Wo ist Tanalar Jaurison?

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Das Schöne an Lokis neuer Position als Agent war: Er durfte bei Festen vorne an der königlichen Tafel sitzen und ging nicht mehr im Pöbel unter. Jeder Ase musste akzeptieren, dass er wichtig war und man hatte gelernt über seine zweifelhafte Herkunft zumindest öffentlich zu Schweigen. Das Schlechte daran war: Er konnte Sifs nerviges Lachen über zwei Tische hinweg hören.

Balder klopfte Loki beruhigend auf die Schulter, während dieser seinen zweiten Kelch Wein leerte. Purer Frust. Reine Langeweile. Dazu kam Freya, die ihn den ganzen Abend schon von der Tafel der Ehrengäste aus misstrauisch beobachtete, als würde er jeden Moment einen Dolch zücken, um ihn irgendjemandem ins Herz zu rammen. Mit einem zuckersüßen Lächeln prostete Loki ihr über den Lärm hinweg zu, was der Vanin nur ein sichtbares Schnauben entlockte.
„Komm schon Loki, sie hat dir nichts getan", versuchte Balder es mild.
„Aber sie würde gerne etwas tun. Ihrem Blick nach zu urteilen, würde sie mir furchtbar gerne etwas antun."
„Genaugenommen gibt es einige Asen oder Vanen die das wollen. Wolltest du jedem provokant zuprosten, wärst du morgen früh noch beschäftigt." Locker nippte Balder an seinem Wein und warf seinen Blick über die Menge. Der jüngere Prinz machte keinen Hehl aus der Abneigung die Loki zu Teil wurde, und doch schien es ihn nicht besonders zu stören.
Loki murrte nur in seinen Kelch hinein. „Gibt es etwas Neues?"
„Wegen der Sache? Nein." Balder seufzte. "Asi schweigt wie ein Grab. Vielleicht hätte Thor ihm doch das Gesicht brechen sollen."
„Vielleicht hättest du mich mit ihm reden lassen sollen. Ich bin mir sicher, ich kannte ihn besser, als der Rest von uns", gab Loki mit einem bitteren Lächeln zu bedenken und erntete nur ein Augenrollen.
„Echt jetzt? Du solltest dir langsam selbst vergeben, Loki. Du wusstest es nicht und es hätte jedem passieren können, nicht nur dir. Sie hätten ihn genauso gut auf mich ansetzen können."
Loki winkte ab und grinste, zum ersten Mal an diesem Abend ernsthaft amüsiert. „Hätten sie vielleicht getan, würdest du auch nur ansatzweise so gut aussehen wie ich ..."
„Loki!", rief Balder ihm gespielt empört entgegen schubste ihn leicht an. „Immerhin bin ich hier bekannt als der Schöne, und nicht du!"
„Und trotzdem bin ich es, dem alle hinterherlaufen. Tja, Namen sind eben nur Schall und Rauch ..."
Erneut schubste Balder ihn an, doch diesmal lag etwas Dunkles in seinem Blick, das Loki nur zu gut kannte. Warum Balder ausgerechnet Freude an ihren Diskussionen fand und ihn all das Kontra auch noch anzumachen schien, hatte Loki nie verstanden, aber es belustigte ihn und so provozierte er den Prinz bei jeder Gelegenheit.

Plötzlich wurde es still im Raum; Besteck wurde beiseite gelegt, Krüge abgestellt und ein erwartungsvolles Murmeln ertönte, ehe schließlich auch Odin und Frigga eintraten. Lauter Jubel ertönte.
Das Herrscherpaar begrüßte die Anwesenden und ganz besonders ihre Gäste aus Vanaheim. Odin lobte den Kampfgeist der jungen Prinzessin Freya und ihres Bruders in diesen schweren Zeiten, sowie den Widerstand, den sie bisher geleistet hatten; Frigga hingegen betitelte besonders die Vereinigung von Schönheit und Mut, welche Freya als junge Frau verkörperte und wünschte ihr weiterhin Erfolg und Gelingen in ihrer gerechten Sache, auf das Vanaheim über die Rebellen siegen möge.

Unter den lieben Worten der Königsmutter errötete Freya, gab ihrerseits ein paar ehrlich gerührte Worte des Dankes an das Herrscherpaar und Thor, für die Unterstützung, die sie Vanaheim boten.

Loki verdrehte die Augen. „Sie sollte sich lieber mal einen Partner suchen, der ihr zur Seite steht, vielleicht wäre sie dann nicht so zickig und unausgeglichen..." Noch ehe er aussprechen konnte, kassierte er gleich zwei Seitenhiebe: einen von Balder und einen von Hogun, der mit dem Rest der Warriors Three rechts von Thor platziert war. „Was denn...", protestierte Loki, doch zwei vielsagende Blicke brachten ihn unwillig zum Schweigen.

„Beginnen wir mit der Feier!", verkündete der Allvater mit lauter Stimme und unter erneuten Jubelrufen griffen alle auf, was sie zur Seite gelegt hatten und mit Musik, Tanz und ein paar magischen Unterhaltungen begann das Fest.

Wenig später war die Stimmung bereits ausgelassen und Loki schielte zu Thor. Dieser unterhielt sich seinem Grinsen nach zu urteilen gerade mit Fandrall über irgendeinen Schweinekram und Loki seufzte ergeben. Wie hielt er das alles seit Jahren eigentlich aus? Diesen ganzen Prunk und dieses gesellschaftliche Flanieren?
Gelangweilt ließ er seinen Blick schweifen, bekam gerade noch mit, wie einer von Freyas Leuten sich entschuldigte. Er konnte den Soldaten über den Lärm hinweg nicht verstehen, doch von seinen Lippen konnte er ablesen, dass es ihm wohl nicht gut ging. Aber was zur Hölle sollte einem Vanen zusetzen? Ein Schnupfen?
Das Essen war astrein, das hatte Loki probiert, den Wein ebenfalls. Mit einem Mal spielte seine Intuition verrückt und langsam lehnte er sich zu Balder hinüber. „Hey, geh doch mal rüber und plaudere ein bisschen mit Freya, ja?"
„Was? Was ist denn los?" Balder schien verwirrt, doch als Loki nicht antwortete, stand der Prinz schließlich genervt auf. „Wenn du mich umsonst in die Höhle des Löwen schickst, dann ..."
„Stell dich nicht so an Balder, du bist Diplomat. Du kannst ja wohl ein Höflichkeitsschwätzchen halten, oder was bei Hel haben sie dir überhaupt auf dieser Schule beigebracht?" Loki erhob sich in einer eleganten Bewegung von seinem Stuhl und noch ehe Balder weitere Einwände erheben konnte, war Loki bereits auf halbem Weg aus dem Festsaal.

Kurze Zeit später hatte er den vanischen Soldaten auf den Gängen wiedergefunden und folgte ihm unauffällig. Mal in Gestalt eines Einherjar, mal vollkommen unsichtbar, und hin und wieder sogar als Magd, die Laken durch die Gänge trug. Erst schien es fast, als habe der Vane kein Ziel, oder als hätte er sich verlaufen und Loki glaubte, er hätte seine Zeit doch besser nutzen können, als einem Trunkenbold zur Toilette zu folgen. Doch sehr bald stellte er fest, dass all das nur Fassade war. Der Kerl wusste sehr wohl wo er hinwollte, allerdings nahm er mehrere Umwege, wahrscheinlich um Verfolger abzuschütteln.
Na, wenn das mal nicht interessant ist.
Loki folgte dem Soldaten nach draußen vor die Tore der Stadt, immer tiefer in die Wildnis hinein.
Wo wollte der Kerl bloß hin? Wenigstens hatte er aufgehört sich umzusehen und es war deutlich entspannter ihm hinterher zu schleichen. Allerdings wuchs Lokis Sorge mit jedem Schritt. Er kannte Asgard besser als jeder andere, er war auf den Straßen aufgewachsen und sein magisches Potenzial hatte ihn schon immer an die seltsamsten und aufregendsten Orte geführt. Und als sie beide auf ihrem Weg den Großteil davon hinter sich gelassen hatten, musste Loki schwer schlucken. Es gab nur wenig was noch vor ihnen lag und alles davon war einen krampfenden Magen wert.

Der Vane schien sich in Sicherheit zu wiegen, Loki glaubte sogar, ihn leise Pfeifen zu hören. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten sie die felsige, äußere Gebirgskette Asgards, wo der Soldat endlich stehen blieb und etwas aus seiner Tasche holte: einen kleinen gelben Kristall, der leuchtend schimmerte. Ein Speicherkristall. Erstaunt zog Loki sich hinter einen struppigen Busch zurück. Wieso bei Hel benutzte der Soldat einen Kristall, der in der Lage war, reine Magie zu speichern?
Des Rätsels Lösung allerdings kam schneller als ihm lieb war: Der Vane nahm den Kristall und drückte ihn in eine Felsspalte, wo augenblicklich das bunte Schimmern des Bifrösts erstrahlte und die Nacht erhellte, wie ein leuchtender Regenbogen. 

Herz über Kopf #2Where stories live. Discover now