Mitbewohner

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Ein lautes Rumpeln weckte mich, erschrocken hob ich den Kopf und blickte auf ein Mädchen, das mit Reisetaschen und einem Koffer mitten in meinem Zimmer stand.
"Guten Morgen", fröhlich strahlte sie mich an.
"Was ja tust du hier?"
"Ich wohne jetzt hier."
Lachend zeigte sie auf das leere Bett gegen über von mir.
"Ich hab mich mit meiner Nachbarin nicht vertragen und durfte wechseln, hier ist der Zettel."
Sie reichte mir einen Zettel vom Sekretariat auf dem Stand, dass wir uns das Zimmer von nun an teilen würden, so schnell wurde mein Wunsch nach einer Mitbewohnerin also erfüllt.
"Oh man", verschlafen kuschelte ich mich zurück in mein Bett, "dann richte dich mal ein."
"Musst du nicht in einer Lesung sein?"
Ohne zu fragen setzte sie sich neben mich auf mein Bett und strich sich durch ihre blonden Haare.
"Ich habe heute frei."
"Achso, ich hab nachher einen Vortrag, bis dahin habe ich noch Zeit, mich einzurichten."
"Okay, dann tu das."
Ich wickelte mich erneut in meine Decke, doch einschlafen konnte ich nicht mehr. Stattdessen beobachtete ich meine Mitbewohnerin dabei, wie sie ihre Sachen ausräumte.

Sie schien kaum etwas zu besitzen, einige Klamotten, ein paar Bücher, eine bunt geblümte Tagesdecke und Kameras, diese brauchten wohl den meisten Platz in ihrem Gepäck.
"Fotografierst du?"
"Ja, ich studiere auch Fotografie."
"Okay."
Ich stand auf und griff nach meinem warmen Pulli, man merkte, dass der Herbst immer näher kam.
Fröstelnd öffnete ich das Fenster und atmete die kühle Luft ein.
"Du könntest Model sein."
Erstaunt drehte ich mich um, "äh, danke."
"Kein Ding, mit der Zeit bekommt man einen Blick für so was, du bist so eine alte Schönheit, du trägst diese natürliche Schönheit in dir, mit alten, klassischen Gesichtszügen und unglaublich schönen Haaren."
Ihre schmeichelhafte Art war mir unangenehm, doch wahrscheinlich war sie immer so.
"Wie heißt du eigentlich?", ich konnte noch nie gut mit Komplimenten umgehen, also versuchte ich sie zu umgehen.
"Kristin und du?"
"Angelina."
"Der Name ist total schön", erneut lachend trat sie zu mir ans Fenster und blickte nach draußen auf den kleinen Park, der zu unserem Campus gehörte, dabei viel mir auf, dass sie auf eine eigenartige Art sehr schön war, ihre blonden Haare waren etwas struppig, dennoch glänzten sie in der aufgehenden Sonne, ihre Gesichtszüge wirkten mit den scharfen Kieferknochen und dem ausgeprägten Kinn sehr hart, doch die großen blauen Augen gaben ihr etwas sanftmütiges.
"Ich glaube ich sollte mich langsam auf den Weg zum Vortrag machen", seufzend trete sie sich um und begann Block, Mäppchen und eine Flasche Wasser in ihre Tasche zu packen.
"Wollen wir uns zum Mittagessen vielleicht treffen? Ich kenne hier keinen und alleine in der Mensa zu essen ist irgendwie echt unangenehm.
"Klar, wann endet dein Vortrag?"
"Dreizehnuhr."
"Okay, dann bin ich kurz nach eins in der Mensa."
Kristin lächelte noch einmal, dann verließ sie das Zimmer.
Als die Tür zuschlug lehnte ich mich gegen den Fensterrahmen und blickte erneut nach draußen, unten im Park herrschte schon jetzt ein reges Treiben, Leute gingen joggen, liefen zu Ihren Vorlesungen oder saßen lesend auf den verschnörkelten Bänken.
Unwillkürlich musste ich Lächeln, als ich Brad entdeckte.
Als hätte er meinen Blick gespürt blickte er zu mir hoch und lächelte.
Ein wenig verlegen lächelte ich zurück.

Mit großen Schritten eilte er auf das Gebäude mit den zimmern zu, ich brauchte einige Sekunden bis ich begriff, dass er vermutlich auf dem Weg zu mir war.
Schnell zog ich mir eine Jeans über und bürstete mein Haar, grade, als ich ein wenig wimperntusche auftragen wollte, klopfte es.
Wie zu erwarten stand Brad vor der Tür.
"Hi, darf ich rein kommen?"
"Klar", ich trat zur Seite und Brad setzte sich auf mein Bett.
"Hast du jetzt doch eine Mitbewohnerin?"
"Ja, kam heute morgen hier rein geschneit."
Lachend lehnte er sich gegen meine Kissen, "naja, was ich eigentlich fragen wollte war, ob du Lust hast mit mir und ein paar Jungs aus Kunst was zu Mittag zu essen?"
"Oh", ich spürte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, "weißt du, ich würde wirklich gerne, aber ich hab mich für heute Nachmittag schon verabredet."

