Kapitel 3

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Die Klausur fand im zweiten Block statt. Zuerst musste ich mich durch Wirtschaftswesen quälen und hoffen, dass mich der Eimer Kaffee aus der Mensa wachhalten würde. Während ich Schluck für Schluck in mich hineinschüttete, konnte ich nicht aufhören an den gestrigen Abend zu denken.

Im Laufe des Morgens war mir der Verdacht, dass Marc wusste, wo ich wohnte, beinahe albern vorgekommen. Ich hatte mir Fakten zurechtgebogen und die Nacht damit verbracht, sie von allen Seiten zu beleuchten und zu zerstückeln. 

Dennoch war Marc seltsam. Ich hatte ihm mehr als einmal signalisiert, dass ich kein Interesse hatte.

Und war Sekunden später auf ihn eingegangen.

Ich stellte den Kaffeebecher auf den Boden und kaute auf der Unterlippe. Schließlich schüttelte ich mich. Nein. Ich würde mir nicht die Schuld für das Verhalten anderer geben.

Ich hatte seine Avancen klar und deutlich abgelehnt. Sein Angebot, mich nach Hause zu bringen, hatte ich angenommen, weil Hoodie drei Stunden reglos im Café saß und mich womöglich ausrauben wollte. Das war noch lange kein Zugeständnis, und keine Aufforderung, mich anzubaggern oder zu küssen.

Ich strich mir über die Wange, berührte die Stelle, die er so grob angepackt hatte. Als er hätte er sichergehen wollen, dass ich mich nicht abwenden konnte. Wenn er nicht angerempelt worden wäre, hätte er sich vielleicht genommen, was ich ihm verweigert hatte. Ein Schauer lief mir über den Rücken.

Plötzlich hörte ich dumpf wie durch Watte ein Klopfen und als das Geräusch gänzlich meine Gehirnwindungen erreichte, stellte ich fest, dass die Stunde vorbei war, ohne dass ich vorher hinaushuschen konnte. Ich holte mein Handy hervor und blickte konzentriert auf das Display, um den Blicken meiner Kommilitonen auszuweichen.

Mein Daumen verharrte über der App. Vielleicht wäre es gut, wenn ich mich für heute Abend mit jemandem verabreden würde, meine Gedanken könnten sich so von Marc lösen. Sanfte Hände könnten die Erinnerung an das grobe Zupacken löschen. Ich zögerte und ließ das Handy dann sinken.

Nachdem alle den Hörsaal verlassen hatten, packte ich meine Sachen zusammen und ging ebenfalls. Ich würde die Klausur über mich ergehen lassen und dann auf direktem Weg nach Hause fahren und schlafen. Heute musste ich lediglich abends ins Café. Es würde bei dem kalten, windigen Wetter voll sein und damit ich überhaupt auch nur eine Bestellung zustande bekommen würde, musste ich schlafen.

Da heute sowieso alles egal war, ging ich schon einmal in den Saal, in dem ich gleich die Klausur schreiben würde. Eine merkwürdige Mischung aus Angst, Vorfreude und Sicherheit machte sich in mir breit. Angst, die Klausur zu verkacken, Vorfreude, zu zeigen was ich konnte und Sicherheit, weil ich eigentlich recht stoffsicher war, auch wenn ich dieses Mal nicht annähernd so viel gelernt hatte, wie sonst. Der Vorlesungssaal füllte sich schnell und jeder versuchte den seiner Meinung nach besten Platz zum Spicken zu ergattern. Ich konnte nicht viel von mir behaupten, aber ich konnte sicher sagen, dass ich noch nie abgeschrieben hatte. Das lag womöglich daran, dass es weder für eine gute noch für eine schlechte Note zu Hause eine Reaktion gab. Schrieb ich eine eins, trat ich in die Fußstapfen meiner Schwester Sophie, die meiner Mutter und vielleicht sogar meines Opas, denn mein Verdienst war es sicherlich nicht.

Und dann folgte beinahe immer: Sophie, ja, Sophie hatte glaube ich einen Durchschnitt von 0,75 im Abitur, oder? Hatte Sophie nicht in einer ähnlichen Klausur auch eine eins? Lass mich mal überlegen, wie Sophie in dem Kurs abgeschnitten hat ...

Schrieb ich eine schlechte Note, kam ein schlichtes Schulterzucken, als hätten sie von mir nichts anderes erwartet. Vielleicht konnte ich auch nicht abschreiben, weil mir lügen nicht lag. Was paradox war, denn jeder in meiner Familie versuchte möglichst viele Mitglieder auf seine Seite zu ziehen, ob mit der Wahrheit oder Lügen war egal. Sich dabei in andere reinzuversetzen war für sie nicht möglich. Und von der Gabe, von der sie so wenig besaßen, besaß ich umso mehr und deswegen schmerzte beinahe jedes Wort, das bei uns zu Hause gesprochen oder verschwiegen wurde. Wenn ich mich selbst analysieren müsste, würde ich sagen, dass daher mein Wunsch nach Einsamkeit kommt. Menschen verletzten mich schon mein Leben lang und bevor ich daran ganz zu Grunde ging, schottete ich mich ab.

Stardust in Your VeinsWhere stories live. Discover now