Chris_01

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Die Strassen waren voll. Das Wochenende stand vor der Tür und alle wollten nach Hause. Billy stand in zweiter Reihe vor einer roten Ampel. In Gedanken versunken stierte er durch die Windschutzscheibe als er Chris entdeckte. Dieser schlenderte telefonierend über die Strasse. Sofort war Billy aufmerksam. Die Ampel sprang auf grün um. Er wollte eigentlich nach Hause fahren, bog aber ab, um zu sehen, wo Chris hin ging. Langsam folgte er ihm. Chris' Handy verschwand in der Jackentasche. Dann wandte er sich abrupt nach rechts und und hastete in eine Gasse. Billy überlegte kurz, hielt am Strassenrand an und holte sein Handy hervor. Er schickte eine SMS an seinen Bruder: Westviertel Turmstrasse. Tom würde durchdrehen, doch er hatte ihm versprochen, ihm, wenn er konnte, seinen letzten Standort immer mitzuteilen, damit Tom wusste, von wo aus er suchen musste.

Das Handy ließ er im Auto. Er atmete nochmal tief durch und stieg aus. Jedes Setzen, jedes Aufstehen, jedes Losgehen und Hinknien, jedes Schuhezubinden und jedes Pulloveranziehen verursachte stechende Schmerzen in seinem Rücken und in der Brust. Von Zeit zu Zeit spürte er seine Schultern nicht und ganz oft reichte die Dosis Morphium nicht aus um die Tage erträglich zu machen. Er biss die Zähne zusammen und drückte die Autotür geräuschlos zu.

Die Gasse eröffnete sich in einen Innenhof. Ein ungutes Gefühl überkam Billy, was sich im gleichem Moment bestätigte. Er spürte den kalten Stahl einer kurzen Handwaffe an seinem Hinterkopf. "Chris? Das willst Du doch gar nicht. Du weißt nicht, in was Du Dich da hast reinziehen lassen", sprach Billy sehr ruhig. Solche Situationen waren ihm bekannt und er war zu routiniert, um in Panik zu geraten oder nervös zu werden. Der Mann hinter ihm räusperte sich:" Lass mich Deine Hände sehen. Bist Du bewaffnet?" Billy tat, wie ihm befohlen wurde und sagte: "Hat Mike gesagt, dass Du das so machen sollst? Meinst Du, es ist eine gute Idee, das im Alleingang zu erledigen? Willst Du mir nun den Kopf wegpusten? Hast Du es Dir bis zum Ende überlegt?" Völlig verwirrt durch die ganzen Fragen verlor Chris seine Konzentration. Diesen Augenblick nutzte Billy, um ihm im Handumdrehen die Waffe zu entwenden. Geschockt starrte Chris ihn an. Billy drückte ihn gegen die Hauswand und hielt ihm die Pistole an die Schläfe. Er sah ihm fest in die Augen: "Und jetzt?" Chris wich seinem Blick aus. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn. Billy ließ von ihm ab und hielt ihm die Pistole hin: "Hier. Ich habe wieder eine Nachricht für Mike. Sag' ihm, dass es feige ist, jemand wie Dich auf mich anzusetzen. Er hat wohl Angst, einen seiner Männer zu verlieren." Chris sackte blass in sich zusammen. Billy tätschelte ihm die Wange und gab ihm den Rat, aus der Stadt zu ziehen. Mit der Gewissheit, dass Chris seine Waffe nicht mehr auf ihn richten würde, verließ er den Innenhof wieder durch die Gasse und stieg in sein Auto. Jetzt erst merkte er, wie ihn das alles anstrengte. Wie seine Muskeln im Rücken schmerzten und wie er das alles gar nicht mehr wollte.

Auf dem Display seines Handys sah er, dass 5 Nachrichten eingegangen waren. Sie waren - natürlich - alle von Tom. Der Inhalt umfasste ein großes Repertoire an Schimpfworten und Flüchen. Schnell tippte Billy eine SMS an seinen Bruder: Alles o.k.. Kaum hatte er sein Handy verstaut, öffnete sich die Beifahrertür. Ein Mann im Anzug stieg ohne zu fragen ein und setzte sich. Es war Mike. Billy sah in scharf an:" Noch ein Versuch?" Mike zückte ein Messer. Messer waren nicht so leicht zu entwenden wie Pistolen. Denn die Klinge schnitt schnell tief ins Fleisch beim Versuch, das Messer zu fassen. "Fahr los", blaffte Mike. Er wußte wie er Billy anzupacken hatte. Die Männer waren schon lange Feinde und haben sich den ein oder anderen Schlagabtausch geliefert, doch nie kam es zu einer eindeutigen Niederlage. Sie fuhren aus der Stadt raus und Billy dachte an Tom. Er konnte ihm nun nicht mehr mitteilen, wo er war oder wo er hinfuhr. Allerdings war sein Handy noch an. Möglicherweise konnte er geortet werden. Aber nur vielleicht.

