Kapitel 5

2 0 0
                                    

Der nächste Tag war herrlich ereignislos.

Kein männliches, mich verfolgendes Wesen, weit und breit.

Ich arbeitete eine Doppelschicht im Vintage Food, was bedeutete, dass ich mir mehr als zwölf Stunde lang, die Hacken wundlaufen würde. Den darauffolgenden Tag würde ich dann von morgens bis abends an der Uni verbringen. Die letzten vier Semester hatten ganz schön an meinen Kräften gezehrt, aber ich wusste ja, wofür ich es tat und so ließ es sich ertragen.

Während ich zuerst die Frühstücksgäste, dann die Mittagsmeute und schließlich die Feierabendbesucher bediente, wanderte mein Blick immer wieder ruhelos zur Tür.

Ich hielt Ausschau. Nach Marc. Nach Hoodie.

Marcs Absichten kannte ich. Unabsichtlich hatte er mich hinter seine Fassade blicken lassen und was ich dort gesehen hatte, gefiel mir nicht. Aber dennoch war Marc auf seine Art klar und präsent.

Hoodie jedoch, der Mann, der plötzlich überall auftauchte, lauerte im Schatten. Ich konnte ihn nicht greifen, seine Konturen waren neblig und verborgen. Seine Aura war düster, seine Präsenz einschüchternd.

Und doch suchte ich ihn. Mehr noch als Marc fürchtete ich ihn und ein kleiner, ein winzig kleiner Teil in mir, sehnte sich nach dem Unbekannten. Nach der Gefahr, nach dem Geheimnis und der Dunkelheit.

Der Ruf eines Gastes riss mich aus meinen Gedanken. Das Restaurant war winzig und zentral in Berlin gelegen. Meine Chefin hatte mit einer enormen Liebe zum Detail eine gemütliche, entspannte Atmosphäre geschaffen. Auf den Tischen standen kleine Lampen, bei der keine der anderen glich, weil sie sie auf Flohmärkten erstanden hatte. Geschmückt waren die Tische mit einer weißen Spitzendecke, wie man sie in der Generation meiner Oma hatte und einem Blumentopf, deren Betreuung ich vehement ablehnte. Pflanzen überlebten bei mir nicht lange. Entweder sie verdursteten oder ich ertränkte sie. Beides keine schönen Schicksale. Die Speisekarte sah aus wie ein in Leder gebundenes Notizbuch und auch die Schriftart war geschwungen und romantisch. Dies alles führte dazu, dass es in der Regel immer voll war, was wiederum meinem momentanen Gedankenkarussel zu Gute kam. Ich wirbelte zwischen den einzelnen Tischen und Bestellungen herum, bis ich nicht mehr wusste, ob ich mich oder der Raum sich drehte. Es war weit nach Mitternacht als wir endlich zusperrten, meine Kolleginnen erschöpft und ich völlig ausgelaugt, am Rande des Zusammenbruchs.

Bis zur S-Bahn war es nur ein kleines Stück, aber heute wusste ich nicht, wie ich es schaffen sollte, an der Spree entlangzulaufen, mich über die Brücke zu schleppen und die Stufen des Bahnsteigs zu erklimmen.

Nachdem ich mich von meinen Kolleginnen verabschiedet hatte, schloss ich kurz die Augen und versuchte mir mit aller Kraft vorzustellen, wie ich in der Bahn saß, die Füße vor mir ausstreckte und sanft durchgeruckelt wurde. Ich öffnete die Augen, nahm mein Handy raus und stöpselte die Kopfhörer an. Die Situation erforderte eine Playlist, die mich durch harte Beats dazu brachte, loszulaufen.

Ich wählte MoveYourAss und setzte mich in Bewegung.

Schlängelnd schob ich mich durch die Menschenmassen, die immer noch die Straßen Berlins bevölkerten, wurde angerempelt von Leuten, die es so viel eiliger hatten als ich. Ich fühlte mich wie die Kugel in einem alten Flipperautomaten und kam mir in dieser Menschenmasse so klein und nichtig vor. Dieser Gedanke wummerte zusammen mit den Bässen in mir.

Stimmen und Leben.

Von oben. Von den Seiten.

Nicht in mir.

                                                                  - Wer bin ich?

Stardust in Your VeinsWhere stories live. Discover now