Kapitel 18

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~S I L C A N~

Silcan hasste es. Er hasste es in diesem Saal stehen zu müssen mit einem schweren dunkelroten Samtvorhang in den Händen, den er irgendwie in die Befestigung an der Decke bringen musste, anstatt mit seinem Schwert. Gerade jetzt sehnte er es sich mehr denn je herbei über seine scharfe Klinge zu fahren, bevor er es mit gezielten Schlägen gegen seine imaginären Gegner führte. Silcan warf einen verstohlenen Blick zu einer der hintersten Säulen, an der sie stand, die Frau, dem seine ganze Liebe galt. Mit einem verschmitzten Grinsen stellte er fest, dass auf Rhyalas Gesicht derselbe entnervte Ausdruck lag, während sie in der Robe der fürstlichen Garde, die auch er trug, entgeistert auf den triefenden Lappen in ihrer Hand starrte. Sie musste Silcans Blick durch den ganzen Saal gespürt haben oder es war dieser tiefen und unergründlichen Verbindung zwischen ihnen zuzuschreiben, dass sie seiner Gedanken gewahr geworden war, denn sie drehte sich unvermittelt zu ihm um und rollte vielsagend die Augen. Ja, sie war es auch leid, dass sie mit all den anderen Gardisten in diesem Ballsaal stand und die Aufgabe des Personals erledigen musste. Ein Blick über den Saal verriet Silcan, dass auch die ungefähr drei dutzend Personen im Saal seine Ansichten teilten und er konnte sich denken, dass die meisten von ihnen ihren Schutzherren, den Fürsten Aransils, innerlich verfluchten, auch wenn selbst der Gedanke vor den Göttern strafbar war. Silcan schmunzelte innerlich. Ja, ihr Fürst war ein Mann von nicht minderer Verrücktheit, die er hier und da immer wieder verstreute und anderen damit entweder den Tag verdarb - wie heute - oder unfreiwillig für ein äußerst amüsiertes Volk sorgte. Er hatte scheinbar eine ganz eigene Vorstellung davon, wie man sich gut amüsiert und die kannte Silcan nach all den Jahren in den Truppen von Fürst Darek nur zu gut.

„Silcan, kannst du mir jetzt bitte mal helfen anstatt deine Auserwählte mit Blicken zu verschlingen?", ertönte eine Stimme über seinem Kopf. Es war Corvin, sein Kamerad, der über ihm auf einer Leiter stand und erwartungsvoll zu ihm heruntersah, wobei sein üppiges dunkelblondes Haar ihm wirr und schweißnass ins Gesicht hing. Durch die bodentiefen Fenster, die zwei ganze Fronten in Besitz nahmen, brannte die Sonne nur so in den Ballsaal und in den Uniformen wurde es wirklich unerträglich heiß. Auch Silcan standen die Schweißperlen auf der Stirn und die meiste Arbeit lag noch vor ihm. „Ich kann hier oben nicht ewig warten, die Vorhänge hängen sich nicht von alleine auf und heute Abend muss hier alles wie neu aussehen!" Silcan konnte seinen Kameraden verstehen. Aber es kam in letzter Zeit immer häufiger vor, dass seine Gedanken einfach umherschweiften und nicht im Traum daran dachten zeitgemäß zu ihm zurückzukehren. Das ärgerte ihn selber, gerade weil Konzentration in einer Garde ein absolutes Gebot war. Mit einem entschuldigenden Grinsen wandte er sich Corvin zu und reichte ihm die unhandlichen Stoffbahnen hinauf, die zuvor von ein paar anderen leidenden Gardisten in kräftezehrender Arbeit gereinigt worden waren. Sollte Corvin doch denken, was er wollte, Silcan musste sich sicherlich nicht mehr die Aufmerksamkeit seiner Rhyala verdienen! Schon bald würden sie durch ein Band aus Lyanvit wie eines, durch das die Götter an die Welt gebunden sind, untrennbar und auf ewig miteinander verbunden sein und die Pfade ihres Lebens teilen. Silcan lächelte in sich hinein, während weit über ihm Corvin vor sich hin stöhnte bei dem hoffnungslosen Versuch die Ösen zu befestigen. Ein paar Minuten würde Silcan einfach noch zusehen und sich über dieses Schauspiel, das sein Kamerad da auf der Leiter gab, amüsieren. Dann würde er sich vielleicht dazu erweichen können dem armen Corvin zu helfen.

