Folter

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Lennox erwachte aus einem traumlosen Schlaf, als Sonnenstrahlen durch den Türspalt seines Gefängnisses drangen. Er gähnte und streckte die Glieder soweit es ging. Ihm fiel im matten Licht der Stoff auf, auf welchen er in der Nacht nur einen kurzen Blick geworfen hatte, da der schwache Schein der Lampen außerhalb des Schuppens den Fetzen nur in dem kurzem Moment beleuchtet hatte, als die Tür geöffnet gewesen war. Jetzt fasste er das Teil genauer ins Auge. Es war ein Stück von Nelanis Kleidung, die sie beim Überfall auf die Crucis getragen hatte.

Während er darüber nachdachte, was dieses Zeichen für ihn bedeutete, überprüfte er seine Wunden, die bereits deutlich besser aussahen als in der Nacht. Lennox verabscheute es, dass er in diesem Moment ein Funken Anerkennung für die Roix-Kräfte des Doktors empfand. An sich war es nichts ungewöhnliches, schließlich war Orion - auch wenn man es nicht fassen konnte - trotz seiner grausamen Taten ein Meermensch, wie Lennox selbst. Ekel stieg in dem Oblivion empor, als er darüber nachdachte, dass ihn tatsächlich etwas mit dem Doktor verband.

Gefesselt im dem dunklen Schuppen sitzend war es schwierig für Lennox, seine Gedanken zu kontrollieren und die immer wieder in ihm aufkeimenden Schuldgefühle zu verdrängen. Er war allein und konnte nichts tun, außer nachzudenken. In den Schatten musste er an all den Schmerz denken, den ihm seine Vergangenheit beschert hatte, an seinen Vater, das Straßenleben und den Verlust der Alpha Cru. Dazu kam alles, was bereits auf Korsika geschehen war und die Furcht vor dem, was ihm noch bevorstand. Auch der wachsende Hass in seinem Inneren bereitete Lennox Sorgen. Das Verlangen das Lager mit all seinen Feinden niederzubrennen wurde stets stärker und entfachte Angst in ihm, denn er wusste ganz genau, dass dies nicht der richtige Weg war. Alea würde es niemals wollen. Er konnte ein Monster sein, das war ihm mehr als bewusst, auch wenn diese Seite von ihm fast nie zum Vorschein kam. Doch als er auf der Straße ums Überleben gekämpft hatte, hatte es Situationen gegeben, in denen er durch seine Wut geleitet worden war und keine Rücksicht genommen hatte. Die Darkoner an diesem Ort, waren verdammt und nicht böse. Sie trugen keine Schuld am Schicksal der Meerwelt oder an dem von Lennox' Freunden. Diese Meermenschen waren Gefangene, sie mussten furchtbar leiden und das alles nur, weil sie ihre Heimat retten wollten und dem falschen Mann vertraut hatten...

Die Welt konnte so grausam sein... Wie konnte er jemanden wirklich verurteilen, mit dem ihn so viel verband?

Lennox fand sich in einem Zwiespalt wieder, der eine unfassbare Last mit sich trug. Er kannte die Wahrheit über die Darkoner und trotzdem hasste er sie. Er hasste es, dass sie Orion vertraut hatten, hasste, dass sie sich nicht gegen ihn wehrten und auch wenn es egoistisch war, auch wenn er wusste, dass es nicht ihre Schuld war, er hasste sie für alles, was sie den Menschen angetan hatten, die er liebte. Er konnte gegen diese Meermenschen kämpfen, ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben. Allerdings immer mit dem Gedanken an ihr Leiden. Die Darkoner waren Krieger, die Polizei der Meerwelt, ihr Herz schlug für die See und Lennox hatte sich insgeheim geschworen, sie zu retten. Es war Teil des Plans der Alpha Cru geworden, als sie vom Leid der Darkoner erfahren hatten, wie eine stumme Übereinkunft, die Lennox und seine Freunde zu dem Zeitpunkt getroffen hatten. Ja, irgendwann würden sie alle frei sein! Irgendwann würde seine Yavani zu ihm zurückfinden und die Meerwelt würde wieder auferstehen!

Die Hoffnung schenkte ihm Kraft. Momentan hatte er nur sie, an der er festhalten konnte. Aufgeben war keine Option!

Doch etwas anderes beschäftigte ihn noch, so absurd es auch war. Wahrscheinlich verlor er durch diesen Ort langsam den Verstand. Lennox lachte bitter auf. Das Geräusch verklang im Raum und ließ ihn mit dem nächsten Gedanken in der Stille zurück, den er am liebsten verdrängen würde. Es war so absurd, allerdings war es eine der wichtigsten Dinge, die Lennox nicht ganz verstand. Und das war Jinx. Der Partner des Doktors war ein halber Vennuit und trotzdem voller Hass gegenüber der Meerwelt. Lennox begriff nicht, was seine Beweggründe waren. Lag es an seiner Loyalität zu Orion, oder steckte mehr dahinter? Schließlich war Jinx doch auch ein halber Meermensch. Und anders als er selbst, besaß er zumindest Schwimmhäute. Verflucht war er auch nicht, also wieso wollte er der Meerwelt schaden? Weil er niemals ganz zu ihr gehören konnte? Und dann waren da noch seine Gefühle für Orion. Ihre Beziehung wirkte auf Lennox nicht sonderlich liebevoll, besonders da beide Männer stets grausam waren und besonders Jinx Lennox scheinbar gerne leiden ließ. Dennoch gab es Momente, wo die Maske des sonst so kalten Mannes bröckelte, wie bei Lennox' letztem Aufenthalt im Labor. Wie eigenartig und unvorstellbar es doch war, dass solche furchtbaren Menschen sowas wie Liebe empfinden konnten. Menschen konnten durch Liebe zu Monstern werden, allerdings war das hier etwas anderes. Die Vernichtung der Meerwelt hatte nichts mit Liebe zu tun!

Korsika - Hölle des Kriegers des VergessensWo Geschichten leben. Entdecke jetzt