schluck, bevor sie erneut aufsah. Die letzten Monde hatten ihr alle Hoffnung geraubt und sie traute der glücklichen Wendung noch nicht.

Sie sprach: „Was wollt ihr dafür, dass ihr mich beherbergt?"

„Wenn es möglich ist und ihr wieder stark genug seid", begann die Mutter und lächelte ihrem Sohn zu, „Dann könntet ihr meinem Jungen noch eine eurer Holzfiguren schnitzen."

Die alte Frau verbrachte den kalten Winter am Kamin der Familie, las dem Jungen vor und spielte mit ihm und der alten Holzfigur jeden Tag, bis er erschöpft ins Bett fiel und brachte dem ganzen Haus Freude im Gegenzug dafür, dass sie ihr Schutz und drei warme Mahlzeiten boten. Am Ende des Winters, als die ersten Tulpen zu blühen begannen und leichte Regenschauer den ständigen Schneefall ablösten, kehrte sie in ihre Hütte zurück, aber nicht bevor sie dem Jungen und seinen gütigen Eltern drei wunderschöne Holzfiguren schnitzte.

Bis heute kehrt die Alte immer beim ersten Schneefall im Haus der Familie ein, die sie großzügig beschenkte, und schnitzt ihnen im Gegenzug ihre Holzfiguren.

Die Chroniken von Silber und GoldWhere stories live. Discover now