Kapitel 1

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~ Elyanor ~ 

„Ich weiß nicht. Die Selection wird bei mir anders ablaufen als bei dir und Calder. Alle wissen, dass ich die Königin bin und dass der Mann, den ich heiraten werde, zum nächsten König gekrönt wird." 

Ich sah Amelia zweifelnd an, die neben mir ritt. Sie hatte sich wie schon so oft Odysseus ausgeliehen.

„Es wird sicher der ein oder andere dabei sein, der es nicht ernst meint. Ich meine, warum sollten so viele daran interessiert sein, die Königin von Arvandor näher kennenzulernen, wenn es ihnen nicht wenigstens ein bisschen um den Titel geht? Aber es muss nur einer von den 32 dabei sein, der es ernst meint und der für dich perfekt ist."

Ich seufzte und sah sie niedergeschlagen an. Ich mochte Amelia, gerade für ihre ehrliche Art, aber ihre Worte waren nicht besonders aufbauend. Einer von Zweiunddreißig.

„Jetzt lass doch den Kopf nicht hängen. Du kannst im Moment sowieso nichts tun. Lass es auf dich zukommen", sagte sie und musterte prüfend den Stand der Sonne. „Vielleicht sollten wir langsam umkehren. Dann hast du noch genug Zeit, bevor die Kandidaten eintreffen."

„In Ordnung." Ich nickte und wir wendeten die Pferde. „Aber die Kandidaten wurden per Zufall ausgelost. Was wenn mein perfekter Mann nicht dabei ist?"

Amelia ließ resigniert ihre Schultern fallen und drehte sich zu mir um. „Weißt du was wir jetzt machen?", fragte sie und sah mich erwartungsvoll an.

Ich zuckte mit den Schultern. „Was denn?"

Amelia setzte ein gefährliches Grinsen auf. „Ein Wettreiten." Mit festem Griff nahm sie ihre Zügel. „Bis zum Tor."

„Aber Amelia, ich..." Doch sie hörte mich nicht mehr. 

Stattdessen galoppierte sie einfach los und schien die Tatsache, dass ich im Damensattel saß, völlig zu ignorieren. Resigniert nahm ich ebenfalls die Zügel auf und trieb Midnight an.


*  *  *


„Das war nicht fair", sagte ich vorwurfsvoll zu Amelia, die am Tor auf mich wartete. 

Lachend sprang sie ab und führte Odysseus zu den Stallungen. „Das wäre es, wenn du dich endlich mal dazu bewegen lassen würdest, Hosen anzuziehen."

„Nur über meine Leiche", erwiderte ich und folgte ihr gespielt beleidigt.

Amelia führte ihr Pferd bis vor die Stallungen, wo sie es anband und begann, abzusatteln. Vom Hauptgebäude aus sah ich schon meine Zofe, die mir mit ihren gestikulierenden Händen anscheinend zu verstehen geben wollte, dass ich mich beeilen sollte.

Siedend heiß fiel mir wieder die Begrüßung der Kandidaten und meine anstehende Rede vor meinem gesamten Hofstaat ein. Rasch saß ich ebenfalls ab und wandte mich dem Stallburschen zu, der mit einem Stück Papier und einem Stift auf einem Schemel saß.

„Hey, du!" Er wandte sich mir zu und sah mich fragend an, als wüsste er nicht sicher, ob ich ihn gemeint hatte. 

„Kannst du das schnell übernehmen?", fragte ich hastig und deutete auf Midnight. Er warf mir noch einen seltsamen Blick zu, doch ich war schon auf dem Weg in mein Zimmer. 

Ich wollte meine Rede unbedingt noch einmal durchgehen, während Roselyn mich fertig machte. Ich spürte wieder, wie mein Herzschlag beschleunigte und das kribbelnde Gefühl der Aufregung in meinem Magen rebellierte. 

Vor meiner Tür blieb ich kurz stehen und nahm mir einen Moment, um tief durchzuatmen. Dann trat ich ein.

„Elyanor! Wo warst du nur die ganze Zeit?" Roselyn, meine Zofe und zugleich meine beste Freundin stemmte die Hände in die Hüften. „Ich kann so nicht arbeiten. Wir haben nur noch zwei Stunden Zeit."

Selection - ElyanorWhere stories live. Discover now