Sie erreichten einen großen, staubigen Platz. Dieser bot für Scharfschützen eine gute Möglichkeit, Billy schnell niederzustrecken. Doch Mike lässt es immer gern langsam angehen und außerdem würde ihm Billy tot nichts nützen. "Steig aus und nimm Deine Hände hinter den Kopf. Stell dich ein paar Meter vom Auto entfernt breitbeinig hin," knurrte Mike und stieg aus, um ums Auto herum zu gehen und Billy nach einer Waffe zu durchsuchen. Eine Weile verging, in der nichts geschah und er einfach nur dastand. Herumstehen war Mist. Er merkte förmlich, wie seine Wirbelsäule zusammengestaucht war und es brannte wie Hölle. Das Atmen fiel ihm von Minute zu Minute schwerer. Billy konzentrierte sich und versuchte den Drang, Mike einfach so ins Gesicht zu springen, zu unterdrücken. Mike hielt aus ein paar Metern Entfernung eine Pistole auf ihn gerichtet. Zwei Autos fuhren heran. Aus jedem stiegen zwei von Mikes Schergen und auch ein unwilliger Chris, der seine Augen Richtung Boden wandte als Billy versuchte, mit ihm Blickkontakt aufzunehmen. Unsanft wurde Billy von einem Kerl in die Knie gezwungen. Als dieser an ihm vorbeiging, reagierte Billy blitzartig, brachte ihn zu Fall und von hinten in seine Gewalt. Er wusste, dass er keine große Chance hatte, doch er würde nichts unversucht lassen. Im Gegenzug krallte sich einer Chris und hielt diesem ein Messer an den Hals. Ein undeutliches Gurgeln entsprang dem erschrockenen Sanitäter. "Scheiße", fluchte Billy und liess den Kerl los, der sofort hektisch zur Seite sprang. Chris war ungewollt in diese Maschinerie geraten. Wie und womit ihn Mike geködert hatte, wusste Billy nicht, doch er war sich sicher, dass Chris ihm nicht freiwillg gedroht hatte. Chris wurde wieder losgelassen. Zwei von Mikes Gorillas traten auf den noch immer knienden Billy zu und schlugen ihm mit Baseballschlägern in den Brustkorb, dass ihm die Luft nun gänzlich wegblieb. Keuchend fiel er nach vorne. Hätte er sich gewehrt, wären nun sicherlich seine Finger gebrochen. "Steh auf!", brüllte Mike. Mühsam rappelte Billy sich hoch. Kaum dass er stand, wurde er von zwei Typen festgehalten. Seine Arme wurden ihm schmerzhaft auf den Rücken gedreht und mit Kabelbindern fixiert. Mike kam mit erhobener Waffe auf ihn zu. Er zielte genau auf seine Stirn. Jetzt war er so nah, dass Billy das kalte Metall spüren und den Stahl riechen konnte: "Wo ist er?" "Wer?", stellte Billy sich dumm und erwartete schon den Schmerz, den der Kolben in seinem Gesicht verursachen würde. Mike holte aus und schlug ihm mit voller Wucht den Pistolengriff aufs Jochbein. Ausweichen war unmöglich, da Billy immer noch festgehalten wurde. Er sah Sterne und die Heftigkeit des Schmerzes schoss ihm bis in den Hinterkopf. Mike nickte in die Richtung eines alten Fabrikgebäudes. In dem Moment klingelte Billys Handy. Mike gebot Chris nachzusehen, wer anrief. Chris schaute aufs Display, wo keine Nummer angezeigt wurde. Ihm wurde gedeutet, er solle rangehen. "Ja?", sagte er zögernd. "Chris?", ertönte Toms Stimme. Schnell legte Chris auf und warf das Handy zurück ins Auto. Schulterzuckend ging er zurück: "Verwählt", log Chris. Dabei fiel sein Blick auf Billy. Billy hatte verstanden.

Sie schleiften Billy in das kalte Gebäude. In einem Raum hingen Ketten von der Decke. Dort machten sie ihn fest. Er wehrte sich nicht. Sein Schädel brummte von dem Schlag und auf dem einen Auge sah er noch immer Sterne. Er kniete am Boden, die Hände Richtung Decke an einer Kette gefesselt. Sie rissen ihm das T-Shirt vom Leib. Die Baseballschläger lehnten sie an die Wand neben der Tür und verließen den Raum. Chris blieb zurück. "Billy, ich ... scheiße.", stotterte er. "Ja, scheiße... sieh zu, dass sie keinen Verdacht schöpfen. Du bist schneller tot als Du gucken kannst. Verzieh Dich!", drückte Billy heraus und deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.

Jetzt war es dunkel. Seine Gedanken kreisten. Ob Tom ihn suchte?

