Bei Hilda

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Zwei Mal den Knopf drücken, das war schon immer das Anläut-Zeichen der Familie Holt. Über die Jahre hat sich das nicht geändert. Generation zu Generation, jeder weiß, will er zu Hilda Holt muss zwei Mal geläutet werden.

Lydia, Daniel, Sophie und Maria sitzen währenddessen nervös bei Hilda im Wohnzimmer und versuchen so normal wie möglich Smalltalk zu halten. Daniel und Sophie waren die anderen zwei Enkelkinder von Arthur. Als sie die Glocke hören zucken sie vor Schreck zusammen. Beruhigend legt Hilda ihre Hand auf Marias Oberschenkel, „Das war doch nur die Klingel Schatzale. Kein Grund so nervös zu sein."

Chris, der wie jeden Tag auch diesmal wieder bei Hilda sitzt, steht aus seinem Sessel, der Früher für den Uropa gedacht war, auf und geht zu Türe um diese zu öffnen. Herein kommt Elli, dicht gefolgt von Arthur. Chris hat Arthur nie persönlich kennen gelernt, aber dank der vielen Fotos weiß er sofort, dass das was hier passiert unmöglich ist. Er war komplett verstummt.

„Hallo Mama", hört Hilda Elli durch die Wohnung schreien. „Hallo mein Schatz wie geht's dir denn?" „Gut, gut, schau mal wen ich mitgebracht habe". Auch die ältere Frau konnte nicht glauben was sie vor sich sieht. „Bin ich tot?", fragt sie leise und etwas unsicher, „ich muss tot sein anders ist das hier nicht möglich". „Hallo Mama", meldet sich Arthur mit Tränen in den Augen zu Wort.

„Du bist nicht tot", sagt Elli, „ich konnte es anfangs auch nicht glauben". Elli geht ins Wohnzimmer und setzt sich zu Hilda und Lydia auf die Couch während Arthur in der Türe stehen bleibt. Keiner bewegt sich. Jeder der bereits Anwesenden hat Angst davor, dass nur die kleinste Bewegung diesen Moment zerstören könnte. Es ist als hätte man ein sehr dünnes Kristallglas in der Hand. Ein Glas, welches schon durch die kleinste Erschütterung zerbricht. Es fühlt sich an als wären Minuten vergangen als Daniel vom Boden aufspringt und zu seinem Opa läuft. Arthur kann sich noch erinnern, vor ein paar Jahren, da war sein Enkel noch um einiges kleiner als er. Er bemustert ihn von Kopf bis Fuß. Zwar hat er ihn aus dem Jenseits beobachtet, aber ihn jetzt hautnah erleben zu können ist etwas komplett anderes.

Selbst Daniels rasche Bewegung konnte den Bann nicht brechen. Hilda war sich trotzt Ellis Bemerkung nicht sicher ob sie noch am Leben ist. Lydia, Sophie und Maria haben zwar den Drang es dem Jungen gleich zu tun und den, anscheinend, Untoten zu umarmen, aber das Kristallglas scheint zu dünn zu sein um noch eine Erschütterung zu ertragen.

„Ich habe 24 Stunden Zeit mit meiner Familie bekommen", meldet sich endlich Arthur, „24 Stunden volle Gesundheit in denen ich machen kann was ich möchte."

Maria war die nächste, die sich von der Couch erhebt um ihren Opa zu umarmen. Sie kann die Tränen nicht länger zurück halten und fängt zu weinen an. Sie weint so stark, dass sie nicht ein Wort raus bringt. Sie steht einfach nur in der Tür, fest umschlungen in den Armen ihres Opas. Eine Mischung aus Gefühlen durchfährt sie. Glück, Trauer, Verwunderung, Angst, es fällt schwer alle zu benennen. Es sind nur ein paar Sekunden, die sie so da stehen, vielleicht eine Minute, aber es hätten auch 5 Stunden sein können, Maria ist sich nicht sicher.

„Willst du", sie probiert zu sprechen, wird aber von einem Schluchzen unterbrochen, „willst du dich hinsetzen?"

Schnell räumen Elli und Lydia die Couch, damit sich Arthur neben seine Mutter setzen kann. Lydia ist sich nicht sicher, wie sie reagieren soll.

Vorsichtig setzt sich Sophie auf Arthurs andere Seite, sie war noch zu sehr geschockt um etwas anderes zu machen. Es passiert nicht jeden Tag, dass die Toten zurückkommen. Zumindest nicht in ihrer Welt.

Behutsam hebt Hilda ihre Hand und legt sie vorsichtig, als könnte er zerbrechen, auf die Wange ihres Sohnes.

„Du bist wirklich hier. Ich kann dich anfassen."

Nun kullern auch bei ihr die Tränen über ihre Wangen. Ihr toter Sohn sitzt hier neben ihr auf der Couch. Schnell umfasst sie ihn mit ihrem Armen, im Hinterkopf immer die Angst, dass alles nur Einbildung ist und er gleich wieder verschwindet. „Ich muss erst wieder gehen wenn die Sonne aufgeht", sagt Arthur als könnte er die Gedanken seiner Mutter lesen.

