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2| Tränen-Versiegelung

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Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der es immer noch regnet und ich keinen Plan habe, wo ich hinsoll, verkrümle ich mich erstmal in das Café um die Ecke und bestelle mir einen großen Kakao.

Ich könnte meine Schwester anrufen und sie um Hilfe fragen. Aber sie wohnt erstens eine Stunde von hier entfernt und ist zweitens gerade dabei hochschwanger zu sein. Allerdings hat sie einen super netten Mann, den sogar ich mag. Und das ist nicht leicht, wenn ich ehrlich bin. Ich habe mich einmal sogar an ihren Exfreund rangemacht, damit sie sich von ihm trennt, weil ich ihn nicht leiden konnte. Traurig, aber es hat geklappt.

Gerade als ich in meiner Tasche nach meinem Handy suche, kommt die Bedienung und bringt mir meinen großen Kakao.

"Draußen schüttet es echt heftig", entgegnet die Kellnerin mit Blick durch die riesigen Fenster auf die dunklen Straßen.

"Und das schon seit genau einer Stunde und drei Minuten", bemerke ich und nehme einen kleinen Schluck von der dampfenden Tasse.

"Bitte?" Die Bedienung sieht mich überrascht an. Ich zucke bloß mit den Schultern. Sobald sie sich anderen Leuten zuwendet, krame ich erneut in der Tasche nach meinem Handy.

2 verpasste Anrufe von Alex.

Ich ignoriere diese und wähle die Nummer meiner Schwester.

"Hey Rachel." Ich bin so erleichtert darüber, dass sie schon gleich nach dem zweiten Tuten abgenommen hat.

"Eve! Alles Gute zum Geburtstag meine Liebe, ich wollte dich gerade anrufen."

"Wolltest du nicht. Ich kenne dich."

"Ich kenne meine kleine Schwester auch und weiß genau, dass sie mich noch nie an ihrem Geburtstag angerufen hat. Außerdem höre ich gar keine Musik im Hintergrund. Steigt denn gar keine Party?"

"Ach Rach, ich glaube, das ist der schlimmste Geburtstag meines Lebens." Aus meinem Plan, meinen Kummer in mich hineinzufressen wurde nichts. Ich muss mit ihr reden, weil ich weiß, dass ich sonst alles auskotzen würde.

"Was ist passiert?"

"Alex ... ich habe mit Alex Schluss gemacht."

"Och Süße, was ist passiert?" Sie sagt das hauptsächlich nur, weil sie meine Schwester ist. Denn ich weiß genau, dass sie diesen Kerl nicht abhaben konnte.

"Und ich habe die Freundschaft zu Kara gekündigt. Oh und ich habe keine Wohnung mehr."

"Oh, und was genau ist pass– oh, ohhh. Warte? Die beiden haben dich an deinem Geburtstag in eurer Wohnung betrogen?" Sie ist anscheinend nicht auf die Fresse gefallen.

Na toll, das hört sich so hart an, dass es mir schon wieder Tränen ins Gesicht zaubert. Ich unterdrücke einen Schluchzer und nicke. Wobei ich dann erst kurz darauf kapiere, dass sie mich nicht sehen kann.

"Ja." Und dann verwandelt sich das Schluchzen wieder in ein jämmerliches Weinen. Und ich kann es nicht mal kontrollieren, dabei tut es noch nicht mal so weh, wie es in Filmen immer gezeigt und in Büchern beschrieben wird. Ich fühle still und einfach nichts.

"Och, nicht weinen. Du hast den Typen von Anfang an nicht verdient. Und Kara ist somit auch total unten durch."

"Falls du mich aufmuntern willst, hilft mir das echt kein bisschen", sage ich mit weinerlicher Stimme. Ich versuche tief durchzuatmen, damit ich diese verdammten Tränen loswerde.

"Hör auf zu weinen, du weißt genau, dass ich hochschwanger bin und meine Hormone verrücktspielen. Und wenn du so weinst, dann muss ich auch–" Sie bricht ab und schon höre ich sie ebenfalls schluchzen.

"Oh nein, nicht doch Rach. Alles ist gut." Sie sagt daraufhin nichts, ich höre sie bloß die Nase putzen.

"Lass dich erstmal von Dean trösten. Ich rufe dich später nochmal an. Mir geht es gut. Ich beruhige mich jetzt auch erstmal." Ich lege schnell auf. Toll, eigentlich habe ich gehofft, meine Schwester könnte mir helfen. Aber was habe ich mir schon dabei gedacht eine Frau zu fragen, die im achten Monat schwanger ist.