Die Tür sprang auf. Mike und zwei seiner Handlanger, die sich die Baseballschläger schnappten, kamen entschlossen auf ihn zu. Billy blinzelte zu ihnen hoch und sagte: "Traurig, dass Du Dir anders nicht zu helfen weißt." Da prasselten unzählige Schläge auf ihn ein. Um sein Gesicht zu schützen zog er sich hoch und verbarg es zwischen seinen Unterarmen. Bei jedem Schlag entfuhr ihm ein Stöhnen. Blut sammelte sich in seinem Mund. Die Schläge in den Magen und auf die Nieren waren die schmerzhaftesten. Er hörte einige Rippen brechen. Der Schlagregen war beendet und Billy sackte auf die Knie zurück. Mike kniete sich zu ihm nieder, hob sein Kinn an, damit er ihm in die Augen sehen kann. Womit Mike nun nicht gerechnet hatte, war, dass Billy ihm Blut ins Gesicht spuckte. Angewidert erhob sich dieser, hielt seinen Knopf und gab ihm mit seinem Knie einen heftigen Stoß ins Gesicht. Billys Kopf flog nach hinten. Blut spritze durch den Raum. Er hielt die Augen geschlossen. Seine Nase pochte. "Bist Du fertig?", brachte Billy atemlos heraus. Ohne eine Antwort verließen die drei den Raum. Es war wieder dunkel. Sich selbst überlassen checkte er ab, was alles demoliert war und kam zu dem Schluss, dass es hätte schlimmer sein können. Sie hatten seine Wirbelsäule nicht getroffen und sein Herzschrittmacher war auch noch intakt. Durch seine Nase konnte er nicht mehr atmen. Er schloss die Augen und versuchte sich zu erholen.

Er muss eingenickt sein, denn auf einmal war es wieder hell. Er entdeckte Chris an der Tür, der nervös auf seiner Lippe kaute und sich kaum wagte, ihn anzusehen. Diesmal waren die zwei anderen Männer mitgekommen. Anstatt der Baseballschläger hatte der eine eine Kette und der andere einen Rohrstock in der Hand. Billy stand mühsam auf. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch bewußtlos wurde er nicht. Er schnappte nach Luft und ehe er es sich versah, sauste die Kette auf seinen nackten Oberkörper nieder. Die einzelnen kleinen Glieder bohrten sich tief in sein Fleisch und rissen lange Wunden in seine Brust. Chris konnte das nicht mit ansehen und verließ den Raum. Billy schaute ihm nach. Mit dem Stock schlug der andere ihm von hinten in die Beine, so dass er wieder zurück auf die Knie fiel. Ein Brennen stieg in ihm hoch. Es begann in den Oberschenkeln und zog sich durch seine Eingeweide über sein Gesicht bis hoch an seine Schädeldecke. Immer wieder holte der Kerl aus und drosch mit dem Stock auf seinen Rücken ein. Billys Hände umschlossen fest die Kette an der er festgebunden war. Unter seinen Knien bildete sich eine rote Pfütze. Ihm troff das Blut aus der Wunde auf seinem Oberkörper und aus der Nase. Das konnte er sehen während er nach vorn gebeugt die zig Stockschläge über sich ergehen liess. Pause. Er atmete flach und schnell. Sein Rücken brannte wie Feuer und er merkte wie sich sein Hosenbund mit Blut vollsog. "Redest Du jetzt?", Mikes Frage war fast ein Flüstern. Es konnte aber auch sein, dass das rauschende Blut in seinen Ohren Billy alles dumpf wahrnehmen ließ. Er hörte sich sagen: "Fick Dich!" Als die Kette sich diesmal um seine Taille schlang und ihm einen blutenden Gürtel verpasste, biss er sich auf die Lippen und unterdrückte einen Schrei. Plötzlich schwang die Tür auf und jemand rief: "Da kommt jemand!" Rasch waren sie verschwunden. Billy war allein. Es war stockdunkel. Benommen hing er an der Kette. Er hustete und versuchte sich mit dem Oberarm das Blut aus dem Gesicht zu wischen.

"Hallo?", hörte er eine vertraute Stimme aus der ferne rufen. Mit letzter Kraft schlug er die Arme über seinem Kopf zusammen, so dass die Kette rasselte. Vorsichtig ging die Tür auf. Er blickte Tom ins Gesicht. Dieser seufzte geräuschvoll und näherte sich ihm. Ein paar Meter entfernt wartete James, ein Sanitäter. Billy brachte keinen Ton heraus. Jedes Mal, wenn er einatmete, hatte er das Gefühl, sein Oberkörper würde zerreißen. Tom befreite Billy von den Ketten und bevor er zu Boden sank, war James zur Stelle und fing ihn auf, um ihn auf den Boden zu legen. Fragend schaute Billy Tom an. "Es war Chris", sagte der Arzt und bereitete alles für den Transport vor. Billy zog verwundert die Stirn in Falten. Mit der rechten Hand zeigte er an, dass er eine Luft mehr bekommt. Es musste nun schnell gehen. James holte die Trage und den Erstversorgungsoffer, während Tom seinem Bruder Schmerzmittel gab. Noch im RTW behandelte Tom provisorisch den Pneumothorax um Billy das Atmen zu erleichtern. "Du musst damit aufhören, Billy. Ich sterbe tausend Tode, wenn Du mir eine SMS mit einer Adresse schickst", flehte Tom. Dabei tastete er Billys Rippen und die Wunden ab. Sein Bruder war ganz schön lädiert. "Der eine Fall noch. Versprochen. Aber ich brauche noch Zeit", keuchte Billy.


Tom und BillyWhere stories live. Discover now