„Wie ist es da drüben so?", fragt Hilda.

„Ich habe wieder einen großen Zirkus und ich habe einige sehr nette Leute getroffen."

„Annas Oma?", fragt Maria plötzlich. Anna ist ihre beste Freundin und die zwei haben mal darüber Späße gemacht, dass sich ihr Opa und Annas Oma getroffen haben, als sie auf sie aufgepasst haben. Irgendwann wird Arthur gesagt haben „Schau dir unsere Idioten an" und hat sie auf einen Tee eingeladen. Dann hat er ihr ein paar Tricks für den Zirkus gezeigt und seitdem sind sie beste Freunde. So war es in Marias und Annas Kopf.

„Ja, auch Annas Oma. Sehr nette Frau. Du sollst Anna bitte ausrichten, dass sie sie sehr liebt hat und wahnsinnig vermisst."

„Ich möchte jeden Einzelnen von euch etwas sagen", redet Arthur weiter „angefangen bei dir Lydia. Ich bin sehr froh darüber, dass es dir jetzt besser geht, aber du hast sehr viele Dummheiten in den letzten Jahren gemacht über die du unbedingt nachdenken solltest." Lydia ist sich nicht sicher was er meint, aus ihrer Sicht hatte sie alles richtig gemacht. Sie und Sebastian haben sich vor ein paar Jahren scheiden lassen, nachdem sie Maria, Sophie und Daniel bekommen haben. Danach hat Sebastian Emilia kennen gelernt und mit ihr noch zwei Kinder bekommen. Sie kann sich wirklich nicht erinnern eine Dummheit gemacht zu haben

„Chris, ich bin sehr dankbar, dass du so gut auf meine Mama aufpasst. Wärst du nicht, müsste ich die ganze Zeit hier sein und mir Sorgen machen, danke dafür.

Daniel, ich hoffe du hast Spaß in deiner Ausbildung. Wenn du so weiter machst wirst du ein guter Koch werden. Denke immer daran, ich bin stolz auf dich, egal was du machst.

Sophie es ist sehr wichtig, dass du niemals vergisst, dass du ein Teil dieser Familie bist. Mach deine Ausbildung zur Kindergärtnerin brav fertig und hilf Kindern dabei ihr Potential auszuschöpfen. Ich bin auch sehr stolz auf dich.

Maria, ich weiß du hast ein paar Startschwierigkeiten deinen Weg zu finden, aber ich glaube du bewegst dich mittlerweile in die richtige Richtung. Auch wenn du das letzte Mal als wir geredet haben etwas ganz anderes gemacht hast bin ich trotzdem immer noch stolz auf dich.

Und Mama ich hab dich zwar darum gebeten auf Elli aufzupassen, damit war aber nicht gemeint dich für sie zu quälen. Wenn du gehen willst kannst du ruhig gehen. Elli kommt auch alleine zurecht. Sie ist schon groß. Egal wann du zu mir kommst, ich warte auf dich."

Nach Arthurs Ansprache fällt ihm nun auch Sophie um den Hals. Der Schock ist abgeklungen und sie lässt zum ersten Mal seit Langen ihren Emotionen freien Lauf. Es war für sie sehr wichtig mal von ihrem Opa zu hören, dass sie zu der Familie Holt gehört. Viel zu lange hat sie sich damit herumgeschlagen, vielleicht brennt es sich endlich so fest in ihr Gehirn, dass sie es niemals wieder vergisst.

„Ich hol mal Kaffee und Kuchen", sagt Chris und geht in die Küche.

Vielen Stunden vergehen und erst um 21:30 fällt Elli auf wie spät es schon ist.

„Wir sollten fahren. Wir haben noch einen langen Weg vor uns und ich muss morgen arbeiten", sagt sie und steht auf.

In den Augen aller ist eine Mischung aus Trauer und Glück zu sehen. Trauer, weil sie nun wieder Abschied von einen geliebten Menschen nehmen müssen und Glück weil sie nun wissen, dass es ihm gut geht. Wieder kullern die Tränen. Diesmal bei allen Anwesenden zur gleichen Zeit. „Hört doch auf zu weinen", sagt Arthur „es ist doch niemand gestorben" Wie früher versucht er mit einem Witz die Stimmung wieder zu heben. Aber es war niemanden wirklich nach Lachen zu mute. Nur Maria konnte er ein leises kichern entlocken. Ihr Humor war schon immer ähnlich.

Nacheinander verabschieden sich alle von Arthur. Durch das Wohnzimmer hallt eine Reihe an „Hab dich lieb". Nur Hilda sagt zum Abschied, „Ich freue mich schon dich wieder zu sehen mein Schatz"

Als Elli und Arthur zu Tür hinausgegangen sind, erfüllt sich der Raum mit einer Emotion die man nur als Erleichterung beschreiben kann. Endlich konnte sich jeder von ihnen Verabschieden. 

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