Nächtliche Treffen

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Mein nächster Tag startete erneut mit Kunst, müde lief ich durch die Gänge, meine Motivation war auf dem Nullpunkt.
Im Atelier ließ ich mich auf meinen Platz sinken, Brad war noch nicht da, also saß ich allein.
Irgendwie hatte ich es nicht geschafft in die Gruppen um mich rein zu kommen, die meisten unterhielten sich, alberten herum, während ich Löcher in meinen Tisch starrte.

Benjamin setzte sich erneut vorne auf das Pult, als er mit seinem Vortrag begann.
"Heute möchte ich mich auf ein bestimmtes Thema konzentrieren, nämlich den Menschen. Der Mensch wird seit Urzeiten in der Kunst aufgegriffen, seitdem hat sich die Darstellungsweise stark verändert. Heute ist es an euch, den Menschen abzubilden. Dazu gebe ich euch keine Vorgaben außer, dass ihr euren sitznachbar abbilden müsst. Alles was ihr an Material braucht findet ihr im Materialraum."

Frustriert blickte ich mich um, alle hatten einen Partner, nur ich ging mal wieder leer aus. Seufzend begann ich mit einer Skizze von Brads Gesicht, als jemand eine Leinwand und Pinsel auf das Pult neben mir legte.
"Sie haben dann wohl die Ehre mit mir zusammen zu arbeiten."
Benjamin ließ sich auf den Platz neben mir fallen und musterte mich spöttisch.

"Aber Brad wird beim nächsten mal bestimmt wieder da sein?"
Ich merkte selbst, dass es ein lahmes Argument war, aber etwas in mir sträubte sich dagegen, mit ihm zusammen zu arbeiten.
"In der letzten Reihe fehlt auch jemand, dann machen die beiden zusammen."
Ein kurzes Schweigen lag zwischen uns, dann drehte ich zu mir um und griff nach meinem Zeichenblock, "gut, dann fangen wir an."
"Einfach so?", fragend zog er die Augenbrauen hoch.
"Ja, einfach so."
Als ich nach meinem Bleistift greifen wollte, hielt er meine Hand fest, "du kannst mich doch nicht einfach in einer Skizze darstellen."
Erschrocken entriss ich ihm meinen Arm, "wie den sonst Mister White?"

Lachend lehnte er sich zurück, "also, es gibt einen Unterschied zwischen 'darstellen' und 'abbilden', abbilden ist unpersönlich, eine schlichte Darstellung, das ist nicht eure Aufgabe, ihr sollt euer gegenüber erfassen, kennen lernen und eurem Werk eine Seele geben, einen Menschen darstellen."
Sein Blick ruhte auf mir, "würde ich dich abbilden, würde ich einfach ein Mädchen mit roten Haaren malen, Sommersprossen, braunen Augen, recht groß und sehr dünn. Aber du bist mehr als diese äußeren Merkmale, oder?"
"Ja, natürlich."
"Na also. Am besten lässt du mich anfangen ja?"
"Von mir aus", ich verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an, also, was soll ich tun?"
"Gib deine Abwehrhaltung auf", er deutete auf meine Arme, "und erzähl mir von dir. Woher kommst du? Was treibt dich an? Wonach suchst du im Leben?"
"Ich bin nicht sonderlich spannend", setzte ich an, als er mich unterbrach, "lass mich das entscheiden."

Ich setzte mich grade hin und blickte ihn an, seine Hand hatte er in seinem langen Haar vergraben, seine Haltung war entspannt, "also ich bin an Angelina Solis, neunzehn und komme aus der Nähe von Köln. Ich bin ständig auf der Suche nach neuen Herausforderungen, nach neuen Aufgaben."
"Okay, ja du bist langweilig. Aber ich glaube das liegt an deiner Darstellungsweise, du lässt dir nicht in die Karten gucken und hältst viel zurück."
Er lehnte sich zurück, "willst du auch was von mir wissen?"
"Meinetwegen."
"Das zeugt ja von Begeisterung", erneut lachte er, "aber gut, ich fasse mich kurz, ich bin Benjamin White, neunundzwanzig, aus Norwegen. Was mich antreibt ist meine Neugier. Ich bin ein unglaublich neugieriger Mensch, außerdem habe ich Ziele in meinem Leben, zum Beispiel jeden Kontinenten betreten, ein guter Vater werden und so weiter. Ich finde man kann nur sterben, wenn man wirklich gelebt hat, sonst war man nie wirklich lebendig. Hilft dir das, oder brauchst du mehr?"

"Das reicht."
Ich musterte noch einmal sein Gesicht, die hohen wangenknochen, die schmale Nase, die vollen Lippen, das Haar, welches fast bis auf die Schulter ging und der drei Tage Bart, dieser Mann hatte eines der schönsten Gesichter, die ich je gesehen hatte, dennoch wirkte es auf mich eher abschreckend als anziehend.

Der Beginn der Unendlichkeit Where stories live. Discover now