[3] 3|Mittwoch

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Aufgeweckt durch den Spaziergang im Park betritt Ronja ihre Wohnung, lässt frische Luft durch die Terrassentür hinein und drückt dann den Knopf an ihrem Arbeitscomputer, um diesen zu starten. 

Da sie eine positive Lebenseinstellung hat und als Frohnatur empfunden wird, wollte sie Menschen mit dem gleichen beziehungsweise ähnlichem Hintergrund Unterstützung bieten. Natürlich bestehen die Beratungen nicht ausschließlich aus dem Thema Sehen oder nicht sehen können, aber die Erfahrung zeigt, dass manche Menschen mehr Vertrauen fassen können, wenn sie wissen, dass eine Fachperson sie ebenso in dieser Thematik nachvollziehen kann.

So war es für sie mehr als klar, dass sie Beraterin für Beeinträchtigte betreffend des Sehvermögens wird. Sie setzt sich an ihren Arbeitsplatz. Während die ganzen Computerprogramme sich noch synchronisieren – darunter das interne Firmendokumentationsprogramm, welches mit dem Screenreader ihres PCs verknüpft ist –, erstellt sie sich einen Ablaufplan für den heutigen Arbeitstag.

Er fragt schon wieder. Mit einem Schmunzeln hört sie die Mail einer ihrer Klienten ab. Er fragt sie erneut – sie weiß gar nicht, wie oft nun schon –, wann noch einmal genau ihre Arbeitszeiten sind.

Sie diktiert ihrem Programm »E-Mail-Beratung ist mittwochs und samstags, Telefonberatung nach vorheriger Vereinbarung dienstags und donnerstags, offene Telefonzeit ebenso dienstags und donnerstags jeweils von 16:00 bis 18:00 Uhr« erneut, was sie dann sogleich per Mail abschickt.

Wenn es erforderlich werden sollte, bietet sie ebenfalls Begleitung zu Terminen an, denkt sie sich dazu. Ronja arbeitet in Teilzeit, da ihr ebenso viel an ihrer Freizeit gelegen ist.

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Andere und ebenso sich selbst gestärkt macht sie sich auf zum Le Petit. Aber nicht ohne den üblichen Halt bei den Steinplatten am Hafen, um den Ort und die Umgebung zu genießen. Und auch wenn sie hoffte, dass es vorbei ist, so kommt er doch wieder zu ihr. Sie erkennt bereits seine Schrittart. 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau." 

„Was willst du denn von mir?" 

„Eine Antwort." 

„Du weißt schon, dass ich blind bin?" 

„Kommt auf die Impressionsweise an. Zumindest aber kannst du sprechen." 

Und weg war er wieder. Nun ist sie wieder genervt. Aber nicht nur genervt. Sie versteht nicht, warum er es nicht versteht. Zumindest aber kannst du sprechen, äfft sie ihn in ihren Gedanken nach. Ja, danke, das weiß ich auch. 

Auch sie geht weiter, bald darauf kommt sie im Café an. Anscheinend ist es recht spät geworden, denn nur kurze Zeit darauf setzt sich Alice mitsamt der Bestellung direkt zu ihr. 

„Ronja, ist alles okay? War er schon wieder da?" 

„Ja, er hat wieder das Gleiche gesagt. Ich habe heute deinen Rat befolgt und ihn gefragt, was er von mir will. Weißt du, was er geantwortet hat? Dass er eine Antwort möchte. Ich deutete auf meine Blindheit und er meinte dann zu mir, dass ich doch aber sprechen kann. Verstehst du das, Alice?" 

„Hm, nicht wirklich. Und wenn du vielleicht irgendetwas sagst, was du mit Blau assoziierst? Aber ich habe keine Ahnung." 

„Genug davon, abhaken. Der Spinner kommt und geht. Wie geht es dir?" 

„Geht so. Die letzten zwei Tage konnte ich mich zu Hause nicht mehr gut beschäftigen, war zu viel in Gedanken, es raubt mir Energie." 

„Das glaube ich dir. Was hast du sonst nach deinem Feierabend gemacht?" 

„Unterschiedlich. Mal Sport, manchmal malen, mal faulenzen, manchmal lesen. Ich hatte mich aber schon immer irgendwie beschäftigen können. Vielleicht wird das auch wieder." 

„Du malst auch?" 

„Ja, malst du auch gerne?" 

„Ja, ich kann mich dadurch so super entspannen und meine Gefühle und Gedanken loswerden. Ich mag es, wenn ich die Farbe verteile, die Bewegungen dabei. Ich finde es schön." 

„Wow, Ronja. Ich finde das so cool, was du alles machst und wie du das alles schaffst. Das ist echt beeindruckend. Darf ich mir mal Bilder von dir ansehen? Oder ist das doof für dich?" 

„Klar darfst du. Du kannst mir ja dann mal erzählen, wie es auf Sehende so wirkt." Ronja lacht. „Von mir aus, kannst du auch heute direkt mit zu mir kommen. Woody und ich gehen ja immer zu Fuß. Und wenn du möchtest, kannst du dir erst einmal Bilder anschauen und dann können wir auch gerne zusammen malen." 

„Danke, das ist so lieb von dir, Ronja." 

„Ach Alice, ich denke da ganz egoistisch. Ich habe dann meine eigene Barista zu Hause." 

Wieder lacht Ronja und Alice steigt mit ein. Befreiend. Es wirkt befreiender. 

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„Mensch Ronja, deine Bilder sind ja der Wahnsinn. Ich kann wirklich spüren, was für Emotionen da drin stecken beziehungsweise welche bei mir angesprochen werden. Und die Farbkombinationen sind echt super. Es macht richtig Spaß, deine Bilder anzuschauen." 

„Mit so einer positiven Rückmeldung hätte ich jetzt gar nicht gerechnet, aber danke Alice! Ist ja auch für mich mal schön zu hören, wie meine Bilder so wirken. Freut mich, dass sie dir gefallen. Gibt es eins, was dich am meisten anspricht?" 

„Ja, ich halte es immer noch in der Hand. Es strahlt etwas so schön Fröhliches aus, aber auch nicht zu extrem, als würde es einem sagen, dass alles gut ist und wird, dass es auch immer Lösungen geben wird, egal wofür. Die Farben sind auch so schön. Es ist in Gelb und Grün gehalten mit feinen Linien in einem schönen Lila." 

„Das darfst du dir gerne mit nach Hause nehmen." 

 „Echt jetzt?", fragt Alice erstaunt nach. „Danke, Ronja!" Alice klingt wirklich sehr glücklich, ihre Stimme hat einen quietschigen, jedoch auch warmen Ton angenommen. 

„Ja na klar, gerade bei deiner Erklärung, das klang so schön und wenn es dich so erfreut, dann sollst du es auch haben." 

„Ich weiß schon, wo ich es aufhängen werde. Danke." 

„Kannst du mir ja dann zeigen, wenn ich dich mal besuchen darf." 

„Na klar darfst du. So, ich mache uns einen Café und dann können wir gerne malen. Jetzt habe ich richtig Lust bekommen." 

Alice hält sich anfänglich zurück und lässt Ronja den Vortritt. Ronja hat sich gelbe und orange Farbe geschnappt und diese auf dem Aquarellblatt verstrichen. Die Wellen der Freude, die von Alice ausgehen, spürt Ronja nun immer mehr. Sie geht einen Schritt zurück und muss grinsend feststellen, wie Alice sich endlich an die Staffelei wagt. Alice versichert sich, ob es in Ordnung sei, wenn sie mit einem dunkelroten Ton Akzente setzen oder sogar noch Blüten malen würde. Ronja stimmt unmittelbar zu und freut sich sehr darüber.  

Beim Pinsel auswaschen, summt Ronja vor sich hin. Dass Alice enorm lange geblieben ist, findet sie schön. Aber nun ist sie auch ziemlich groggy. Mehr macht sie nicht mehr. Nur noch unter die Dusche und dann ins Bett, nimmt sie sich vor. 

ImpressionsweiseWhere stories live. Discover now