Ich halte mir die Hände vors Gesicht und weine weiter in sie hinein. Verdammte Kacke, was soll ich denn jetzt machen. Ich habe weder Geld um mir eine neue Wohnung zu kaufen noch habe ich überhaupt Zeit dazu mir eine anzusehen. Ich muss morgen früh an die Uni. Vielleicht lässt sich ja irgendwo eine Parkbank auftreiben, verflucht sei mein Leben.

Gerade als ich wirklich dabei bin ernsthaft zu verzweifeln, klingelt mein Handy.

Es ist Jones, mein Cousin.

"Hallo?", melde ich mich.

"Eve, meine Lieblingscousine, happy Birthday. Wann und wo steigt die Fete?"

Ich seufze, das ist typisch Jones. Eigentlich haben wir sogar ein recht enges Verhältnis zueinander. Wir studieren zusammen. Beziehungsweise ist er im dritten Semester Psychologie und ich im ersten.

"Jones, es steigt keine Party."

"Du wirst zwanzig, das soll ein schlechter Witz sein."

"Leider meine ich es todernst."

"Na toll, da dachte ich mir, ich komme endlich mal von den Freaks, die sich meine Mitbewohner nennen los und dann erklärst du mir allen Ernstes, dass du nicht feierst?"

Ab dem Wort Mitbewohner habe ich nicht mehr zu gehört. Er wohnt doch in einer WG, oh mein Gott! Ich könnte zu ihm, wenigstens für ein bis zwei Tage!

"Jones, kann ich bei dir einziehen?" Okay, das war ein bisschen schnell.

"Was?", fragt er. Mir ist bewusst, dass er mich verstanden hat. Er ist nur ein bisschen verwirrt, vielleicht auch schockiert?

"Nur für ein bis zwei Tage. Bitte!"

"Wenn du mir erklärst warum, können wir nochmal darüber reden."

Ich seufze und erzähle ihm, warum ich so dringend auf der Suche nach einer Unterkunft bin.

"Wo bist du jetzt?", will er wissen.

"Im Café Rose."

"Ich bin in zehn Minuten da." Dann legt er einfach auf. Erleichtert darüber, dass ich wahrscheinlich endlich ein Dach über den Kopf gefunden habe, gönne ich mir erstmal ein paar große Schlucke von meinem Getränk. Die Tränen sind versiegelt und Hoffnung keimt in mir auf.

*

Als die Klingel des Cafés läutet und die Tür aufgeht, kommt Jones hereinmarschiert und sieht sich nach mir um. Als er mich in der hintersten Ecke erkennt, kommt er auf mich zu und runzelt die Stirn, als er den Koffer neben mir sieht. Vorsichtig mustert er meine Haare, die mir noch immer klitschnass im Gesicht hängen.

"Eve, du siehst schlimm aus", meint er bloß und lässt sich auf die Bank mir gegenüber fallen. Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und zucke mit den Schultern. Das ist um Gottes Willen mein geringstes Problem.

"Am liebsten würde ich diesem Bastard jetzt erstmal die Fresse polieren." Er fährt sich durch die Haare und atmet aus.

"Das habe ich schon für dich erledigt. Ich habe ihm eine gescheuert und meine Hand schmerzt immer noch." Als Beweis dafür, dass es echt hart war, hebe ich beide Hände hoch und zeige ihm meine Handflächen, die eine ist noch immer rot. Sie kribbelt noch ein bisschen, aber das Gefühl ist berauschend.

Er lacht nicht, aber er schmunzelt, wenigstens etwas.

"Und du bist dir sicher, dass du zu mir willst?", er hebt skeptisch eine Augenbraue.

"Ich habe doch sonst niemanden. Und zu meinen Eltern will ich auch nicht." Er nickt verstehend, was hätte er auch sonst tun sollen. Das Mitleid steht ihm ins Gesicht geschrieben.

"Na gut. Aber ich warne dich, eine Studentenwohnung ist noch schlimmer als sie in Filmen gezeigt wird. Es ist so etwas wie eine WG die aus vier Jungs und jetzt drei Mädchen besteht." Ich versuche, mir ein jämmerliches Lächeln aufzuzwingen, weil ich ihm so unfassbar dankbar bin, allerdings ist alles, was ich auf die Reihe bekomme ein Zucken meiner Mundwinkel.

Aber ich musste es positiv sehen. Ab jetzt konnte es nur noch Bergauf gehen. Hoffentlich.

FREAKSWhere stories live. Discover now