Die Konsequenzen [eines Kusses]

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Es war nicht einfach ein Leben wie dieses zu führen. Eines indem andere Menschen -vor allem Frauen- eine wichtigere Rolle spielten als genügend Schlaf oder eine gesunde Ernährung. Sie wusste, dass sie wenigstens ihre acht Stunden Nachtruhe bekommen sollte um nicht in den nächsten Monaten einfach umzufallen. Sie wusste das sie eine ausgewogene Ernährung benötigte wenn sie ihr Training aufrecht erhalten wolte. Sie wusste das sie so einiges tun sollte um ihre Gesundheit nicht aufs Spiel zu setzen, es fiel ihr aber schwer.

Nachdem was die letzten Wochen passiert war konnte sie nicht einfach still herumsitzen und abwarten. Es gelang ihr nicht abzuwarten und nichts zu tun. Ihr war ebenso bewusst wie jedem anderen, dass es kein Unfall gewesen war, Mord aber war es ebenso wenig gewesen. Es war lediglich ein Versuch einer Frau gewesen, eine weitere Frau zu beschützen. Das Gesetz würde sie nicht bestrafen - Beide würden bereits genügend Probleme damit haben den Tatsachen in die Augen zu blicken. Eine Mutter hatte ihren Sohn verloren, und eine Frau ihren Freund. Vor allem aber hatte sie sich selbst dabei verloren, musste nun mit etwas leben das sie nicht einfach so als Unfall oder dummen Alkohol abstempeln könnte.

Müde ließ Katherine sich in ihren Stuhl sinken und stellte die Tasse Kaffee auf ihrem Schreibtisch ab. Mittlerweile arbeitete sie seit über vier Jahren hier, und seit über vier Jahren hatte sie keinen Fall gehabt der so viele Erinnerungen aufwühlte wie dieser hier. Sie wusste noch nicht einmal weshalb es sie so sehr mitnahm, vielleicht sah sie ein klein wenig von sich selbst in dieser Frau. Dabei war es noch nicht einmal so als wären sie sich besonders ähnlich. Noch nicht einmal ihre Fälle hatten Ähnlichkeit zu einander. Möglicherweise aber war es die Tatsache das diese Frau ihr Vertrauen in ihr gefunden hatte, nachdem sie den Terror ihres Freundes durchstehen hatte müssen. Es konnte ihr Blick gewesen sein, die Hilflosigkeit die sie selbst heute noch in ihrem Spiegelbild sah wenn sie an damals zurückdachte. Sie verstand selbst nicht, weshalb es so war.
Vielleicht würde sie das auch niemals, dass musste sie aber auch nicht.

"Immer noch hier?"
Die tiefe Stimme des alten Mannes sprach über ihren Bildschirm hinweg zu ihr. Sie hob ihren Blick und nickte knapp, tippte die letzten Worte ihres Berichtes über den letzten Fall den sie bearbeitet hatten. Sie erkannte die Falte auf seiner Stirn, und die dunklen Augenringe die auch sein Gesicht zierten. Er war ebenso oft und lange hier wie sie es war - manchmal glaubte sie sogar das er einfach nur hier blieb um auf sie aufzupassen. Um dafür zu sorgen das sie nachhause ging und wenigstens ein paar Stunden Schlaf bekam. Im Moment gelang es ihm wohl selbst nicht sonderlich oft, und so wie sie seine Frau kannte war diese nicht wirklich glücklich damit ihn so unfassbar selten zu Gesicht zu bekommen.

Ein verheirateter Mann in seinen späten Vierzigern sollte sich wohl aber wirklich etwas mehr Zeit für seine Familie nehmen als hier in diesem Büro zu verbringen.
Niemand wollte so viel Zeit hier verbringen wie sie es taten.

"Der Bericht kann auch bis morgen warten," erklärte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Ihr war bewusst das es keine Bedrohung sein sollte, dass er hier nicht etwa versuchte sie aus dem Büro zu werfen und nachhause zu schicken. Er war lediglich besorgt das sie sich überarbeitete, sie hatte ihm nun aber schon oft genug gesagt das sie wusste wann genug war. Oder nicht - wirklich interessieren sollte es ihn eigentlich nicht. Auch wenn er der Mann gewesen war, der sie aus ihrer beinahe tödlichen Situation gerettet hatte. Sie vertraute ihm. Beinahe ebenso sehr wie sie ihrer Familie damals vertraut hatte.

Langsam trat er um ihren Schreibtisch zu ihr, zog dabei einen Stuhl mit sich und ließ sich neben ihr nieder. Ihm war klar wie sehr sie das hier an ihre Zeit in der Hölle erinnerte und ihm war klar, dass all diese Frauen sie nicht einfach nur unruhig schlafen ließen. Sie hatte Alpträume, hatte deshalb schlaflose Nächte und wusste selbst nicht so Recht wie sie diese Phase in ihrem Leben beenden sollte.

Die Dunkelheit des AugenblicksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt