Kapitel 5

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Das Wasser, das aus dem rostigen Duschkopf plätscherte, war eiskalt. Aber ich hatte nichts anderes erwartet. Eigentlich war es mir auch egal. Das Einzige, was mich im Moment interessierte, war, diesen Tag von meiner Haut zu spülen.

Ich fühlte mich so schmutzig. Laut Miranda war der Zoo heute alles andere als gut besucht gewesen, was vermutlich am Wetter lag. Sie meinte, dass bei Sonnenschein die Besucherzahlen um einiges höher ausfielen. Irgendwie hoffte ich, dass die Sonne nie wieder hinter den Wolken hervorkam.

Wie betäubt betrachtete ich die verkalkten, schmutzigen Fliesen an der Wand vor mir, während der eisige Wasserstrahl schmerzhaft auf meiner Haut brannte. Ich bekam die Bilder nicht aus dem Kopf. Dieser Mann war tot. Nachdem Grayson gegangen war, hatten die Wärter ihn vom Platz geschleift, wo er eine dunkle Spur am Kies hinterlassen hatte. Und selbst dann war es noch so unerträglich still gewesen. Die Leute hier hatten Angst, den Mund aufzumachen. Vermutlich, weil dann genau das mit ihnen passierte, was heute mit dem Bären-Mann geschehen war.

Das hatten Mom und Dad nie in den Märchen erwähnt. Entweder, sie hatten davon selbst keine Ahnung gehabt, oder solche Vorfälle drangen einfach nicht nach außen. So wie alles, was hier im Zoo passierte.

In den Erzählungen war von Legenden die Rede gewesen. Von Geschichten, die sich die Menschen am Lagerfeuer zuflüsterten, um sich gegenseitig Angst zu machen. Niemand von ihnen hatte wohl erwartet, eines Tages hier zu landen. Ich am allerwenigsten.

Aber eines war sicher. Sobald ich hier raus kam, würde ich dafür sorgen, dass sämtliche Geheimnisse des Zoos ans Licht kamen. Dann würde es ihm schon bald nicht mehr geben. Und die Wärter konnten sich auf ein Leben im Gefängnis vorbereiten. Allen voran Grayson – oder besser gesagt S1. Ich hatte beschlossen, ihn besser so zu bezeichnen. Es erschien mir falsch, jemanden wie ihn beim Namen zu nennen. Als wäre er ein Mensch wie jeder andere. Als hätte er Gefühle. Denn die hatte er garantiert nicht.

Als ich in ein dickes Handtuch gewickelt aus dem Bad kam, saß Miranda am Esstisch. Vor ihr standen zwei Teller mit dampfender Suppe darin.

»Das Essen wurde gerade geliefert«, erklärte sie, als sie mich bemerkte. »Außerdem haben die Wärter ein paar Klamotten für dich vorbeigebracht.« Sie deutete mit ihren spitzen Krallen auf die Couch, wo ein Stapel an Kleider lag. »Die Besucher sehen es nicht gerne, wenn wir uns ungepflegt zur Schau stellen.«

Ich verdrehte die Augen. Was interessierten mich die Besucher? Aber immerhin hatten die Wärter daran gedacht, dicke Pullover und Wollsocken mit in das Paket zu legen. Scheinbar war es nicht im Interesse des Zoos, dass wir in unseren Hütten erfroren.

Nachdem ich mich umgezogen hatte, setzte ich mich zu Miranda an den Tisch. Mir war immer noch kalt, aber die Suppe wärmte mich von innen her auf. Zwar schmeckte sie nach kaum etwas, aber das war mir egal. Da schwammen Gemüse und Nudeln im Teller, die mich zumindest sättigten. Seit heute Morgen hatte ich nichts mehr gegessen, mein Magen knurrte seit Stunden.

»Es tut mir leid, dass du das mit ansehen musstest«, meinte Miranda nach einer Weile. Sie aß ihre Suppe langsam, während ich die Flüssigkeit eilig in mich hinein löffelte. »Ich dachte wirklich, er würde ihn nur bestrafen.«

»Das hat er ja auch.« So gleichgültig wie möglich zuckte ich mit den Schultern. Doch ich konnte Miranda im Moment nicht ansehen. Mein Blick blieb auf die Suppe fixiert. »Immerhin habe ich nun einen guten Eindruck, wer Grayson Baskin ist.«

»Trotzdem.« Miranda schüttelte den Kopf. »Das war dein erster Tag. So etwas hättest du nicht sehen sollen.«

»Mach dir um mich keine Sorgen«, wehrte ich ab. »Mir geht es gut. Aber noch besser würde es mir gehen, wenn ich nicht hier eingesperrt wäre.«

Zoo der MonsterWhere stories live. Discover now