Kapitel 7

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Die Türklinke war eiskalt, als Alestra mit ihrer Hand das angelaufene Metall berührte. Es musste funktionieren. Alestra schloss die Augen und suchte ihn, ihren Schatten, der seine samtigen Finger um ihr Herz gelegt hatte und es bewahrte. Ihre bleichen Finger hatten sich in eine allumfassende Ruhe gebettet, während sich die ersten Schwaden von ihnen lösten. Der dunkle Nebel ließ sie aussehen, als wären sie aus Licht und kein Teil einer Leiche. Die Schatten waberten um die Türklinke den Befehlen ihrer Herrin gehorchend, ergaben sich ihrer Macht und schlangen sich um den Schatten der Klinke. Unmittelbar verschmolzen sie zu einem einzigen. Sie wurden ein dichtes Geflecht, das sich nun an das Holz der Tür schmiegte, als wolle es sich auch noch diese einverleiben. Die Tür war versiegelt. Alestra atmete auf. Für einen Moment hatte sie gezweifelt, dass es jetzt noch funktionierte, wo die dunkle Seite des Mondes doch so von dem Licht übermannt war. Sie musste, sobald sie von der Meisterin zurückgekehrt war, ihren Garten besuchen. Alestra war es leid, abhängig zu sein und alles nach diesem einen Schatten richten zu müssen. Sie war es leid. 

Der Vorraum des Haupthauses glich vielmehr einer Halle, als dass er war, was er von außen zu sein vorgab. Niemand, der dem Pfad zur Tür gefolgt war und die Steine des Gebäudes betrachtete, hätte gedacht, dass das Innere verriet, wer seine Herrin war. Einem jeden, der durch die Tür mit den kunstvollen Schnitzereien trat, entlockte der Anblick ein Staunen, ein inneres Raunen über die Schönheit des Waldes, die Einzug erhalten hatte in die Gefilde der Menschen. Durch die Steine im Boden waren die Ranken gebrochen und hatten sich um die Pfeiler geschlungen, die die Decke über zwei Etagen stützten, sodass sich die zierlichen Blüten auch am Geländer der Galerie wiederfanden und die Wände für den Betrachter beinahe verschwinden ließen. Alestras Hände fingen an feucht zu werden, dabei lagen sie ruhig auf dem Blätterstapel, den sie aus ihrer Tasche gefischt hatte. Die feinen Buchstaben trugen die Tage ihres Auftrags in sich und unter manche hatte sich das Blut unter ihren Nägeln gemischt. Jedes Leiden des Verletzten, jedes einzelne Heilmittel und jeder Weg, den sie eingeschlagen hatte vereinigten sich in der schwarzen Tinte. Alles bis auf diese eine Kleinigkeit, die kleine Pfeilspitze, die ihm all das zugefügt hatte. Es war immer, als würde Alestra einen Teil von sich weggeben, wenn sie die Blätter in die Hände einer anderen Heilerin legte, damit sie ihren Weg in die der Meisterin fanden.

Alestra hörte die Schritte noch bevor sie sah, zu wem sie gehörten. Die Steine trugen den Hall schon von weit her, sodass sich die Person genauso gut am anderen Ende des Hauses befinden konnte und sie schienen sich gegenseitig zuzuflüstern, wenn jemand einen Fuß auf sie setzte. Einige der jüngeren Heilerinnen munkelten, dass die Meisterin die Steine verzaubert hätte und auch wenn Alestra in all den Jahren nicht hinter dieses Phänomen gekommen war, so war dieses Gerücht doch nicht mehr als einer kindlichen Fantasie entsprungen. Hier gab es diese andere Magie nicht. 

Durch einen schlicht verzierten Bogen trat eine etwas untersetzte Frau, die trotz ihres fortgeschrittenen Alters eine Haltung annahm, an der man sonst eine Adelige erkennen würde. Ihr graues Haar hatte sie in ihrem Nacken zu einem Knoten gebunden und sie verdeckten nicht wie meistens ihre linke Gesichtshälfte. Von ihrem Ohr bis zum Mundwinkel zog sich eine wulstige Narbe, die das Lächeln, das sie aufgesetzt hatte, schief anmuten ließ. Der Anblick erschreckte Alestra nicht so wie bei ihrer ersten Begegnung mit der Schmanin. Früher hatte sie sich vor der Frau gefürchtet, die nachts zwischen den Toten im Wald umher streifte und sie in den Schlaf sang, damit die Unruhigen sich nicht erhoben. Alestra riss sich aus der kurzen Erinnerung und erwiderte ihr Lächeln. „Es ist mir eine Ehre, Leighra!" Eine Heilerin machte nur einmal den Fehler nicht als erste das Wort gegenüber der Schamanin zu ergreifen oder gar nicht, wenn einem dieser Grundsatz in die Wiege gelegt worden wie Alestra. Wie ein Dorn setzte sich das letzte Wort in ihrem Kopf fest, bevor sie die Augen schloss und die Worte über ihre Zunge fließen ließ.

Alestras Lippen bewegten sich nicht, als sie die Worte sagte: „Ich möchte Bericht erstatten über meinen Auftrag, den ich vor siebzehn Tagen angetreten habe. Betroffen war August Brandon Jlyrr, ein Veteran der dritten Trollkriege, der seitdem ein Leben als Eremit führt. Ich trage den Hergang meines erfolgreich ausgeführten Auftrags bei mir, damit er der Erhabenen übergeben werden kann, Leighra!"

Der Schwall an unausgesprochenen Worten brach ab und Alestra rang nach Luft. Die Schmanin hatte sie aus ihr herausgesaugt wie die Magie aus dem uralten Boden, von der sie lebte. Auch wenn sie dieses Prozedere schon etliche Male durchgemacht hatte, so war es immer ein andersartiges Gefühl, das in ihr aufkam. Rationalität war das einzige, was in einem solchen Moment zählte, denn würden Gefühle sie übermannen, würden auch diese aus ihr herausgesaugt werden wie die Worte, die die Schmanin der Meisterin übergeben würde. Erleichterung machte sich in ihr breit. „Ich werde unserer Meisterin sofort den Bericht übergeben. Ich hoffe Ihr habt Euren Auftrag heil überstanden, Alestra. Zur Zeit müssen wir uns vorsehen. Es könnten sich Gerüchte in Umlauf begeben, die vor allem die Jüngeren unter uns verunsichern könnten. Ein missglückter Auftrag würde auch gerade in Hinsicht auf das bevorstehende Ritual nicht zur Beruhigung der angespannt anmutenden Situation beitragen." Besorgnis lag in ihrer Stimme und für einen Moment verlor sich ihr Blick in der Ferne. Sie schien durch Alestra hindurchzuschauen.

„Es ist alles gelaufen, wie es sollte und ich bin wohlauf. Es gibt wegen mir keinen Grund sich zu sorgen, doch erlaubt mir eine Frage: Von welchen Gerüchten sprecht Ihr?" Alestra spürte, wie sie während sie dies sagte, die Stirn kraus zog. Ein ungutes Gefühl wollte seine eiskalte Hand um ihr Herz schließen, als sie in Gedanken die Geschehnisse der letzten Stunden durchging. Sie brauchte Antworten.

Alestra zuckte kaum merklich zusammen, als die Schmanin wieder ihre Stimme erhob: „Vielleicht ist es besser, wenn Ihr ihr das persönlich sagt, Alestra. Sie wäre sicher nicht abgeneigt auch den Bericht aus Eurem Mund zu hören."

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt