[4] 4|Donnerstag

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Von der Parkrunde, die sie bereits eben in Ruhe mit Woody spazieren gegangen war, kehrt sie zurück und macht sich auf ins Wohnzimmer an ihren Schreibtisch. Da Ronja Alice gestern spontan zu sich eingeladen hat, hatte sie die Arbeitsmails nicht vollständig bearbeitet, vor allem die Neuanfragen warten noch auf ihre Antworten. Glücklicherweise ist sie nicht an feste Arbeitszeiten gebunden. Da hat sie freie Hand, die kann sie sich selbst legen. 
Damit sie ihren Klient*innen jedoch Verlässlichkeit bieten kann, installierte sie die fixen Zeiten, die ihr wiederum genauso einen gewissen Halt geben. 

◦◦◦◦◦◦

„So Woody, auf gehts zu unserem komischen Kerl am Hafen."

Ronja muss grinsen, sie bemerkt, dass sie es gar nicht mehr so schlimm findet.

An ihrem Platz am Hafen angekommen, wartet sie darauf, dass der Kerl sie anspricht. Aber niemand kommt. Klick. Ihre Armbanduhr sagt, welches sie gerade angetippt hat, dass es bereits 11:35 Uhr ist. Um 12:00 Uhr hat Alice Feierabend, sie braucht bis dahin zwischen fünfzehn und zwanzig Minuten. In den letzten Tagen war er zu der Uhrzeit also schon da gewesen. Merkwürdig, sie ist enttäuscht. Nach gefühlten weiteren zwei Minuten steht sie auf. Woody bei ihr, es geht los. Aber dann bleibt Woody stehen. Das bedeutet, dass etwas oder jemand im Weg ist, sodass sie nicht weiterkommen. Sie möchte gerade den Stock zur Hilfe nehmen, um die Ursache zu erspüren, doch da spricht sie jemand an. Er. 

„Ich sehe was, was du nicht siehst und das ist blau."

„Das Wasser?"

„Nein. Noch ein Versuch."

„Der Himmel?"

„Nein. Schade."

Und weg war er und Woody geht weiter. Zumindest waren es ein paar Worte mehr, die sie wechselten.

Beim Café angekommen ist es wie gestern, Alice setzt sich direkt mit der Bestellung von Ronja an den Tisch. Denn sie hat bereits Feierabend.

„Na Ronja, was hat dich denn aufgehalten?"

„Der Kerl."

„Dieser der Kerl?"

„Ja, ich befolgte wieder deinen Rat. Zunächst sagte ich Wasser, er verneinte das und dass ich noch einen Versuch hätte. Dann sagte ich Himmel, das war es auch nicht." 

„Und hat er daraufhin noch etwas gesagt?", hakt Alice nach. 

„Schade, sagte er und war wieder weg. Hast du noch einen Tipp?" 

„Es geht ja anscheinend schon mal in die richtige Richtung, also dass du tatsächlich raten sollst. Und stören tut es dich ja auch nicht mehr. Mach einfach weiter, vielleicht ist es irgendwann richtig."

„Alles klar." Kichernd lehnt sie sich hinten an den Stuhl an. „Mittlerweile finde ich es sogar eher spannend und möchte herausbekommen, was es damit auf sich hat." 

„Ich wünsche dir viel Glück dabei."

„Bist du gestern noch gut nach Hause gekommen?"

„Ja, der Tag war wirklich super. Noch mal vielen Dank. Das hat mir richtig gutgetan." 

„Von mir aus können wir das gerne öfter machen. Ich fand es auch spaßig. Für mich war es auch wirklich toll." 

„Das würde mich auch freuen. Wie wollen wir das mit morgen machen?" 

„Ich dachte, ich komme wie immer hierher und dann gehen wir von hier aus zusammen dahin? Ist das okay?" 

„Ja, aber natürlich. Ob es mit deiner Arbeit passt, da war ich mir nicht so sicher." 

„Doch klar, ich bin ja sonst auch mittags hier." Ein Zwinkern von Ronja lässt Alice etwas entspannter werden. 

„Dann können wir ja auch hier noch in Ruhe einen Café trinken." 

„Auf jeden Fall, das hatte ich gehofft", geht Ronja auf Alice' lockere und entspanntere Idee ein. 

„Was machst du eigentlich genau als Beraterin? Also ich meine das nicht doof, es interessiert mich." 

„Hab dich schon verstanden. Natürlich geht es auch um die Themen Sehen und nicht sehen können, aber in erster Linie tatsächlich um Aufklärung, Hindernisbewältigung sowie passende Vermittlung in das verstrickte Hilfsnetzwerk ... Sorry, das ist so ein eher auswendig gelernter Satz." 

„Das klingt wirklich super spannend und interessant! Also machst du ganz viel MIT den Menschen." 

„Ja schon. Kommt drauf an, was ansteht, auf was sie sich einlassen können, es kommt auf vieles an. Es macht mir Freude und ich kann so auch viel zurückgeben. Es ist nicht nur geben, auch wenn es meine Arbeit ist, ich bekomme ebenso viele wertvolle Begegnungen und Erfahrungen geschenkt." 

◦◦◦◦◦◦

Klatsch, es ist 13:22 Uhr. Okay gut. Dann kann ich ja noch schnell unter die Dusche hüpfen. Das sollte vor dem ersten Telefonberatungstermin zu schaffen sein, der um 13:45 Uhr beginnt. Erst einmal alles vorbereiten, das heißt, den Computer starten, die Kaffeemaschine anmachen, Terrassentür öffnen. Dann ins Badezimmer, in dem an einem Haken bereits ein komplettes frisches Outfit hängt. So bereitet sie sich das immer vor. 

Erfrischt geht sie routiniert in die Küche, startet den Durchlauf, geht auf die Terrasse, atmet die frische Luft ein und geht dann an ihren Arbeitsplatz, der frei und bewegungsfreundlich eingerichtet ist, in der Nähe der Terrasse, sodass sie zwischendurch raus an die Luft kann. Am Computer öffnet sie den Internetbrowser und die Ordner auf ihrem PC, die sie sehr wahrscheinlich benötigt. Zudem öffnet sie das einrichtungsinterne Programm, in dem sie ihre Beratungstermine verwaltet und dokumentiert. Alles vorbereitet. Café holen, das Diensttelefon schnappen und die Nummer der Klientin wählen.

Gegen 19 Uhr macht Ronja zufrieden mit sich und dem Arbeitstag Feierabend, fährt ihren Computer herunter, geht auf die Terrasse, um dort noch einmal die frische Luft einzuatmen. Daraufhin kocht sie sich einen Tee auf, um mit diesem im Bett zu verschwinden. Sie spielt ihr Hörbuch ab, welchem sie gar nicht richtig folgen kann. Ihre Gedanken schwirren eher woandershin.

Was könnte noch Blau sein? 
Was, wenn er morgen wieder da sein wird? 
Was soll ich dann antworten? Oben oder unten? Blödsinn. 

Sie grübelt und grübelt. Was ist noch blau? Sie möchte gerne die Lösung herausfinden. Aber so richtig typisch blau, dazu fällt ihr nichts weiter ein. 

Irgendwann schläft sie ein.

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