Doch selbst mit seiner Hilfe dauerte es noch geschlagene zwanzig Minuten und gefühlte hundert Anläufe bis die zwei Bahnen aus tiefdunklem Rot endlich waren, wo sie hingehörten. Und als er mit Corvin das Werk betrachtete, fühlte er sich mit einem Mal so unfähig und nutzlos, wie noch nie. Irgendwie war ihnen im Laufe des Vormitttags die Arbeit mit jeder Minute immer schwerer von der Hand gegangen und Silcan wusste, dass sein Plan, noch ein bisschen zu trainieren noch einige Zeit auf ihn warten musste, denn die hatte diese elende Arbeit ihm für heute gestohlen. Was hatte sich der Fürst auch nur gedacht, seine Garde hier wie Narren hin und her hetzen zu lassen, um sie etwas verüben zu lassen, wofür sie allesamt nicht im Geringsten geschaffen waren. Wenn sie alle einmal in der Anderswelt wären und Fürst Darek ihnen nichts mehr zu befehlen hatte, würde er wohl mal ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, was es denn soll, seine gesamte Garde wie Idioten aussehen zu lassen. „Na, seid ihr auch endlich fertig? Ihr wisst schon, dass euch noch eine ganze Menge Fenster bevorstehen, die heute noch alle gerne ein bisschen rotsehen würden!" Silcan hatte nicht bemerkt, wie Rhyala sich leichten Fußes genähert und sich zu ihnen gesellt hatte und nun betrachtete sie mit einem kritischen Ausdruck in ihren warmen kastanienbraunen Augen die Arbeit, die ihn und Corvin für Stunden beschäftigt hatte. Wer war auch die Idee gekommen die Wäscherei in den hintersten Flügel der Burg verfrachten? Von dort hatten sie beide die schweren Vorhänge erst einmal heranschleppen müssen. „Mit diesem hier ja, meine Liebe, aber du kannst da eigentlich gar nicht mitreden, das hier war schließlich nur eine Arbeit für echte Männer!" Beim Anblick des schelmischen Funkelns in seinen Augen schüttelte sie empört den Kopf, doch das kleine Grinsen konnte sie sich dann doch nicht verkneifen. Silcan konnte es einfach nicht lassen sie mit immer wieder damit zu necken, auch wenn Rhyala es gewiss mit jedem Mann in der Garde auf nehmen konnte außer vielleicht mit Elrik, ihrem Hauptmann.
„Ich werde, wenn das hier vorbei ist, auf direktem Wege Zur silbernen Brücke gehen und denen meinen Sold vom letzten Monat auf die Theke knallen. Ich muss diesen Tag irgendwie vergessen! Begleitet ihr mich? Ihr könnt doch schließlich nicht eine arme, wehrlose Dame wie mich abends alleine in eine Taverne gehen lassen!"

Neben ihm musste Corvin an sich halten, um nicht laut loszulachen und Silcan sah sie nur mit einer hochgezogenen Braue an. „Meine Liebe, wir haben Männer in der Wache, die mehr von einer Dame haben als du. Du brauchst am allerwenigsten jemanden, der dich schützend begleitet." Und trotzdem tat er es. Ständig. Wann immer es dieses winzige Bisschen Dunkelheit gab, das ihr Lächeln von dem wunderschönen sonnengebräunten Gesicht tilgen würde. „Aber ich glaube jemand wird eindeutig vor dir dort aufkreuzen. Ich kenne da nämlich einen Hauptmann, der genauso wenig verschont worden ist."
„Da gebe ich Silcan recht, Rhyala, er wird zwar weitaus erträglichere Arbeit geleistet haben als wir, aber du kennst ja Elrik. Die unverbesserliche Art unseres Fürsten und seine hoffnungslosen Versuche ihn in einigen Dingen zur Vernunft zu bringen, zehren gewiss noch mehr an seinen Nerven als das Aufhängen von Vorhängen an unseren. Außerdem wird er uns sowieso dorthin zitieren, um uns für den Dienst während der Feierlichkeiten einzuteilen. Ich hoffe, dass er wenigstens Freibier für alle geordert hat, sonst gehe ich ein in diesem Hinterzimmer", meldete sich Corvin zu Wort. Eigentlich freute sich Silcan sogar auf dieses Hinterzimmer, das bestimmt ein viertel des riesigen Gastraumes maß und mit den reich verzierten Stühlen hatte es schon durchaus einen noblen Charakter und gegen ein Freibier oder diesen unglaublich guten Tannenmet hätte er garantiert nichts einzuwenden. „Na ja, wie auch immer. Da ihr hier ja wahrscheinlich sowieso noch eine ganze Weile beschäftigt sein werdet, mach ich mich schon mal auf den Weg und werde noch ein paar Halunken bei einer Runde Tiogad über den Tisch ziehen." Und mit diesen Worten schwang sie ihr langes, zusammengebundenes Haar, das von einem solch dunklen Ton war als hätte der Wald seine Farben darin verewigen wollen, über die Schulter und wandte sich zum Gehen. Aber nicht ohne Silcan über die Schulter hinweg einen Hauch ihres sanften Lächelns, das sein Herz jedes neue Mal in seine zärtliche Umarmung zog und es mit ihrer Wärme erfüllte als hätte gerade der Frühling Einzug erhalten, zu schenken. Und mit stummen Worten gab er Rhyala das Versprechen, das ihre Augen, in denen das Sonnenlicht tanzte, gefordert hatten. An diesem Abend würde er wohl nicht in der Gesinnung den direkten Weg Zur silbernen Brücke einzuschlagen diesen Ballsaal verlassen. Der Saal, durch dessen sich der Sonne entgegen reckenden Fenster in vier Tagen das Dämmerlicht fallen und sich in dem Schmuck sämtlicher Aristokraten Aransils spiegeln würde, wenn sie hocherhobenen Hauptes umherschritten und keinen Verdacht hegen würden, dass in diesem Moment ein Heiler dem Thronerben Perithiels das Leben rettet.

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Nun haben Silcan und Rhyala auch ihren ersten Auftritt gehabt und wir werden sie auch im nächsten Kapitel begleiten. Was haltet ihr denn von den beiden? Und was glaubt ihr hat es mit den beiden auf sich? Schreibt doch einfach mal in die Kommentare, wie euch diese Erzählsicht gefällt und generell, wie ihr dieses Kapitel fandet. Mich würde es auf jeden Fall interessieren eure Meinung zu hören und ich freue mich schon darauf eure Nachrichten zu lesen. :)

Alestra - SchattennebelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt