Bei Sebastian

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Ist das echt? Kann das sein? Träumt er? Nein, für einen Traum ist der Tag schon zu lange und zu real. Hatte er einen Autounfall und liegt im Koma? Er kann sich noch erinnern, dass er gestern nach Hause kam und sich zu Emilia, seiner Lebensgefährtin, ins Bett legte. Nachdem er keine Gedächtnislücke finden kann, kann es nur real sein. „Glaub mir, ich war auch verwundert.", riss ihn seine Mama aus den Gedanken. Sebastian ist kein Mann der schnell mal zum Weinen anfängt, aber jetzt war er den Tränen schon wirklich nahe. „Ich. Ich weiß nicht was ich sagen soll.", sprachlos steht er immer noch in der Tür „kommt mal rein. Schatz. Kinder seht mal wer da ist." Mit einem lauten „OMA" rennen die Kinder um die Ecke und laufen auf Elli zu um sie zu umarmen. Kurz darauf bemerken auch sie, dass ihre Oma nicht alleine ist. „Opa?", Michelle ist sich nicht sicher ob das wirklich ihr Opa ist, oder ob ihre Augen sie einfach nur austricksen wollen. Sie war zwar noch jung, aber auch sie wusste, dass Tote nicht einfach so wieder da sind.

Emilias Augen werden groß und vor Schreck lässt sie ihr Glas fallen, als der Besuch ins Wohnzimmer kommt. „Scherben bringen Glück", sagt Elli als passiert hier nichts Außergewöhnliches. „Ich weiß, ich bin tot, jetzt bin ich wieder da. Um es kurz zu machen, ich hatte einen Wunsch frei und wollte noch einen Tag mit euch verbringen." Arthur erklärt die Situation bevor noch wer Fragen stellen konnte. Es war ja verständlich aber langsam schon ein bisschen nervig.

„Ich würde jetzt gerne ein bisschen Zeit mit meinen Enkelkindern verbringen und dann auf dem Balkon eine Zigarre mit meinem Sohn rauchen", erklärte der ehemalige Zirkusdirektor den weiteren Ablauf der nächsten 2 Stunden. „Ich habe keine Zigarren", antwortete Sebastian verblüfft. „Aber ich", Arthur zieht zwei Cohiba Robusto aus seiner Hosentasche. Mit einem Augenzwinkern fügt er noch hinzu, „War auch Teil meines Wunsches"

Die nächste Stunde verbringt er damit, mit Michelle und Melanie zu spielen. Beide erzählen ihm davon, was er verpasst hat. Sie reden über Baymax, über Frozen und vor allem über Miraculous. Michelle erzählt ihm stolz von ihrer Klarinette und demonstriert ihre Fähigkeiten, während Melanie ihm ihre Kunststücke zeigt. Arthur glaubt nicht, dass er sich jemals so vollständig gefühlt hat. Während der ganzen Stunde muss er sich zusammenreißen um nicht zu weinen. Nicht vor den Kindern. Wenn er wieder in seinem Zirkus zurück ist kann er Annas Babcia erzählen wie stolz er auf seine Kleinen ist. Da kann er dann weinen. Aber nicht jetzt, die Zeit jetzt muss er genießen so gut er kann.

Als er auf den Balkon hinaustritt sitzt Sebastian bereits mit den Zigarren da. Schweigend sind beide Männer in ihre eigenen Gedanken vertieft. Arthur hat ihm so viel zu sagen und so wenig Zeit. Dazu kommt noch, dass er nicht weiß wo oder wie er anfangen soll. Entschuldigen wird nicht leichter, wenn man tot ist, aber es muss sein. Er atmet tief ein und fängt an, „Es tut mir Leid." Skeptisch schaut ihn Sebastian an, unterbricht ihn aber nicht. Er hat zwar auch viel zu sagen, entschied sich aber dazu seinen Vater ausreden zu lassen. „Ich habe Fehler gemacht. Viele Fehler. Um mich für jeden Einzelnen zu entschuldigen fehlt mir Zeit. Es war nie meine Absicht dir dein Leben schwer zu machen, oder irgendwen zu verletzten. Aber wenn ich schon die Chance habe noch einmal mit euch zu reden, möchte ich mich wenigstens entschuldigen. Im Leben nach dem Tot haben wir wieder einen Zirkus und ich würde mich freuen, wenn du wieder mit machst, aber ich möchte nicht die gleichen Fehler noch einmal machen. Ich möchte es besser machen. Außerdem bin ich wahnsinnig stolz auf dich. Was du aus deiner Firma gemacht hast und die Aufträge die du jetzt hast. Ich muss zugeben, ich habe an dir gezweifelt, aber du hast mir das Gegenteil bewiesen und ich bin wirklich mächtig stolz auf dich."

Sebastian ist sich nicht sicher, ob er das wirklich gehört hat, oder ob die himmlischen Zigarren nicht ein bisschen mehr als nur Tabak enthalten. „Ich muss zugeben, ich war mächtig sauer auf dich", antwortet Sebastian, „es hat mir weh getan, allen zuzuhören wie sie nur nettes über dich sagen, während ich immer noch sehr verletzt bin."

Arthur schaut auf den Tisch, der auf einmal viel interessanter erscheint als sein Sohn.

„Aber ich wäre nicht der Mensch der ich heute bin ohne deinen Fehler und unseren Problemen. Als ich mit Maria mit in Therapie war, habe ich von Problemen in ihrem Leben erfahren, von denen ich bis jetzt nicht wusste und mir wurde klar, dass du auch nicht wissen konntest wie es mir ging. Ob ich wirklich mit im Zirkus mache wenn ich tot bin, entscheide ich dann. Hoffentlich habe ich noch genug Zeit bis dahin."

Beide Männer fühlen sich als hätte man ihnen einen Sack Steine von den Schultern genommen, den sie schon seit Ewigkeiten mit sich mitschleppen.

Zu aller Bedauern müssen Elli und Arthur aufbrechen. Schließlich warten noch andere Personen darauf ihren Verwandten wieder in die Arme schließen zu können. Elli hat Lydia und Maria angerufen, als Vater und Sohn am Balkon geredet haben. Beide waren zwar verwundert, haben sich aber sofort auf den Weg nach Wien gemacht. Hilda wurde zwar vorgewarnt, dass Besuch kommt, weiß aber noch nicht, was bzw. wer sie erwartet.

In der Tür umarmen sich Arthur und Sebastian seit langem wieder einmal. Es wird das letzte Mal sein für einige Zeit und als Sebastian das bewusst wird, kommt ihm doch eine Träne aus. „Ah ja, noch was Sohn. Heirate die Frau endlich, sonst läuft sie noch weg." „Geh Papa, fang nicht auch noch damit an." Beide müssen lachen. Emilia, die das Abschiedsgespräch mitanhört, freut sich, dass ihr Schwiegervater sie offiziell in der Familie nicht nur akzeptiert hat, sondern effektiv darauf besteht Teil davon zu werden. Ob sie wirklich Teil dieser verrückten Bande sein will, daran zweifelt sie noch ein bisschen. Man kann es ihr nicht verübeln.

„Es ist schon 13:45", muss Elli feststellen, „wenn wir jetzt zur Mama fahren, bis wir wieder zu Hause sind ist es sicher 10 oder so. Ich möchte nicht, dass du wieder weg bist." Und abermals kullern bei ihr die Tränen. Sie möchte gar nicht so viel weinen, aber sie kann es nicht zurückhalten. Es ist als würde sie ihn noch einmal verlieren. Klar ist sie dankbar, für die zusätzliche Zeit, aber alles Gute hat natürlich einen Preis. Und sie wurde nicht einmal gefragt, ob sie bereit ist diesen zu Zahlen.

„Konzentrieren wir uns lieber auf die Zeit, die wir noch haben und nicht auf das was danach passiert ok?", Arthur wusste immer wie man eine positive Sicht auf das Leben behält, das hat sich auch nach seinem Tot nicht geändert. Wahrscheinlich hat er sogar darauf eine positive Sicht. Man kann es sich regelrecht bildlich vorstellen wie er neben seinem seelenlosen Körper als Geist steht, „Wenigstens muss ich jetzt nicht mehr ständig aufs Klo"

Eine 24-Stunden ChanceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt