Probleme sind Herdentiere

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Loki betrachtete sich skeptisch im Spiegel, während er die letzten Gurte zurecht zurrte.
Eigentlich sah er ganz asisch aus, mit der grünen Lederrüstung, den goldgespickten Armschienen und Ziermetallen, ein dickes schwarzes Fell um die Schultern geschlungen, ebenso wie einen bodenlangen Mantel. Nur die pechschwarzen Haare, gepaart mit den giftgrünen Augen hatten schon immer für Aufsehen gesorgt. Niemand in Asgard besaß solche Merkmale; niemand besaß einen solchen Körper. Groß und schlank, eher definiert als muskulös oder kräftig.
Seit er denken konnte, hatten die meisten Asen ihn abgelehnt. Keine Ahnung, ob es wegen dem war, was er früher alles getan hatte, oder wegen dem was er war: ein Fremder. Oder in ihren Augen ein Spion. Auf jeden Fall aber der unheimliche Magier ohne glaubhafte Herkunft. Einer, der nichts als Unsinn im Kopf hatte.
Dabei wollte er verdammt nochmal selbst wissen, wo er herkam, wer seine Eltern waren oder wieso er ausgerechnet in Asgard gelandet war, vor so vielen Jahren.
Asgard – Loki hasste und liebte es gleichermaßen.

Schwer seufzend schob er das beklemmende Gefühl in seiner Brust auf seine Probleme mit Thor und packte die letzten Taschen voll mit nützlichem und weniger nützlichem Zeug. Zunder, trockenes Feuerholz, Behältnisse, Salben, eine Decke. Dabei war ihm nicht einmal kalt. Genaugenommen war ihm nie kalt. Auch eine Tatsache, die er geflissentlich verschwieg; wer wusste schon, was sie ihm sonst noch unterstellen würden. Lieber trug er den verdammten Pelz und Mantel und zitterte hin und wieder ein wenig, wie es sich für einen anständigen Asen gehörte.

Es klopfte leise und ehe Loki etwas sagen konnte, glitt Balder durch den Spalt in der Tür. Loki hob nur kurz den Kopf, doch ihm war gerade nicht nach Reden zumute, weshalb er sich wieder aufs Packen konzentrierte.
„Es tut mir leid, Loki ..."
„Was tut dir leid, Balder?", antwortete Loki weder wirklich fragend, noch besonders beteiligt.
„Das mit Jotunheim. Ich wollte nicht ..."
„Oh, du wolltest nicht - das macht natürlich alles besser." Loki merkte gar nicht, dass er seine Sachen förmlich umbrachte, bevor sie in die Taschen wanderten und Balder hob seufzend beide Brauen, während er ihm eine Weile schweigend zusah.
„Du trägst einen Mantel?", wollte Balder schließlich wissen.
„Natürlich."
„Als wir einmal draußen auf dem Balkon standen, im Winter, sagtest du, dir ist nicht kalt. Dir wäre niemals kalt."
Loki hielt einen Moment inne, doch kurz darauf legte sich ein gespielt freundliches Lächeln auf seine Lippen. „Balder, wir waren Kinder. Und ich hatte getrunken, mehr als ich vertrage. Wenn das der einzige Unsinn war, den ich von mir gegeben habe, dann bin ich zufrieden."
Dem Diplomaten schien diese Aussage nur bedingt zu genügen, doch er merkte auch, dass es sinnlos war, hier zu stehen und zu reden; wenn Loki nicht sprechen wollte, konnte ihn keine Armee dazu bewegen. Er konnte stundenlang ausweichen und das Thema wechseln, bis jedem Wesen die Lust verging. Und Zeit hatten sie auch keine.
Balder rieb sich über die Schläfe. „Willst du Frigga denn nicht sagen, dass wir gehen?"

Diese Frage erwischte Loki kalt und diesmal ließ er endgültig von seinen Taschen ab, nachdem er sie zugezogen hatte. „Was willst du, Balder?"
Balder sah Loki mit einem Blick an, der nicht darauf schließen ließ, was er wirklich dachte. Er schien zu zögern, doch dann endlich fand er wohl die Worte, die er loswerden wollte. „Die Reise nach Jotunheim ist gefährlich. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet. Ich dachte nur, wir ... wir sollten vielleicht ein letztes Mal mit denen sprechen, die uns wichtig sind. Ich glaube nicht an ein Unglück aber, ..."
„... aber dann wieder tust du es doch."
Loki wandte sich ab, irgendwie machten Balders Worte ihn wütend. Nicht nur, dass er die Geschichte mit Jotunheim vollkommen egoistisch hinausposaunt hatte, nein, nun wollte er sich auch noch verabschieden, als wäre das ihre letzte Reise ins Ungewisse, ohne Wiederkehr. Dabei würden sie auf jeden Fall wiederkehren. Sie mussten, denn Asgard brauchte Thor. Vanaheim brauchte Freya. Und Thor brauchte ...
Loki stockte. Brauchte Thor ihn? Brauchte Asgard ihn? Brauchte ihn überhaupt irgendjemand?
Mit einem Mal hielt er weder Balders Anwesenheit aus, noch ertrug er seine eigenen Gedanken. Ein wenig zu heftig schulterte er den Ledergurt mit Beuteln, machte ihn vehement fest und sparte sich einen Kommentar. Er öffnete die Tür und wies Balder mit einer überfreundlichen Geste nach draußen, ein nettes, knappes Lächeln auf den Lippen, das den Rest seiner Züge nicht erreichte. „Ich denke, wie müssen jetzt gehen. Nach dir ...."
Balder zögerte kurz, musterte Loki eindringlich; dann folgte er dessen Aufforderung ohne ein weiteres Wort.

Herz über Kopf #2Where stories live. Discover now