"Achso", etwas geknickt kaute er auf seiner Unterlippe rum, "und heute Abend?"
"Da habe ich Zeit."
"Gut. Was hältst du davon, wenn ich gegen 6 her komme und wir dann was unternehmen?"
"Klar, und was?"
"Such dir was aus."
Mit diesen Worten stand er auf, "bis später dann."
"Ja, bis später."

Frisch geduscht machte ich mich kurz bevor Kristins Vortrag endete auf den Weg zur Mensa.
Es war seltsam, wie schnell die Gänge mir vertraut geworden waren, selbst einige Gesichter kamen mir bekannt vor.
Ich setzte mich an einen der Tische und betrachtete die Menschen um mich rum, alle standen in Gruppen und unterhielten sich.
Ein leichtes stechen in meiner Brust machte mir klar, dass ich das nicht geschafft hatte, ich hatte keine Clique und womöglich würde ich nie eine haben, doch bevor ich zu sehr in meinen Trübsinnigen Gedanken versinken konnte, kam ein Mädchen mit lila Haaren auf mich zu.

"Hey, Angelina!"
Breit lächelnd setzte sich Sabrina zu mir.
"Du hast dich gar nicht gemeldet, ist alles gut bei dir?"

Mir viel ihre Handynummer auf einer Seite in meinem Block wieder ein.
"Oh, äh, ja ich hab nur irgendwie den Zettel mit deiner Nummer verloren, tut mir echt leid, sonst hätte ich mich längst gemeldet.
Das war eine Lüge, ich war ein totaler Versager, wenn es darum ging, Kontakt zu Menschen auf zu bauen.

"Ist doch kein Problem", sie zückte ihr Handy, "gib mir einfach deine schnell."
Ich diktierte ihr meine Nummer, zufrieden lächelte sie mich an, "also dann, ich muss leider los, noch einige Dinge besorgen, aber wir sehen uns ja."
"Ja, klar."
Nachdenklich blickte ich ihr hinterher, vielleicht war ich ein Stück weit selbst an meiner Vereinsamung schuld.

Kristin und ich beschlossen uns nur schnell etwas zu essen zu holen und dann oben in unserem Zimmer zu essen, die Mensa war uns einfach zu voll.
Also saßen wir auf zwei meiner großen Kissen auf dem Boden und verputzten unsere belegten Brötchen.
"Wie finanzierst du dir dein Studium eigentlich?"
Die Frage kam unerwartet und war mir etwas unangenehm, "meine Eltern zahlen mir eigentlich alles, außerdem
habe ich noch einige Bilder von mir verkauft."
"Wow", ehrfürchtig betrachtete Kristin mich.
"Und du?", schnell versuchte ich die Unterhaltung auf sie zu lenken.
"Oh, ich hab ein Kredit und finanziere mich auch über Fotoshootings und so."

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, dann erzählte sie, dass sie abends mit ihrem Freund verabredet war.
Für ihn hatte sie sich extra für diese Uni entschieden, um in seiner Nähe sein können.
Zusammen suchten wir für Sie etwas zum anziehen aus, ihr Kleiderschrank war ziemlich leer und bestand hauptsächlich aus einfachen Basics wie schlichten Shirts und Bluejeans, also lieh ich ihr eins meiner Kleider.

Grade als sie gehen wollte, klopfte es an unserer Tür.
Schwungvoll öffnete Kristin sie, "herrrrrreinspaziert."
Etwas überrascht blickte Brad uns an, "mit so viel Enthusiasmus hätte ich nicht gerechnet."
"Tja, wir hätten die Tür auch zu lassen können, aber ich muss jetzt los. Macht es gut."

Lächelnd blieb ich mit Brad allein zurück.
"Also", vorsichtig nahm er meine Hand, "worauf hast du Lust?"
"Keine Ahnung", beschämt blickte ich nach unten, ich hatte mir keine wirklichen Gedanken über den Abend gemacht.
"Macht nichts, ich habe Sicherheitshalber was raus gesucht."
"Was denn?"
Ein Lächeln stahl sich auf sein Gesicht, "lass dich überraschen."

Der Beginn der Unendlichkeit Où les histoires vivent. Découvrez maintenant