Kapitel 4

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Leise öffnete ich die Haustür und lauschte. Ich konnte niemanden hören und war heilfroh darüber. Nachdem ich aus den Schuhen geschlüpft war und die Jacke aufgehängt hatte, ging ich nach oben in mein Zimmer und zog die Tür zu. Zu erschöpft, um die Jalousien zu schließen, das Fenster zu kippen oder auch nur meine Hose auszuziehen, fiel ich aufs Bett und schlief augenblicklich ein.

In meinem Traum tauchten immer wieder Hoodie und Marc auf. Sie kämpften gegeneinander, mal gewann Marc, mal Hoodie. Doch jedes Mal stand ich dazwischen und schrie. Um wen ich mich sorgte, wusste ich nicht.

Unterbrochen wurde mein Schlaf, als sich eine schwere Gestalt auf mich warf. Instinktiv versuchte ich mich unter dem Körper wegzurollen, mich zu verteidigen, auszumachen, was überhaupt los war. Ich öffnete die Augen, erkannte aber nur ein dunkles Lockengewirr. Bevor mir klar wurde, dass mein Bruder sich mit voller Wucht auf mich geworfen hatte, dachte ich tatsächlich für einen Moment, dass Marc in mein Zimmer eingedrungen war.

Lachend wandte ich mich unter Jakob, aber gegen seinen großen, kräftigen Körper besaß ich nicht den Hauch einer Chance. Wäre er normal, würden wir uns vor liebestollen Mädchen nicht retten können. Sein festes haselnussbraunes Haar stand wild in alle Richtungen ab, dazu hatte er unverschämt große topasbraune Augen, die immer, wirklich immer schelmisch blitzten.

„Jakob, geh runter von mir", lachte ich.

„Du bist da! Du bist da!", rief er und kitzelte mich weiter.

Es war ein vermeintliches Kitzeln, denn seine Feinmotorik war in etwa so gut wie meine, wenn ich versuchte, zu zeichnen. Nach seinen Kitzelattacken war ich stets übersät mit Blutergüssen, die tagelang schmerzten, aber seine ungehemmte Energie zu spüren, sein Wesen, das so fernab jeder gesellschaftlichen Norm war, tat so gut, dass ich jeden Schmerz der Welt in Kauf nehmen würde, um ihn zu haben.

„Ich bin immer hier, du Pappnase", sagte ich und startete einen Gegenangriff.

Er lachte und lachte und lachte und ließ endlich von mir ab, so dass wir beide schwer atmend und vor Lachen glucksend auf dem Bett lagen. Ich schob mein Shirt ein wenig hoch und sah, dass sich bereits tiefrote Flecken auf meiner gesamten Taille gebildet hatten. Das würde er zurückbekommen. Mit einem lauten Schrei stürzte ich mich auf ihn, fixierte seine Arme unter meinen Beinen und kitzelte ihn durch. Schließlich wurden wir von meiner Mutter unterbrochen, die die Zimmertür aufriss.

„Ist alles in Ordnung bei euch?", fragte sie.

„Hilfe, Mama, Hilfe", rief Jakob und ich hielt ihm den Mund zu.

„Klar, alles okay", sagte ich. „Ist Jakob schon wieder zu Hause?"

Wegen seiner Behinderung ging er in eine Schule, in der er Dinge lernte, die für uns selbstverständlich waren.

Sie lächelte und spielte mit. Schließlich ging es um Jakob, nicht um mich.

„Nein, ich habe ihn heute noch nicht gesehen."

Jakob bekam unter mir einen Lachkrampf nach dem anderen.

„Oh, das ist ja blöd. Ich wollte so gern ein Eis mit ihm essen. Naja, dann eben nicht."

„Das ist wirklich schade. Dann musst du wohl allein Eis essen", sagte sie und wir beide betonten Eis essen. Ekstatische, gedämpfte Schreie brachen zwischen meinen Fingern durch. Bei Eis gab es für Jakob kein Halten mehr. Meine Mutter wollte gerade etwas sagen als die Tür unten aufging.

„Caroline, warst du heute einkaufen?", rief mein Vater.

Was für andere eine normale Frage war, bedeutete bei uns Ärger. Ich wusste, dass mein Vater hoffte, dass sie nicht einkaufen war, um es ihr vorzuhalten. Mir war auch klar, dass meine Mutter auf den Zug des Ärgers aufspringen und endlos lange Strecken mitfahren würde.

Stardust in Your VeinsWhere stories live. Discover now