Geheimnisse

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Es hatte eine gewisse Komik, wie vier der wichtigsten Männer und Frauen Asgards in einem leeren Zimmer standen und auf einen Apfel starrten.

Tatsächlich hatten sie Tanalars Zimmer aufgesucht und hatten den schlafenden Vanen zwischen den Laken gesehen – zumindest so lange, bis Loki ihn berührt und den Zauber somit gelöst hatte. Seither lag da einfach nur ein Apfel auf dem Kopfkissen und verhöhnte sie alle stumm.
„Ein Apfel ...", meinte Thor mit gehobenen Brauen und konnte es offensichtlich kaum glauben.
„Ein Apfel", bestätigten Freya und Balder im Chor.
„Ein verzauberter Apfel", korrigierte Loki mit einem liebreizenden Lächeln und erntete drei böse Blicke, von denen er sich allerdings nicht beirren ließ. Er trat zu dem Bett und hob das Stück Obst amüsiert auf; irgendwie hatten diese Spione echt Humor. „Wisst ihr, es gibt nicht viele Leute die eine solche Magie beherrschen. Das ändern der eigenen Gestalt ist schon schwierig genug, doch das ändern anderer Gestalten ist eine hohe Kunst."
„Die du beherrschst", kam es giftig von der Vanin.
Loki lächelte über ihren Kommentar hinweg. „Eine Kunst, die ich durchaus beherrsche. Besser als die meisten, wenn ich so bescheiden sein darf."
„Vielleicht hast du das alles ja ausgeheckt", warf Freya ein.

Gerade als Balder Luft holte, um sich mit einem wasserdichten Alibi einzuschalten, warf Loki ihm den Apfel zu und nutzte die so entstandene Stille um selbst zu antworten. „Ja natürlich habe ich das. Deswegen laufe ich ihm auch kilometerweit hinterher und komme zurück, um allen von meinem Verrat zu berichten. Weil ich nichts Besseres zu tun habe, als vanische Prinzessinen zu ärgern, mit nichts als blöden Tricks und Obst."
Freya schnaubte, doch sie schien es einzusehen. Auch Thor warf einen vielsagenden Blick in die Runde; es hatte keinen Sinn sich anzufeinden, wenn der wirkliche Feind da draußen lauerte und bereits daran arbeitete, ihnen allen zu schaden.
„Und jetzt?", wollte Balder wissen, biss genüsslich unbekümmert in den Apfel und erntete entsetzte Blicke von Freya und Thor. „Was denn? War doch nur eine Illusion und kein Gift", erklärte er zwischen zwei Bissen. „Ihr solltet wirklich mehr über Magie lesen ..." Er zwinkerte Loki zu und dieser kam nicht umhin, zu schmunzeln. 

Thors Laune rutschte sofort in den Keller, auch wenn er wohl krampfhaft versuchte, in seiner Rolle als Kronprinz Haltung zu bewahren. „Ich stelle einen Suchtrupp zusammen und ..."
„Nein!", fuhr Freya entschieden dazwischen. „Tanalar Jaurison ist mein Problem. Ich habe ihm vertraut und ihn hergebracht, also werde ich persönlich ihm den Kopf abreißen gehen!"
„Er kommt doch ohnehin zurück?", wollte Balder wissen und deutete auf den Apfel.
Loki wechselte einen schnellen Blick mit Thor, ehe er sich einmischte. „So ungerne ich das sage, Freya hat Recht. Natürlich wird er zurückkommen, aber wenn wir wissen wollen, wer wirklich hinter all dem steckt, müssen wir unserem kleinen Spion folgen. Nur so können wir sicher sein, was hier tatsächlich gespielt wird. Oder viel mehr gespielt werden soll."
„Warum Jotunheim?", wollte Thor wissen.
„Ich weiß es nicht", gab Loki zurück und zuckte mit den Schultern. Jotunheim war seit langer Zeit mit Asgard verfeindet - aber sollte es wirklich ein solch klischeehafter Grund sein, für den hier derart viel Aufwand betrieben wurde?

Es kam nicht oft vor, dass Spionage über hunderte Jahre hinweg unbemerkt blieb  und langsam machte Loki sich Sorgen. Nicht einmal wegen dem, was sie gefunden hatten. Es war mehr so ein Gefühl.
Sowohl Balders, als auch Thors besorgter Blick trafen Loki von der Seite und erst jetzt bemerkte dieser die Furche zwischen seinen eignen Brauen, auf der man seine dunklen Gedanken sicher ablesen konnte, wie auf einer Werbetafel.
Doch es war Freya, die die unbehagliche Stille mit einem lauten, genervten Schnauben brach. „Keine Ahnung was ihr so vorhabt, aber ich breche in einer Stunde auf. Thor, leihst du mir ein paar Waffen und einen Führer?"
„Einen Führer durch Jotunheim?" Thor runzelte die Stirn und schien zu überlegen, wer sich dafür eigenen würde und ob es überhaupt jemanden auf Asgard gab, der das konnte. „Ich kann Vater unmöglich um Hilfe bitten. Wenn das alles herauskommt, bricht in der ganzen Stadt Panik aus und Vater würde sofort zum Krieg rüsten wollen ..."
„... was eine furchtbar schlechte Idee wäre", warf Loki ein.
Thor sah ihn nur kurz an. „... wie dem auch sei, wir können damit unmöglich an die Öffentlichkeit treten. Wir müssen eine andere Lösung finden."

„Loki könnte es tun", schlug Balder so plötzlich vor, dass alle Köpfe sich zu ihm wandten. Selbst Loki starrte den Braunhaarigen entgeistert an, als hätte er gerade vorgeschlagen, nach Hel zu reisen oder sich Brunhilde, der Anführerin der Valküren, zu stellen.
„Ich weiß nicht, was du meinst", wehrte Loki den Vorschlag sofort ab und musterte den jüngeren Prinzen misstrauisch, fast als ahne er bereits, was dieser sagen wollte. Aber es war unmöglich, dass Balder von seinen kleinen Ausflügen wusste. Oder doch? Nervös trat Loki von einem Fuß auf den anderen.
Thor hob beide Brauen. „Loki kann doch unmöglich ..."
„Er war bereits in Jotunheim. Er kennt sich dort besser aus, als alle von euch zusammen", ließ Balder sich nicht beirren und biss erneut in den Apfel.

Die Stille, die folgte, war eine Mischung aus Überraschung und Lähmung und wurde nur von einem Knacken durchbrochen, als Balders Zähne sich erneut in den Apfel bohrten. 

Herz über Kopf #2Where stories live. Discover now